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London oder Berlin: Wer ist der größte Bremser?

Artikel-Nr.: DE20120602-Art.28-2012

London oder Berlin: Wer ist der größte Bremser?

Gerangel um EU-Finanzmarktregulierung

Als Ursache für die schleppende Reform der EU-Finanzmärkte galt bislang allzu oft Großbritannien. Inzwischen tun sich aber auch die Deutschen immer mehr als Bremser hervor. Nicht nur hat die deutsche Regierung gegen starke Eigenkapitalregeln opponiert, deutsche Konservative wollen offensichtlich auch eine wirksame Regulierung der Rohstoffspekulation verhindern, schreibt Markus Henn.

Die Banken stehen weiter im Fokus der europäischen Finanzmarktregulierung. Mitte Mai kam es bei der Umsetzung der neuen Eigenkapitalvorgaben von Basel III in den entsprechenden EU-Gesetzen zur Abstimmung der rund 2.200 Änderungsvorschläge im Finanzausschuss des EU-Parlaments, zugleich einigte sich der Rat der Finanzminister auf eine Position.

* Eigenkapital, Hebelgrenzen und Schattenbanken

Das Parlament spricht sich unter anderem für die Möglichkeit aus, dass Mitgliedstaaten für Großbanken höhere Eigenkapitalquoten vorschreiben können. Genau dieser Punkt sorgte im Rat für einen Eklat: Die deutsche Regierung wollte die Eigenkapitalvorgaben deckeln, und ausgerechnet die oft zu Recht gescholtenen Briten setzten sich für nach oben offene Vorgaben ein. Auch in einer anderen Hinsicht zeigte sich der Einfluss der Banken: Eine klare Hebelgrenze („leverage ratio“) wurde verhindert.

Die EU will nun außerdem einen Gesetzesrahmen schaffen, um Pleitebanken besser abwickeln zu können. Momentan läuft hierzu erst einmal eine Konsultation. Ein ähnlicher Rahmen wurde in Deutschland schon Ende 2010 beschlossen, allerdings blieb schon dort fraglich, ob im Ernstfall eine Bankeninsolvenz überhaupt möglich wäre. Vor allem bleiben die ökonomischen Risiken unkalkulierbar. Gegen Pleiterisiken wäre nur eine starke Verkleinerung und Beschränkung der Banken wirksam. Da aber diese schon in Deutschland unterbleibt, sind die Chancen auf europäischer Ebene gleich null. Denn dort verteidigen die Mitgliedstaaten im Zweifel ihre nationalen Bankchampions.

Neben den formellen Banken will die EU sich auch verstärkt um die informellen Schattenbanken kümmern. Darunter werden alle Finanzakteure verstanden, die bankähnliche Leistungen anbieten. In einem Konsultationspapier hat die Kommission eine Vielzahl von Überlegungen angestellt, was alles getan werde könnte. Dass tatsächlich etwas getan werden wird, ist aber bislang nicht erkennbar. Trotz Finanzkrise werden die Fonds und Sondergesellschaften weiterhin im globalen Finanzsystem als treibende und allzu oft Unheil stiftende Kräfte geduldet.

* EMIR und MiFID

Endlich beschlossen wurde Ende März die neue Europäische Marktinfrastruktur-Verordnung (EMIR) zu außerbörslichen Derivaten. Wie sehr diese Verordnung den Derivatemarkt verändern und beschränken wird, hängt stark von der Durchführung ab. Vor allem muss noch genauer bestimmt werden, welche Derivate als standardisierbar gelten und deshalb zentral abgewickelt werden müssen. Für den Rest braucht es zumindest mehr Sicherheiten. Die EU-Wertpapieraufsicht ESMA muss nun gemeinsam mit der Kommission die Details festlegen und wird dabei intensiv von der Finanzwirtschaft beäugt und bearbeitet.

Währenddessen soll angeblich der größte deutsche Weizenhändler Toepfer International schon ein Clearing einplanen, obwohl die EMIR gerade für solche „nicht-finanziellen“ Unternehmen eine Ausnahme für Absicherungsgeschäfte vorsieht. Nur wenn ein Unternehmen so wie eine Bank spekuliert, muss es laut EMIR clearen. Womöglich trifft dies auch auf Toepfer zu. Schon jetzt wird jedenfalls immer klarer, dass mit den Clearinghäusern neue Finanzmonster geschaffen werden – im Mai erkannten US-Behörden erstmals eines als „zu groß zum Pleitegehen“ an.

Demgegenüber hat die Richtlinie zu Märkten für Finanzinstrumente (MiFID) noch einen langen Weg (>>> Entwurf) und wird gerade erst richtig von den Abgeordneten und den Ministerien durchgearbeitet. Vor allem erstere haben ganze Arbeit geleistet: Im Mai erschienen rund 2.000 Änderungsanträge. Das Parlament sieht die Endabstimmung im Finanzausschuss schon am 9./10. Juli vor. Allerdings halten die meisten Beobachter diesen Zeitplan für unrealistisch. Auch der Rat der Finanzminister berät in Arbeitsgruppen und will im Juni eine erste Position veröffentlichen. Vor Oktober ist aber auch hier nicht mit einem echten Ergebnis zu rechnen.

