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Primat der Entwicklung oder der Finanzmärkte?

Artikel-Nr.: DE20120309-Art.12-2012

Primat der Entwicklung oder der Finanzmärkte?

Globalisierungsdebatte auf UNCTAD XIII

Vorab im Web – Vom 21. bis 26. April 2012 findet in Doha/Qatar die XIII. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) statt – die alle vier Jahre wiederkehrende Vollversammlung der einschlägigen Spezialorganisation der Vereinten Nationen. Das Konferenzthema lautet diesmal „Development-centred globalization: Towards inclusive and sustainable growth and development” (etwa: Entwicklungsorientierte Globalisierung: Für inklusives und nachhaltiges Wachstum und Entwicklung). Eine Vorschau von Rainer Falk.

Seit Mitte der 1990er Jahre hat UNCTAD, die traditionell als Forum der Entwicklungsländer gilt, versucht, die Interessen des Südens gegenüber der Wucht der neoliberalen Globalisierung zu behaupten und Entwicklungsspielräume immer neu auszuloten. Schon 1994 bei UNCTAD IX in Midrand/Südafrika lautete die Leitfrage, wie Wachstum und nachhaltige Entwicklung in einer sich globalisierenden und liberalisierenden Welt gefördert werden könnten (W&E-Sonderdienst 2/1996). Vier Jahre später wollte man die Globalisierung sogar in ein „effizientes Instrument für die Entwicklung“ verwandeln (W&E-Sonderdienst 1/2000). 2004 in Sao Paolo sollten globale ökonomische Interessen unter dem Stichwort „Policy space“ mit nationalen Entwicklungsstrategien in Einklang gebracht werden (W&E 07/2004). Und vor vier Jahren in Accra/Ghana stand die „Indienstnahme der Globalisierung für Entwicklung“ auf dem Programm (W&E 06/2008).

* Bruch mit den Dogmen der letzten 30 Jahre

Die Oberthemen der Konferenzen wurden mehr oder weniger verklausuliert in Anpassung an die diplomatische Sprache der UNO formuliert. Noch sperriger lasen sich zumeist die Unterthemen der Konferenzagenda. In diesem Jahr geht es beispielsweise um:
* die Förderung günstiger ökonomischer Rahmenbedingungen auf allen Ebenen;
* die Stärkung aller Formen der Kooperation und Partnerschaft für Handel und Entwicklung, einschließlich der Nord-Süd-, der Süd-Süd- und der trilateralen Zusammenarbeit;
* die Bearbeitung anhaltender und neuer Entwicklungsherausforderungen und ihrer Implikationen für Handel und Entwicklung sowie die damit zusammenhängenden Fragen von Finanzen, Technologie, Investitionen und nachhaltiger Entwicklung;
* die Förderung von Investitionen, Handel, Unternehmertum und diesbezüglicher Entwicklungspolitiken.

Dennoch strahlen die vorbereitenden Materialien diesmal eine größere Entschlossenheit aus. UNCTAD-Generalsekretär Supachai Panitchpakdi lässt keinen Zweifel daran, dass das Sekretariat der Organisation energischer denn je auf einen konzeptionellen Durchbruch hinarbeiten wird. Geht es nach Supachai, dann soll auf UNCTAD XIII „ein wirklicher Bruch“ mit dem in den letzten 30 Jahren vorherrschenden Denken und ein Umschwung zu einem reformierten System der „entwicklungszentrierten Globalisierung“ erfolgen. Die Erholung von der globalen Rezession dürfe „weder von Durchwursteln noch von einer Rückkehr zum Business as usual gekennzeichnet sein“. Es gehe um nicht mehr und nicht weniger als darum, entscheidende internationale und nationale Schritte zu einem „Globalen New Deal“ zu tun.

* Finanzgetriebene Globalisierung im Fadenkreuz

So steht es im vorbereitenden Bericht des Generalsekretärs an UNCTAD XIII in Doha (s. Hinweis). Der Bericht an die 194 UNCTAD-Mitgliedsstaaten, die auch das Arbeitsprogramm für die nächsten vier Jahre ausarbeiten und beschließen müssen, ist eine willkommene Konkretisierung des Konferenzthemas und macht explizit deutlich, dass dieses in direkter Entgegensetzung zu der „finanzgetriebenen Globalisierung“ der letzten Jahrzehnte steht. „Der Begriff finanzgetriebene Globalisierung kennzeichnet das dominante Muster der internationalen Wirtschaftsbeziehungen während der letzten drei Dekaden“, heißt es in dem Report. „Damit wird die Idee bezeichnet, dass finanzielle Deregulierung, konzertierte Schritte zur Beseitigung der Kapitalverkehrskontrollen und das schnelle Wachstum der internationalen Kapitalflüsse die Hauptkräfte waren, die die globale ökonomische Integration gestaltet haben… Die Finanzmärkte und –institutionen wurden Herren statt Diener der realen Ökonomie, verzerrten Handel und Investitionen, trieben die Ungleichheit nach oben und wurden zu einer systemischen Bedrohung der wirtschaftlichen Stabilität.“

