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Internationale Klimapolitik in der Transformation

Artikel-Nr.: DE20121103-Art.56-2012

Internationale Klimapolitik in der Transformation

Die Zivilgesellschaft als Triebkraft?

Vorab im Web - Kopenhagen – Cancún – Durban – und nun Doha: Die UN-Klimaverhandlungen sind festgefahren. Der große Sprung vorwärts wird von der internationalen Klimapolitik nicht erwartet, auch nicht von der Europäischen Union und den Nationalstaaten. Zivilgesellschaftliche Kräfte werden in diesen Zeiten gerne als Impulsgeber gefeiert. Doch auch deren Strategien und Einflussmöglichkeiten müssen kritisch betrachtet werden, wie Philip Bedall und Achim Brunnengräber argumentieren.

Der dunkle Schatten der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich deutlich über die UN-Klimaverhandlungen gelegt. Selten zuvor haben sich die Handlungsgrenzen multilateraler, auf Konsens zielender internationaler Politik deutlicher gezeigt. Das Erstarken der Schwellenländer und die nationalstaatlichen Interessen in der Energiepolitik tun ihr übriges, damit die Klimaverhandlungen kaum mehr von größerem weltpolitischen Belang sind. Konträr dazu wächst die Notwendigkeit eines wirksamen Klimaschutzes und damit die Notwendigkeit einer umfassenden Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft.

* Wer sind die Akteure des Wandels?

Im Zuge einer derartigen Herausforderung reicht es nicht aus, nur die Emissionen, also die Output-Seite des fossilistischen Energiesystems, in den Blick zu nehmen. Nur damit werden sich die verhandelnden Regierungen in Doha beschäftigen. Auch die Energieträger Kohle, Gas und Öl, also die Input-Seite, muss berücksichtigt werden. Wird der gesamte Kohlenstoffzyklus von der Extraktion der fossilen Ressourcen bis zu den schädlichen Emissionen in den Blick genommen, erweitert sich das Problem- und Konfliktfeld. Erforderlich wird schließlich ein Wandel der Lebens- und Produktionsweise, der über eine technokratisch geprägte ökologische Modernisierung hinausgeht (WBGU 2011).

Wer aber sind die Akteure eines solchen Wandels, wenn die UN ihre Pfründe verspielt haben? Kann die Zivilgesellschaft als Feld konkurrierender Problemdeutungen, Forderungen und Handlungsansätze (Unmüßig 2011) eine solche verantwortungsvolle Rolle übernehmen? Und was genau ist die Zivilgesellschaft? Fest steht nur: Gerade wenn die prekäre Balance von Kompromissen – der hegemoniale Konsens (Gramsci) – in den Klimaverhandlungen instabil wird und sich neue Konfliktlinien auftun, eröffnen sich auch neue gesellschaftliche Bewegungsspielräume.

* Konfliktive Kooperation

Bereits bei der Genese der UN-Klimarahmenkonvention haben sich umwelt- und entwicklungspolitische NGOs und ihre Netzwerke eingebracht; viele dieser Akteure sind seither mit dem Klimaregime symbiotisch verbunden (Brunnengräber 2011). Die Mitarbeit in den internationalen Institutionen wurde von ihnen fast zwei Jahrzehnte lang kaum in Frage gestellt. Zugleich wurde es um die sozialen Bewegungen in der Klimapolitik, die anders als NGOs stärker auf Protest und Mobilisierung bis hin zum zivilen Ungehorsam abzielen, immer ruhiger.

Weil die internationale Staatengemeinschaft im Ringen um ein Kyoto-Folgeabkommen jedoch erfolglos bleibt, werden auch die Grenzen einer aktiven Mitarbeit von NGOs an der staatlichen Ausgestaltung internationaler Politik immer deutlicher. Schließlich stößt das konfliktiv-kooperative Agieren der NGOs auch deshalb auf Kritik, weil ihr politisch gesetztes Ziel, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, völlig unrealistisch erscheint, die angestrebten Emissionsreduktionen ausbleiben und die Implementierung von Klimaschutzmaßnahmen zu neuen sozialen Auseinandersetzungen führen. NGOs sind also Teil des widersprüchlichen Terrains, das die Klimapolitik momentan prägt. Sie sind aber nicht der Impulsgeber für den Wandel.

