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Tut sich was in der Gemeinsamen Agrarpolitik?

Artikel-Nr.: DE20120204-Art.07-2012

Tut sich was in der Gemeinsamen Agrarpolitik?

EU-Debatte zwischen Inkohärenz und Reform

Vorab im Web – In der Europäischen Union wird derzeit der Vorschlag zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik diskutiert, den die Kommission im Oktober letzten Jahres vorgelegt hat. Der Vorschlag will vor allem das Subventionsregime stärker an ökologischen Kriterien ausrichten. Gleichzeitig sollen Exporte weiter subventioniert werden können. Während das deutsche Agrarministerium die meisten ökologischen Elemente kritisiert, hat es jetzt überraschend das Ende der Exportsubventionen gefordert, berichtet Tobias Reichert.

Der Landwirtschaftskommissar der Europäischen Union, Dacian Ciolos, strebt eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an. Kernziel ist es, den mit über 50 Mrd. € jährlich zweitgrößten Posten des EU-Haushalts besser zu begründen. Damit soll verhindert werden, dass die Mittel im Zuge des allgemeinen Sparzwangs im Finanzplan 2014-2020 stark gekürzt werden.

* Vorsichtige Ökologisierung

Der Reformvorschlag setzt am mit Abstand größten Ausgabenposten der GAP an: Den Direktzahlungen an die Landwirte, die pro Hektar bewirtschafteter Fläche gezahlt werden. Deren Höhe orientiert sich letztlich noch an den Ausgleichszahlungen, die den Landwirten für die bei der ersten GAP-Reform 1992 vorgenommenen Preissenkungen gewährt wurden. Durch die Bindung an die Anbaufläche profitieren vor allem große Betriebe. Zudem verursacht oder verschärft die so geförderte Landwirtschaft viele Probleme im Umweltschutz und in der ländlichen Entwicklung. Stichworte sind die Nitratbelastung des Trinkwassers, der anhaltende Artenschwund und ein signifikanter Beitrag zum Klimawandel, obwohl die Landwirtschaft als einer der ganz wenigen Wirtschaftszweige sogar als Senke für CO2 dienen könnte, da Kohlenstoff langfristig im Boden gebunden werden kann.

Die Kommission will daher eine Obergrenze für die Direktzahlungen pro Betrieb einführen und sie stärker an ökologische Bedingungen binden. Dies würde einen grundlegenden Paradigmenwechsel der Agrarpolitik darstellen, auch wenn die Vorgaben so niedrig gewählt wurden, dass die meisten Betriebe sie schon heute einhalten. Ist das Prinzip, dass Zahlungen vom Umweltverhalten der Landwirte abhängen, erst einmal durchgesetzt, können die ökologischen Kriterien weiter angehoben werden – so zumindest die Hoffnung der Kommission.

* Entwicklungspolitisch inkohärent

Entwicklungspolitische Erwägungen spielen im Kommissionsvorschlag keine Rolle. Nach Ansicht der Kommission sind die wesentlichen Probleme in diesem Bereich gelöst, seit die Exportsubventionen von über 10 Mrd. Anfang der 1990er auf aktuell etwa 160 Mio. € reduziert wurden. In der Tat spielen EU-Exporte für wichtige Produkte wie Rindfleisch, Zucker und Getreide heute eine viel geringere und weniger problematische Rolle als damals.

Entwicklung der EU-Fleischproduktion...


... und Sojaimporte der EU


Doch gerade bei Milchprodukten, Geflügel- und Schweinefleisch ist die EU allerdings weiterhin ein wichtiger Exporteur, sogar mit steigender Tendenz, da die Produktion bei stagnierendem Binnenverbrauch ansteigt. Die Exporte, vor allem von Milchpulver und Hühnerfleisch, gehen zu einem bedeutenden Teil auch in ärmere Entwicklungsländer, vor allem in Westafrika. Sie behindern dort den Aufbau von Produktionsketten für die wachsenden städtischen Märkte und verringern die Chancen der überwiegend kleinbäuerlichen Produzenten.

In den Vorschlägen der Kommission wird auch nirgends problematisiert, dass der zunehmende Export tierischer Produkte nur durch weiter steigende Futtermittelimporte - vor allem Sojaschrot - möglich ist. Gerade die zunehmend intensive Produktion von Geflügel und Schweinen nimmt zu, die einen hohen Bedarf an Eiweißfutter haben. Auch Kühe mit hohen Milchleistungen sind auf eiweißreiches Kraftfutter angewiesen (s. Grafik).

