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Rohstoffboom: Geldsegen für den Süden?

Artikel-Nr.: DE20120424-Art.20-2012

Rohstoffboom: Geldsegen für den Süden?

Mehr Nach- als Vorteile für die Armen

Die anhaltenden Preissteigerungen für Rohstoffe und einfache Agrarprodukte untergraben die überkommenen Strukturen dieses Sektors und scheinen den armen Ländern mehr Nach- als Vorteile zu bringen. Die zunehmenden Kosten für Nahrungsmittel und Brennstoffe dieser Länder übertreffen die höheren Einkommen aus dem Rohstoffexport. Dies ist das Ergebnis des neuen Commodities and Development Reports (s. Hinweis), den Rainer Falk ausgewertet hat.

Nach dem Bericht, der erstmals erscheint und am Rande von UNCTAD XIII in Doha vorgestellt wurde, haben sich im Zuge der Finanzspekulation mit Rohstoffen und der zunehmenden Umstellung der Anbauflächen auf Pflanzentreibstoffe die Preisbildungsmechanismen im Rohstoffsektor grundlegend und zu einer Phase anhaltender Preissteigerungen geführt. Was insbesondere für die 48 ärmsten Länder (LDCs), deren Ökonomien oft hochgradig von Rohstoffexporten abhängig sind, ein Boom sein sollte, erweist sich unter dem Strich als negativ, da viele dieser Länder Nettoimporteure von Öl und Nahrungsmitteln sind.

* Wandel des Rohstoffpreis-Zyklus

Seit der Nahrungsmittelpreiskrise von 2008 waren die Preise für Grundnahrungsmittel hoch und volatil, wobei arme Familien besonders verwundbar sind, da sie typischerweise 50% oder mehr ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Der aktuelle Boom der Rohstoffpreise (2003-2011) entwickelte sich anders als vorhergehende Boom-Phasen. Historisch kennzeichnet den Rohstoffpreiszyklus ein kurzer schneller Preisanstieg, auf den ein steiler Rückgang folgt und dann eine lange Stagnationsphase vor dem nächsten Anstieg. Dieser Boom-Bust-Zyklus hat die wirtschaftlichen Aussichten solcher Länder durchkreuzt, deren Entwicklungsstrategie auf dem Export natürlicher Ressourcen oder von Agrarprodukten beruhte. Im Unterschied dazu haben die rohstoffabhängigen Entwicklungsländer (CDDCs) von den relativ nachhaltigen Preissteigerungen seit 2003 (mit einer nur kurzen Entspannung 2009) profitiert.

Eine Triebkraft dieses Wandels ist dem Bericht zufolge der massive Zufluss von Finanzkapital, das die Futures-Märkte für Rohstoffe seit 2003 überflutet hat. Finanzinvestoren unterscheiden sich von Produzenten oder Händlern dadurch, dass sie an der Lieferung des physischen Produkts nicht interessiert sind, sondern vielmehr am Kauf von Kontrakten, die sie später zu höheren Preisen wieder verkaufen wollen, um so spekulative Profite zu erzielen. Da diese Finanzinvestoren ihr Geld aus den krisenhaften Anleihe- und Aktienmärkten abzogen, ist die Zahl der Kontrakte bei Rohstoff-Futures weltweit explodiert – von 500 Mio. in 2003 auf 2,5 Mrd. in 2011. Ähnlich ist der Wert der Rohstoffderivate (Futures und Optionen) weltweit von etwas mehr als 1 Billion US-Dollar in 2003 auf über 8 Billionen US-Dollar in 2007 nach oben geschnellt (und dann 2009 und 2010 auf 3 Billionen zurückgegangen).

* Faktoren Finanzialisierung, China und „Biosprit“

Im Gefolge dieser „Finanzialisierung“ der Rohstoff-Futures haben sich für die Autoren des Berichts das Verhalten und die Ergebnisse auf den Rohstoffmärkten grundlegend verändert, beispielsweise indem sich die Preiserwartungen der Produzenten verändert und ihre Fähigkeit verändert haben, gegen Preisrisiken zu „hedgen“.

Der Report zeigt, dass die Bedeutung der wachsenden Nachfrage Chinas für die steigenden Rohstoffpreise in der Regel übertrieben wird. China verzeichnete in den letzten beiden Jahrzehnten eine schnelle industrielle Entwicklung, ein Prozess, der große Mengen importierter Rohstoffe wie Öl, Metalle und Kautschuk und auch Nahrungsmittel zur Ernährung seiner Fabrikarbeiter erforderte. Doch dies als die Haupttriebkraft für den Preisboom bei durchgängig allen Rohstoffen verantwortlich zu machen, ist zu einfach. Die UNCTAD-Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die chinesische Nachfrage in der Tat dominant auf den Märkten für Metalle wie Kupfer, Nickel und insbesondere Eisenerz war, wo auf China 63% der Weltimporte entfielen. Doch Chinas Anteil an den Weltimporten von Öl (7%) und Agrarrohstoffen (insgesamt weniger als 2%) sind zwar auch nicht gering, aber nicht so hoch, um die Preisbewegungen zu determinieren.