* Neue Themen und Bewegungen

Aktuell sind es vor allem soziale Bewegungen und ihre Netze, die Veränderungen im zivilgesellschaftlichen Feld anzeigen. Fast als Gegenkraft zum Climate Action Network (CAN), das die Klimaverhandlungen von Beginn an begleitet, hat sich das Netzwerk Climate Justice Now (CJN) herausgebildet. Letzteres versucht die Defizite der internationalen Politik zu skandalisieren und eine neue Agenda zu entwickeln. Es macht die lange Zeit vorhandenen Blindstellen zivilgesellschaftlichen Engagements in der Klimapolitik wieder sichtbar (Görg/Bedall 2012) – sei es die Thematisierung von Fragen der globalen Gerechtigkeit oder von Alternativen zur Marktorientierung. Es zeigt sich dabei eine deutliche Formveränderung hinsichtlich der Artikulation und den Räumen von Protest. Die zwei Jahrzehnte anhaltende Globalisierungswelle wird zugleich von Re-Regionalisierungs- und Re-Lokalisierungsprozessen überlagert.

In einer Vielzahl von Ländern (primär des globalen Nordens) werden seit 2006 Klimacamps organisiert – Zeltlager, die als Orte politischer Debatte und zugleich Ausgangspunkte für Aktionen zivilen Ungehorsams gegen zentrale Treibhausgasemittenten dienen (Frenzel 2011). Darüber hinaus fanden sich im Anschluss an die Klimakonferenz in Kopenhagen weltweit basisorientierte Zusammenkünfte ein (sog. People’s Assemblies on Climate Justice), die einen ‚klimagerechten’ Gesellschaftswandel in den Blickpunkt rücken. Der Klimawandel wird hier als eine sozial-ökologische Krise und als Teil der Energiekämpfe thematisiert. Es werden Fragen der Machtverhältnisse, der Emanzipation, der Gerechtigkeit oder der Lebensstilformen aufgegriffen.

Während NGOs quasi gefangen sind im offiziellen Protokoll der Klimaverhandlungen – beim Emissionshandel wie beim Clean Development Mechanism (CDM), bei Joint Implementation (JI), REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) oder den Finanzierungsfragen wirken sie beratend mit – , äußern die Bewegungen fundamentale Kritik an den Programmatiken und dieser Kooperation. Einige fordern gar, den UN-Prozess ganz aufzugeben. Damit versuchen sie, den hegemonialen Konsens zu durchbrechen, der die internationale Klimapolitik prägt und auch von NGOs aktiv mitgetragen und damit legitimiert wird. Den Klimawandel als globales Umweltproblem zu konstruieren und nur bestimmte – nämlich marktbasierte – Lösungsansätzen zu bevorzugen, wird weithin abgelehnt.

Dagegen werden Projekte angedacht, die gegenüber den festgefahrenen internationalen Verhandlungen auf andere räumliche Ebenen fokussieren. Beispiele für eine solche ortsspezifische, für nationale wie regionale Gegebenheiten passgenauere Kontextualisierung klimapolitischen Engagements sind Camps an Kohlekraftwerken oder dort, wo CO2 unter die Erde gepumpt werden soll, in Tagebaugebieten oder an Flughäfen. Oft werden Protestereignisse oder –kampagnen auch zeitgleich an verschiedenen Orten rund um den Globus organisiert (siehe 350.org 2009 und CJA 2010); eine Form der lokalen Globalität, die sich von top down-Ansätzen internationaler Politik deutlich unterscheidet.

* Neue Handlungsräume

Solche Protestereignisse weisen im Gegensatz zur internationalen Klimapolitik eine erhöhte Inklusivität auf. Die Hürden für die politische Teilhabe einzelner AktivistInnen oder BürgerInnen werden herabgesetzt. Zugleich wird die Dominanz bzw. der Ausschluss von NGOs überwunden, der das zivilgesellschaftliche Feld der internationalen Klimapolitik bisher im Wesentlichen kennzeichnet. Bewegungen haben das Ziel, sich als Souverän in Erinnerung zu rufen. Mit ihnen – siehe auch die Occupy-Bewegung – werden offene und freie Willensbildungsprozesse, die Transparenz der Entscheidungsfindung, demokratische Organisationsformen, der Abbau patriarchaler Herrschaft und die Gleichstellung der Geschlechter unmittelbar erleb- und erfahrbar.

