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Neoliberales Versagen à la Mexiko

Artikel-Nr.: DE20120704-Art.34-2012

Neoliberales Versagen à la Mexiko

Die wirtschaftlichen Hintergründe der Wahlen

Nur im Web - Wenn jemals ein Wahlausgang aufgrund wirtschaftlicher Faktoren vorhergesagt werden konnte, dann der in Mexiko. Die herrschende PAN-Partei musste verlieren, da sie mehr als elf Jahre lang ein grundlegendes wirtschaftliches Versagen zu verantworten hatte. Nahezu jede Regierung der Welt hätte unter solchen Umständen verloren. Ein Kommentar von Mark Weisbrot.

Während einige registriert haben, dass die Wirtschaft für die Wahlen eine gewisse Rolle spielte, scheint fast kein Kommentator die Tiefe des wirtschaftlichen Scheiterns Mexikos erkannt zu haben. Beginnen wir mit ein paar grundlegenden Fakten: Seit dem Jahr 2000, als die PAN zum ersten Mal gewählt wurde, ist das Pro-Kopf-Einkommen in Mexiko gerade mal um 0,9% pro Jahr gewachsen. Für ein Entwicklungsland ist dies schlimm und entspricht weniger als der Hälfte des Wachstums Lateinamerikas im gleichen Zeitraum – was nicht gerade brillant war. Die Zahlen sind sogar noch verheerender, wenn man nur das Pro-Kopf-Wachstum seit den Wahlen von 2006 betrachtet: In dieser Phase war Mexiko das Schlusslicht Lateinamerikas.

* Rekord-Wachstumseinbruch

Doch die Krise ist noch tiefer. Mexiko erlitt – wie die Region insgesamt – in den beiden Jahrzehnten vor der Wahl der PAN, also zwischen 1980 und 2000, einen Rekord-Wachstumseinbruch. Wäre die mexikanische Wirtschaft lediglich in dem Tempo von vor 1980 weiter gewachsen, hätte das Land heute einen Lebensstandard von europäischem Niveau. Es würde relativ wenige Mexikaner geben, die nördlich der Grenze nach Arbeit suchen. Und das ist keineswegs unwahrscheinlich: Mexikos Wachstum vor 1980 war gut, wenn auch nicht so atemberaubend wie das Niveau Chinas in den letzten 30 Jahren.

Es ist heute nicht gerade en vogue unter den „Experten“ zu sagen, dass die Wirtschaft Mexikos in den letzten 30 Jahren so abgrundtief schlecht abgeschnitten hat. Das hängt teilweise damit zusammen, dass dies die Periode ist, in der Mexiko seine Wirtschaftspolitik drastisch in die Richtung geändert hat, die in Lateinamerika „Neoliberalismus“ genannt wird: Abschaffung der staatlich gesteuerten Industrialisierungs- und Entwicklungspolitik, Straffung der Währungs- und Fiskalpolitik, Liberalisierung der Auslandsinvestitionen und des Handels. Der Vertrag über die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) war nur ein Schritt in dieser Transformation, denn Washington hatte seit 1980 eine starke „unsichtbare Hand“ in diesem Prozess, sowohl direkt als auch über Institutionen wie den IWF und die Weltbank. Und heute gehen 80% der Nicht-Öl-Exporte Mexikos in die Vereinigten Staaten.

Natürlich waren nicht alle dieser Politiken verfehlt – doch im Ergebnis haben sie in jeder Hinsicht versagt. Dasselbe passierte in der Region von 1980 bis 2000, als das BIP pro Kopf um 6% wuchs, verglichen mit 92% während der beiden vorhergehenden Jahrzehnte.

* Gegen den regionalen Trend

Die große Mehrheit der Region auf das langfristige ökonomische Versagen der 1980er und 90er Jahre – die schlechteste Entwicklung seit über einem Jahrhundert – indem sie linke Regierungen wählte: Argentinien, Brasilien, Venezuela, Bolivien, Ekuador, Paraguay, Uruguay, Nikaragua, El Salvador und andere. Die dortigen Parteien und Kandidaten traten explizit gegen das an, was sie „Neoliberalismus“ nannten. Doch warum bewegte sich Mexiko nach rechts?

Die Antwort liegt teilweise im mexikanischen Wahlsystem und der Medienlandschaft. Der Kandidat der linken PRD (Partei der Demokratischen Revolution) wurde schon 1988 um seinen Wahlsieg gebracht. Die Wahl von 2006 ging sehr knapp aus: Filipe Calderón von der PAN wurde mit nur 0,58% zum Wahlsieger erklärt, doch die Wahlbehörden veranlassten eine Neuauszählung von 9% der Stimmen, veröffentlichten aber niemals die Ergebnisse. Ein Vergleich der neu ausgezählten Wahlbezirke mit ursprünglichen Zahlen hätte gezeigt, wie Calderóns Vorsprung schwand.

Wichtiger noch: Es zeigte sich, dass die monopolisierten Fernsehmedien in den Wahlen von 2006 eine bezeichnende Rolle spielten – so groß um den PRD-Kandidaten Andrés Manuel López Obrador um den Sieg zu bringen. Bei 95% der TV-Landschaft unter der Kontrolle von nur zwei Medien, die nachgewiesenermaßen stark einseitig berichten, hat ein Kandidat links von der Mitte wenig Chancen. Barack Obama wäre heute nicht Präsident der USA, hätte er 2008 mit ähnlichen Medien zu tun gehabt, weil die meisten Amerikaner geglaubt hätten, er sei ein außerhalb der USA geborener Moslem.

Über die Hälfte aller Mexikaner leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, doch die neue Regierung hat der armen Mehrheit wenig zu bieten oder auch nur ein Konzept, zu dem langfristigen Wachstum Mexikos von einst zurückzukehren. Es ist traurig, aber Mexikos wirtschaftlicher Fortschritt wird wahrscheinlich solange sehr begrenzt bleiben, bis es bei Wahlen mehr Chancengleichheit gibt.

Mark Weisbrot ist Ko-Direktor des Center for Economic Policy Research (CEPR) in Washington DC. Sein Kommentar erschien zuerst in der New York Times.

Veröffentlicht: 4.7.2012

Empfohlene Zitierweise:
Mark Weisbrot, Neoliberales Versagen à la Mexiko. Die wirtschaftlichen Hintergründe der Wahlen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 4. Juli 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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