* EU-Sojaimporte contra Welternährung

Um die steigende Nachfrage aus Europa (und Asien) zu decken, wird der Sojaanbau vor allem in Südamerika kontinuierlich ausgebaut – mit oft hoch problematischen ökologischen und sozialen Folgen: Kleinbauern werden von ihrem Land vertrieben, und ökologisch wertvolle Wald- und Grasflächen werden umgebrochen. Diese Landnutzungsänderung ist auch der wichtigste Grund dafür, dass allein die deutschen Sojaschrotimporte Emissionen verursachen, die über einem Viertel derer aus der Landwirtschaft in Deutschland entsprechen.

Seit dem Anstieg der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel und der dadurch deutlich werdenden Knappheiten der Produktionsfaktoren – vor allem Land und Wasser – tritt ein anderer negativer Aspekt der Sojaschrotimporte stärker in den Vordergrund: Im Jahr 2007 nahm die Produktion von Sojabohnen für den europäischen Markt Flächen in Anspruch, die etwa einem Drittel der Ackerfläche in der EU entsprechen. Die europäische und deutsche Sojanachfrage kommt damit zunehmend in Konflikt mit dem Anbau von Nahrungsmitteln für die wachsende Weltbevölkerung.

In den Vorschlägen der Kommission finden sich keine Ansätze, diesen Problemen zu begegnen. Viele intensive Tierhaltungsbetriebe bewirtschaften kaum noch eigene Flächen und werden durch ökologische Auflagen für die Flächenprämien kaum erfasst. Auch bezüglich der importierten Agrarprodukte, einschließlich der Sojaimporte für Futtermittel, gibt es keine Ansätze, die Probleme, die aus dem Anbau von Soja für den europäischen Markt entstehen - vor allem die Landnutzungsänderung - anzugehen.

Im Gegenteil plant die Kommission sowohl die Exportsubventionen als auch Investitionsbeihilfen, die überwiegend für Stallbauten eingesetzt werden, im agrarpolitischen Instrumentenkasten zu behalten. Steigende Exporte von Fleisch und Milch sieht die Kommission auch nicht als Problem, sondern als begrüßenswerte Entwicklung. Exportsubventionen sollen dazu genutzt werden können „einen angemessenen Anteil der EU am Weltagrarhandel sichern“. Investitionsbeihilfen werden grundsätzlich an alle Betriebe vergeben, obwohl das WTO-Agrarabkommen eigentlich vorschreibt, dass nur Investitionen von benachteiligten Betrieben gefördert werden dürfen.

* Deutsche Kehrtwende bei Exportsubventionen

Nachdem die Kommission ihren Vorschlag vorgelegt hat, müssen nun der Europäische Rat - also die Mitgliedsstaaten ihre Position dazu entwickeln. In der Vergangenheit gehörte Deutschland - vor allem unter konservativen Regierungen - in der Regel zu den entschiedensten Verteidigern des Status quo. Zumindest in Bezug auf die Neuausrichtung der Direktzahlungen ist das auch bei dieser Reformrunde der Fall. Das Landwirtschaftsministerium lehnt die Vorschläge der Kommission mit Verweis auf zu große Bürokratie ab.

Zu den Exportsubventionen hat die Bundesregierung dagegen überraschend ihre Position geändert und sich an die Spitze der Reformer gesetzt. Statt wie bislang den Abschluss der mittlerweile praktisch gescheiterten Doha-Runde der WTO abwarten zu wollen, forderte sie beim letzten Agrarrat der EU, die Exportsubventionen vollständig und endgültig abzuschaffen. Ob sie sich damit gegen Frankreich und andere Mitgliedsstaaten durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. In Deutschland stellt der Kursschwenk einen wichtigen Lobbyerfolg für die vielen NGOs dar, die dies seit langem fordern, und innerhalb der Regierung für das BMZ, das schon seit mehreren Legislaturperioden mit dem Agrarministerium in dieser Frage über Kreuz lag.

Tobias Reichert ist handels- und agrarpolitischer Referent der Nord-Süd-Initiative Germanwatch.

Veröffentlicht: 5.2.2012

Empfohlene Zitierweise: Tobias Reichert, Tut sich was in der Gemeinsamen Agrarpolitik? Eu zwischen Inkohärenz und Reform, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Februar 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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