Selbstbewusst weist Supachai darauf hin, dass die UNCTAD-Ökonomen seit den 1990er Jahren vor den Risiken einer verfrühten Liberalisierung der Handels- und Kapitalströme gewarnt haben. 1993 warnte UNCTAD vor der mexikanischen Finanzkrise, die dann 1994 ausbrach. 1995 thematisierte man die systemischen Risiken, die von den wachsenden Derivatemärkten ausgingen. 1997 waren die UNCTAD-Ökonomen unter den ersten Warnern vor den Gefahren der schnellen Finanzliberalisierung in Ostasien. Und seit 2008 weist UNCTAD darauf hin, welche Gefahren mit der Finanzialisierung der Märkte für die Entwicklungsländer verbunden sind.

Der Bericht an UNCTAD XIII zerfällt in drei Teile: erstens die Analyse der finanzgetriebenen Globalisierung und ihrer Grenzen; zweitens das „Rebalancing“ der Weltwirtschaft durch nachhaltige und inklusive Entwicklung; und drittens die politische Ökonomie von Entwicklung. Der wichtigste Teil ist zweifellos der erste.

* Die Lehren aus der Finanzkrise

Die Lehren, die aus der bis heute anhaltenden Finanzkrise zu ziehen wären, liegen für UNCTAD im Grunde genommen klar auf der Hand. So müsste künftig (1) abgerückt werden von der falschen Überzeugung, dass die Märkte sich selbst regulieren können; (2) müsste vermieden werden, dass sich die Finanzmärkte wie geschehen von der realen Ökonomie abkoppeln; eine weitere Lehre (3) besteht darin, dass der Staat die einzige Institution bleibt, die in der Lage ist, die zur Bekämpfung hoher und systemischer Bedrohungen notwendigen Ressourcen zu mobilisieren; und schließlich (4) müsse sich jeder klar machen, dass in einer interdependenten Welt kein Land einzeln in der Lage ist, destabilisierenden Bedrohungen und Ungleichgewichten wirksam entgegenzutreten.

Mit Blick auf den letzten Punkt konzediert der Bericht Supachais durchaus den gewissen Fortschritt, der mit der Formierung der G20 auf Gipfelebene erreicht wurde. Genauso klar konstatiert er aber auch, dass bis heute keine effektiven Strategien des „Rebalancing“ auf multilateraler Ebene erkennbar sind, im Gegenteil: Unübersehbar sind die Signale, die auf eine Rückkehr zum „Business as usual“ hindeuten.

Diesen Tendenzen setzt UNCTAD eine klare Reformbotschaft entgegen: Der Finanzsektor müsse wieder darauf zurück geführt werden, die Sicherheit der Ersparnisse der Menschen zu gewährleisten und Ressourcen für produktive Investitionen zu mobilisieren. „Reformen sind auch notwendig“, schreibt Supachai, „um die prozyklischen Kapitalflüsse durch vorhersagbare und langfristige Entwicklungsfinanzierung zu ersetzen, die Stabilität der Währungsmärkte wieder herzustellen und expansive makroökonomische Anpassungsmaßnahmen zu unterstützen. Überwachung und Regulation müssen auf allen Ebenen gestärkt werden.“

* Der neue Entwicklungsstaat

Eine neue Ära der aktiveren Einbeziehung des Staates ist notwendig, so der Generalsekretär weiter, um den Regierungen zu gestatten, Marktversagen zu korrigieren, die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen auf dem Gebiet langfristiger Investitionen zu fördern, die Integration in die Weltwirtschaft bewusst zu gestalten und sicherzustellen, dass die Erträge gleich und gerecht verteilt werden.

Supachai würdigt den Aufstieg neuer Wachstumspole im Süden (China, Indien, Brasilien, Indonesien etc.), der zugleich eine bedeutsame Verschiebung auf der globalen und ökonomischen politischen Landkarte widerspiegelt. Für ihn spricht es Bände, dass gerade die Erfolgsgeschichten im Süden ohne den neoliberalen Dreiklang von Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung auskamen.

Es bleibt freilich abzuwarten, wie viel von der ehrgeizigen und proaktiven Agenda in der Abschlusserklärung und im Aktionsprogramm durchgesetzt werden kann, über die seit Anfang Februar verhandelt wird. Doch ungeachtet dessen ist klar: Die Reform des Finanzsystems, die UNCTAD vor Doha in den Mittelpunkt gerückt hat, ist der Bereich, mit dem begonnen werden muss.

Hinweis:
* Report of the Secretary-General of UNCTAD to UNCTAD XIII: Development-led globalization: Towards sustainable and inclusive development paths, 106 pp, United Nations: New York and Geneva 2012 (UNCTAD XIII)/1). Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 9.3.2012

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Primat der Entwicklung oder der Finanzmärkte? Globalisierungsdebatte auf UNCTAD XIII, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 9. März 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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