Die Camps, Kampagnen und Assemblies kommen der Norm einer demokratischen Ordnung in einer Art und Weise nahe, von der die Klimaverhandlungen in Doha weit entfernt sind. Die Bewegungen weisen auf ein demokratisches Vakuum hin, das in der internationalen Politik herrscht und darauf, dass sich die klimapolitischen Institutionen in vielerlei Hinsicht öffnen müssen. Eine Demokratisierung bringt zugleich die Chance mit sich, dass die Ideen vielfältiger werden und sich das Handlungsrepertoire erweitert. Gerade aus einer Vielzahl von lokalen und nationalen Projekten und Protesten, die dem gesellschaftlichen Umfeld entsprechen, ergeben sich neue Ansätze. In Zeiten kriselnder internationaler Klimapolitik erscheint die konfliktiv-kooperative Prozessbegleitung dagegen weit weniger erfolgversprechend.

Für einen Klimaschutz, der als umfassendes gesellschaftliches Projekt des Wandels angelegt ist, kann die Strategie der Dezentralisierung nur von Vorteil sein. Zivilgesellschaftliche Akteure sollten jedoch nicht auf die Rolle einer Reparaturinstanz oder eines Demokratielieferanten verkürzt werden. Vielmehr sind sie – in all ihrer Widersprüchlichkeit – auch politische Subjekte, die sich in Krisenzeiten – nicht zuletzt aus der Not geboren – widersetzen können. Indem sie neue Inhalte, Artikulationsformen und Räume für den Protest öffnen, gerät auch die internationale Klimapolitik unter dem Dach der UN unter Legitimations- und Veränderungsdruck. Darin, das Klima und den Klimaschutz neu zu denken (Brunnengräber et al 2008), liegt die große Chance der Transformation. Mit der Artikulation ausgeschlossener Themen bricht der hegemoniale klimapolitische Konsens zunächst im zivilgesellschaftlichen Feld auf. (Zwischen-)staatliches Handeln wird davon nicht unbeeinflusst bleiben.

Philip Bedall ist Umweltwissenschaftler und promoviert an der Uni Kassel (phbedall@riseup.net), Achim Brunnengräber ist Privatdozent am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin, Otto-Suhr-Institut (priklima@zedat.fu-berlin.de).

Literaturhinweise:
* 350.org (2009): International Day of Climate Action (24 October). A day to remember... . Bezug über: http://www.350.org/october24/.
* Brunnengräber, Achim (Hg.) (2011): Zivilisierung des Klimaregimes. NGOs und soziale Bewegungen als Akteure der nationalen, europäischen und internationalen Politik. Wiesbaden.
* Brunnengräber, Achim et al. (2008): Das Klima neu denken. Eine sozial-ökologische Perspektive auf die lokale, nationale und internationale Klimapolitik, Münster: Westfälisches Dampfboot
* CJA – Climate Justice Action (2010): Global Day of Action. On October 12, 2010: Change the system, not the climate! Call for a global day of direct action for climate justice. Bezug über: http://www.climate-justice-action.org/news/2010/06/16/global-day-of-action-for-climate-justice/.
* Frenzel, Fabian (2011): Entlegene Orte in der Mitte der Gesellschaft. Zur Geschichte der britischen Klimacamps. In: Brunnengräber, Achim (Hg.): 163–185.
* Görg, Christoph & Philip Bedall (2012): Antagonistische Positionen. Die Climate Justice-Koalition vor dem Hintergrund der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse. In: Dietz, Matthias & Heiko Garrelts (Hg.): Handbuch der Klimabewegung. Wiesbaden im Erscheinen.
* Unmüßig, Barbara (2011): NGOs in der Klimakrise. Fragmentierungsprozesse, Konfliktlinien und strategische Ansätze. In: Brunnengräber, Achim (Hg.): 45–57.
* WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin.

Veröffentlicht: 4.11.2012

Empfohlene Zitierweise:
Philip Bedall/Achim Brunnengräber, Internationale Klimapolitik in der Transformation: Die Zivilgesellschaft als Triebkraft?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 4. November 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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