Als drittes neues Phänomen im gegenwärtigen Rohstoffboom identifiziert UNCTAD die Pflanzentreibstoffe, die irreführend oft als „Biosprit“ bezeichnet werden. Im Erntejahr 2003/2004 widmeten die Maisbauern weltweit 5% ihrer Anbaufläche für die Ethanol-Produktion, die als Alternative zu fossilen Brennstoffen vermarktet oder beigemischt wird. Bis zum Erntejahr 2010/2011 hatte sich der Anteil des Maisanbaus für Ethanol auf 15% verdreifacht. Großzügige Subventionsprogramme in den USA, Europa und Brasilien haben dabei eine Rolle gespielt. UNCTAD schätzt, dass die Konkurrenz der Pflanzentreibstoffe mit 15-20% zum Anstieg der Exportpreis für Getreide beiträgt. Grundsätzlicher argumentiert, verknüpfen die Pflanzentreibstoffe die Getreidemärkte mit den Energiemärkten und schwächen den Einfluss von Nachfrage- und Angebotssignalen auf die Getreidepreise.

* Einfluss auf rohstoffabhängige Entwicklungsländer (CDDCs)

Aus entwicklungspolitischer Sicht untersucht der Report auch, wie die einmaligen Charakteristiken des derzeitigen Booms die rohstoffabhängigen Entwicklungsländer (CDDCs) betreffen. Ein unmittelbarer Effekt der hohen und volatilen Nahrungsmittelpreise besteht in der Verringerung der Ernährungssicherheit für die ärmsten Bevölkerungsteile. Die Nahrungsmittelpreiskrise von 2008 hat zusätzliche 119 Millionen Menschen in die Armut gestoßen. Viele CDDCs sind Netto-Nahrungsmittelimporteure, so dass hohe Nahrungsmittelpreise oft Handelsbilanzdefizite zur Folge haben. Anhaltend volatile Nahrungsmittelpreise halten die Bauern zudem von Investitionen in neue Ausrüstungen oder Land ab und verteuern die zur Verfügung stehenden Versicherungs- und Hedginginstrumente.

Viele CDDCs sind darüber hinaus überdurchschnittlich abhängig von Ölimporten. Dadurch werden die zusätzlichen Einkünfte, die sie durch den Export anderer Rohstoffe erzielen, oft aufgewogen durch die zusätzlichen Kosten des Ölimports. Im Ergebnis verschlechtern sich die Handelsbilanzen trotz des Booms. Für die Haushalte in den Entwicklungsländern sind die steigenden Kosten für Nahrungsmittel- und Brennstoffimporte eine ernsthafte Bedrohung, da Nahrungsmittel 50% oder mehr der durchschnittlichen Ausgaben verschlingen – und bei den ärmsten Haushalten noch mehr.

Neben den Zahlungen für die gestiegenen Importkosten bei Öl und Nahrungsmitteln haben die Regierungen der CDDCs ihre Windfall-Erlöse aus den Exporten hauptsächlich auf den internationalen Kapitalmärkten investiert – eine deutliche Abkehr vom früheren exportorientierten Entwicklungsmodell. Im Laufe der schnellen industriellen Entwicklung vieler ost- und südostasiatischer Länder beispielsweise haben die Regierungen die Exporterlöse auf Öl- oder Agrarprodukten in Industrie- oder Infrastrukturprojekte oder auf den heimischen Kapitalmärkten reinvestiert. Diese Investitionen unterstützten die Diversifizierung ihrer Ökonomien, verbesserten ihre produktiven Kapazitäten und erhöhten das verfügbare Kapital.

Statt solche Investitionen zu tätigen, haben die Regierungen des CDDCs ihre Exporterlöse verstärkt zur Rückzahlung der Auslandsschulden und zum Aufbau ausländischer Währungsreserven verwendet. Solche Transaktionen sind wichtig, um Solvenz und Stabilität gegenüber ausländischen Investoren zu demonstrieren, doch tragen sie nicht zum Ausbau produktiver Sektoren im Lande bei.

* Empfehlungen

Für UNCTAD sind diese Trends symptomatisch für den breiteren Wandel hin zu einem Modell der „finanzgetriebenen Globalisierung“. Dieser Wandel hat einschneidende Folgen für Länder mit exportorientierten Entwicklungsstrategien. Die Autoren geben daher eine Reihe politischer Empfehlungen:

* Es sollten nationale und regionale Nahrungsmittelreserven aufgebaut werden, um die Länder, in denen die Ernährungssicherheit bedroht ist, zu unterstützen.
* Der jüngste Übergang zur „finanzgetriebenen Globalisierung“ sollte, vor allem sofern er sich auf Rohstoffe bezieht, überdacht werden, vor allem mit Blick auf das gängige Entwicklungsmodell, indem Profite aus Rohstoffexporten zur Steigerung der heimischen Investitionen verwendet werden, die die Diversifizierung und den Kapazitätsausbau unterstützen.
* Haushalts- und Steuerpolitiken müssen so angepasst werden, dass sie die Entwicklungsländer dabei unterstützen, aus den Rohstoffexporten stabile und langfristige wirtschaftliche Vorteile zu ziehen.
* National und international sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Situation der Kleinbauern und anderer kleiner Rohstoffproduzenten in den armen Ländern zu unterstützen.
* Schließlich geht es auch darum, die „internationale Governance-Architektur“ unter dem Aspekt einer anderen Rohstoffpolitik zu reformieren und dafür politische und technische Vorschläge zu entwickeln.

Hinweis:
* UNCTAD, Commodities and Development Report: Perennial problems, new challenges and evolving perspectives (overview), 33 pp, United Nations: New York and Geneva 2012. Bezug: über www.unctad.org
Veröffentlicht: 24.4.2012

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Rohstoffboom: Geldsegen für den Süden, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 24. April 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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