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Von MDGs zu SDGs?

Artikel-Nr.: DE20120605-Art.27-2012

Von MDGs zu SDGs?

Über Rio+20 hinaus

In der Vorbereitung auf die Rio+20-Konferenz zeichnet sich ein breiter Konsens darüber ab, für die Zeit nach 2015 global Nachhaltige Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) zu vereinbaren, die die bisherigen Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) ergänzen oder sogar ersetzen sollen. Die SDGs sollen nicht nur den politischen Willen für nachhaltige Entwicklung unterstreichen, sondern auch den konkreten Weg dorthin aufzeigen. Klaus Schilder beleuchtet die Debatte.

Es scheint inzwischen allgemein anerkannt zu sein, dass die MDGs mit ihrem starken Fokus auf soziale Entwicklung um die Dimension nachhaltiger Entwicklung ergänzt, in die existierenden internationalen Rahmenabkommen, darunter die internationalen Menschenrechtsverträge, eingebettet sowie durch die Ausrichtung an den in der Millennium-Erklärung benannten Werten und Prinzipien verortet werden müssen und damit globale Geltung erhalten. Soweit so gut. Doch der Weg dorthin ist steinig.

* Neuer MDG-Coup?

Nach dem derzeitigen Verhandlungsstand werden sich die Staaten in Rio nur auf allgemeine Kernbereiche für kohärente globale Nachhaltigkeitsziele verständigen, darunter zum Energie-, Wasser- und Nahrungsnexus, zu Ozeanen sowie nachhaltigem Konsum und Produktion. Dazu kommen Querschnittsthemen wie Gerechtigkeit und soziale Inklusion, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung, Geschlechtergerechtigkeit und die Stärkung der Frauenrechte. Die Liste möglicher Themen ist lang: weitere Zielvorgaben, darunter zum globalen Ökosystemschutz oder zur Widerstandfähigkeit gegen Naturkatastrophen, sind denkbar.

Über die Ausarbeitung der konkreten Ziele und Indikatoren besteht bislang keine Einigkeit. Klar ist nur: Der Prozess soll breit und partizipativ sein, die Wiederholung eines „MDG-Coups“ einiger weniger Schlüsselakteure soll ausgeschlossen werden. Während sich Deutschland in der EU für möglichst konkrete Themenvorgaben in Rio, darunter in den Bereichen Green Jobs, nachhaltige Produktion und Konsum, Wasser und Entsorgung, Nahrungssicherheit, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit in Städten sowie Gesundheit und Erziehung, einsetzt, fordern vor allem die G77, sich zunächst nur auf die Prozessmodalitäten zu verständigen und die konkreten Inhalte erst später zu verhandeln.

Die Suche nach globalen Nachhaltigkeitszielen und neuen Maßstäben für die Wohlstandsmessung jenseits des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steht zudem im ungelösten Widerspruch zum prinzipiellen Bekenntnis zu nachhaltigem grünen Wachstum („sustained economic growth“) im Rest des Entwurfs der Rio-Abschlusserklärung. Denn bereits jetzt ist klar: In Rio werden keine neuen Wege hin zu Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen jenseits der traditionellen Wachstumsgläubigkeit beschritten werden. Im Gegenteil: Eine weitere ökonomische Inwertsetzung von Wäldern, Ozeanen und anderen Ökosystemen könnte deren langfristigen Schutz gefährden und die ökologischen Grenzen des Planeten endgültig sprengen, wenn nicht klare und präzise Zielvorgaben dies verhindern. Die Abkehr vom derzeitigen ressourcenverschlingenden Wachstumsmodell – in den Augen vieler zivilgesellschaftlicher Beobachter die zentrale Voraussetzung für das Gelingen einer globalen Nachhaltigkeitsagenda – bleibt weiter Zukunftsvision für die Zeit danach.

* Cameron als SDG-Apostel?

Daher ist absehbar, dass in Rio bestenfalls der Prozess angestoßen wird, zusammen mit der Diskussion um die Zukunft der MDGs und die globale Entwicklungsagenda nach 2015 bis Herbst 2013 konkrete Vorschläge für globale Nachhaltigkeitsziele zu entwickeln. Helfen soll dabei ein globaler Nachhaltigkeitsbericht des UN-Generalsekretärs ebenso wie ein neues High-level Panel of Eminent Persons unter dem Vorsitz der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf, des indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono sowie des britischen Premierministers David Cameron.