* Kontroverse um Hochfrequenzhandel

Die Regulierung von Hochfrequenzhandel im Rahmen der MiFID ist eine der Hauptkontroversen. Zwar stimmen alle EU-Abgeordneten überein, dass es eine Unterscheidung zwischen algorithmischem Computerhandel und Hochfrequenzhandel braucht und letzterer das eigentliche Problem darstellt. Doch schlägt jede Fraktion andersartige Definitionen und Beschränkungen vor.

Auch bei den Konsequenzen variieren die Ansichten stark. Die meisten Fraktionen wollen den Hochfrequenzhandel nur diskriminieren und dadurch etwas reduzieren, einzig die Linke will ihn komplett verbieten. Die Grünen schlagen zumindest eine Begrenzung auf 20% eines Handelsplatzes vor. Allerdings wollen auch die anderen Gruppen bestimmte Formen des Handels unterbinden, die oft von Hochfrequenzhändlern genutzt werden, vor allem den direkten („nackten“) Zugang zu Handelsplätzen. Alle Fraktionen schlagen verschiedene Mindesthaltefristen vor, um den Handel zu bremsen.

Die Debatte wird nun noch dadurch angefeuert, dass die deutsche Regierung Ende Mai einen Alleingang gegen den Hochfrequenzhandel verkündet hat. Die Vorschläge scheinen allerdings gemessen an den EU-Diskussionen recht harmlos zu sein. Wie wichtig die Einschränkung dieses Handels ist, macht eine neue Studie von UNCTAD-Forschern klar. Dort wird aufgezeigt, wie sehr die Rohstoffpreise inzwischen durch den Hochfrequenzhandel beeinflusst werden. Auch wenn diese Entwicklung in den USA besonders weit fortgeschritten ist, beginnt sie auch Europa zu erfassen, wo zumindest ein Hochfrequenzfonds namens Cyril H.F. mit Soja und Mais handelt.

* Rohstoffspekulation: Konservative rudern zurück

Bei Rohstoffderivaten gibt es zur MiFID noch weniger Übereinstimmung. Der einzige gemeinsame Nenner scheint, dass alle Abgeordneten zwischen Absicherungsgeschäften und Spekulation unterscheiden, und letztere schlechter stellen wollen. Die Anwendung von Positionslimits (Handelsbegrenzungen) erweist sich als besonders kontrovers. Aber wie schon bei der Bankenregulierung sind es nicht die britischen Abgeordneten, die sich besonders gegen die Limits einsetzen, sondern deutsche Konservative.

Das kommt überraschend, da der konservative Parlamentsberichterstatter Markus Ferber (CSU) in seinem Entwurfsbericht vom März einige seiner stärksten Regulierungsvorschläge gerade hierzu gemacht hatte. Unter anderem wollte er die Möglichkeit „alternativer Maßnahmen mit gleichwertiger Wirkung“ löschen, welche von der Kommission als Ersatz für verbindliche Grenzen vorgesehen war. Nun will der Abgeordnete Werner Langen (CDU) die Limits ganz streichen. Dies geht offensichtlich auf Lobbygruppen der deutschen Industrie zurück, die dasselbe gefordert hatten.

Aber die größte Überraschung kommt von Ferber selbst. Er will nun nur noch eine „Positionskontrolle“, bei der die Handelsplätze die Positionen entweder im Einzelfall oder mit allgemeinen Limits begrenzen „können“. Dieser Vorschlag ist sogar schwächer als der ursprüngliche der EU-Kommission, wo die Handelsplätze zumindest eine dieser beiden Maßnahmen anwenden „sollen“.

Auf der anderen Seite wollen Grüne, Linke und Sozialdemokraten die Limits stärken, u.a. als „Vorbeugung gegen exzessive Spekulation“. Sozialdemokraten und Linke schlagen sogar Verbote für Finanzprodukte vor, die sich an den Rohstoffpreisen orientieren. Außerdem will die Linke den Marktanteil von Positionen ohne Absicherungszweck auf 20% begrenzen. Solche klaren Grenzen wären nötig, damit Finanzspekulanten nicht mehr die Rohstoffmärkte als Renditequelle anzapfen können.

Markus Henn ist Politikwissenschaftler und Referent für Finanzmärkte bei WEED.

Veröffentlicht: 2.6.2012

Empfohlene Zitierweise:
Markus Henn, London oder Berlin: Wer ist der größte Bremser? Gerangel um EU_Finanzmarktregulierung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 2. Juni 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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