Inzwischen existiert eine breite gesellschaftliche Debatte über die Ausgestaltung künftiger SDGs. Von zivilgesellschaftlicher Seite wird u.a. die Reflection Group on Global Development Perspectives in ihrem Report „No Future without Justice“ (s. Hinweis) in Rio erste Vorschläge zu globalen Nachhaltigkeitszielen (Global Sustainability Goals - GSGs) machen. Künftige GSGs sollten demnach auf den in der Millenniumserklärung formulierten zentralen Werten wie den Menschenrechten, Gleichheit und Gerechtigkeit, Respekt für die ökologischen Grenzen, Frieden und Demokratie sowie ein faires Wirtschaftssystem aufbauen und das Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzip widerspiegeln.

Gemeinsame Ziele sollten zwar global gültig sein, aber nach Ländern und Regionen differenzierte Zielvorgaben und Indikatoren enthalten, um der in Rio 1992 formulierten gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung für nachhaltige Entwicklung gerecht zu werden. Schließlich sollten neue GSG-Indikatoren nicht nur messbar sein und die maximal für ihre Umsetzung zur Verfügung stehenden Ressourcen berücksichtigen, sondern auch eine gerechte Lastenverteilung – etwas mit Blick auf die Kosten des Klimawandels – wiederspiegeln.

* Human Security und Human Development Rights

Bereits im Mai 2003 hat sich die Kommission für menschliche Sicherheit in ihrem Abschlussbericht für die Notwendigkeit eines solchen ganzheitlichen Ansatzes ausgesprochen, der die Durchsetzung der Menschenrechte und das Engagement für Armutsbekämpfung und menschliche Entwicklung mit der Förderung menschlicher Sicherheit verknüpft. Einen ähnlichen Weg geht nun das Institute of Development Studies (IDS) in Brighton mit dem Vorschlag, das bestehende Konzept menschlicher Sicherheit zur Grundlage der nächsten Generation umfassender menschlicher Entwicklungsziele zu machen (siehe Hinweis).

Die AutorInnen setzen sich angesichts der komplexen globalen Bedrohungsszenarien dafür ein, den technokratischen MDG-Ansatz durch Erhöhung der konzeptionellen Klarheit, Rückbesinnung auf die Werte der Millenniumerklärung und eine stärkere Politikorientierung zu überwinden. Der Debatte um neue Nachhaltigkeitsziele Post-2015 sollte demnach eine starke menschenrechtliche Verortung jenseits simplifizierender Süd-Nord-Dichotomien zugrundeliegen, die globale Verteilungsungerechtigkeiten und wachsende soziale Disparitäten als Hindernis für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Entwicklung versteht.

Das Konzept menschlicher Sicherheit rückt den Einzelnen und seine subjektiven und komplexen Erfahrungen darüber, was für sein Wohlbefinden, seine Entwicklung sowie die soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft, in der er lebt, nötig ist, ins Zentrum. Eine Bedrohung menschlicher Sicherheit entsteht demzufolge durch das komplexe Zusammenwirken von Wirtschaft, Konflikten, Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen, sowie von Umwelt und Gesundheit. So gehören beispielsweise Bevölkerungsteile, die am stärksten von der Zerstörung ihrer Lebensräume betroffen sind, oft auch zu den wirtschaftlich und menschenrechtlich besonders marginalisierten Gruppen.

Interessant an dem Vorschlag ist besonders die beabsichtigte Politisierung der Debatte um ein zukünftiges SDG-Konzept durch einen partizipativen und inklusiven demokratischen Prozess zur Bestimmung der notwendigen politischen Handlungsspielräume und den entsprechenden Umsetzungsstrategien, um ein Leben aller Menschen ohne Not und Furcht zu verwirklichen. Der Vorschlag des IDS unterstreicht erneut die Notwendigkeit der Überwindung der strukturellen Ursachen für Armut und Ausgrenzung als Voraussetzung für einen partizipatorischen Transformationsprozess für eine zukunftsgerechte und nachhaltige Entwicklung.

Dr. Klaus Schilder ist freier Mitarbeiter des Global Policy Forum Europe.

Hinweise:
* G. Koehler/R.J. Des Gasper/R. Jolly/M. Siman, Human Security and the Next Generation of Comprehensive Human Development Goals, IDS Working Paper, 31 pp, April 2012. Bezug: über www.ids.ac.uk
* Report of the Civil Society Reflection Group on Global Development Perspectives: No Future Without Justice, 113 pp, Development Dialogue, No.59, Dag Hammarskjöld Foundation (Hg.), Upsala, Juni 2012. Bezug: über www.globalpolicy.org

Veröffentlicht: 31.5.2012

Empfohlene Zitierweise:
Klaus Schilder, Von MDGs zu SDGs? Über Rio+20 hinaus, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 31. Mai 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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