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Watergrabbing: Der globale Griff nach dem Wasser

Artikel-Nr.: DE20120430-Art.21-2012

Watergrabbing: Der globale Griff nach dem Wasser

Die andere Seite des Landgrabbings

Rund um die Welt sind Wasserreserven – implizit oder explizit – Ziel von Investoren. Das Phänomen kann als globales “Watergrabbing” bezeichnet werden. Es beschreibt die Vereinnahmung und Umpolung wertvoller Wasserressourcen durch mächtige Finanzakteure - mit negativen Folgen für lokale Gemeinschaften und Umwelt. Sylvia Kay und Jennifer Franco untersuchen den Zusammenhang zwischen Land- und Watergrabbing

Gewiss ist Watergrabbing keine neue Erscheinung. Doch in der gegenwärtigen Dynamik des globalen Kapitals beschleunigen die miteinander verknüpften Krisen der Energie, der Nahrungsmittel und der Umwelt den Prozess, der Wasser noch stärker zum kommerziellen Anlagegut werden lässt. Wasser ist, wie Foreign Policy schon 2009 schrieb, das „nächste große Ding“.

* Ein kritischer Faktor des Landgrabbings

Der steile Anstieg der großflächigen Landkäufe und –pachten ist eine Seite des Phänomens. Während viel über das Landgrabbing geschrieben wurde, ist die Rolle, die das Wasser als Triebkraft vieler dieser Übernahmen spielt, noch wenig untersucht worden. Dabei ist Wasser ein kritischer Faktor des Landgrabbings, der neben anderen bestimmt, welches Land attraktiv ist und welches nicht.

Wasser ist aber – im räumlichen wie im zeitlichen Sinn – sehr kontextspezifisch.
Es kann zum Beispiel im saisonalen Wechsel sehr knapp sein, selbst wenn es in anderen Jahreszeiten reichlich fließt. Lokale Arrangements der Wassernutzung basieren dementsprechend auf komplexen, gesellschaftlichen Vereinbarungen zwischen verschiedenen Nutzern und sind gemäß dynamischer hydrologischer und ökologischer Bedingungen austariert. Land, das zur Produktion von bewässerungsintensivem Nahrungs- und Treibstoffanbau zur Monokultur umgenutzt wird, benötigt ein sicheres und stabiles Angebot von grossen Wassermengen, zumeist in der Form von großflächiger Bewässerung. Die Umwandlung, Erschöpfung und Verschmutzung lokaler Wasserquellen, die solche Einsätze oft mit sich bringen, können deshalb vorhandene Ordnungen untergraben und sind eine direkte Bedrohung für eine breite Palette lokaler Lebensweisen.

Im Flussdelta des Tana in Kenia wird so die Subsistenzbasis der zahlreichen einheimischen Gemeinschaften durch die Anlage großer Jatropha- und Zuckerrohr-Plantagen aufs Spiel gesetzt, die der kenianischen Zuckerkompanie Mumias und der kanadischen Bedford Biofuels gehören. Das Hirtenvolk der Orma verliert den Zugang zu ihren angestammten Weideflächen. Zwischen den Orma und anderen traditionellen Wassernutzern, wie die Pokomo-Kleinbauern und die Luo-Fischer, könnten mit der verstärkten Konkurrenz um Wasserressourcen Spannungen aufkommen. Trotz solcher Probleme werden Agrotreibstoffe weiterhin durch Programme wie das der EU (Direktive zu erneuerbaren Energien) vorangetrieben unter der (unbegründeten) Annahme, dass sie sich auf saubere und effiziente Energiequelle stützten.

* Zerstörung lokalen Wassermanagements

Die Zerstörung kollektiver Formen des Wassermanagements, das statt eines uniformen, marktkonformen Modells der Wassernutzung eine Vielzahl von Wasserrechten und Identitäten ermöglichte, geht häufig mit Watergrabbing einher. Die gängige Rechtfertigung eines derartigen Wandels der Wasserrechte, meist gerechtfertigt wird mit der Unterstellung, dass auf diese Weise Wasser den effizientesten und produktivsten Nutzern zugeleitet würde, ist eine Unterstellung, die ihr zugrundeliegende Denkweise muss in Frage gestellt werden.

Traditionelle Formen der Wasserverwaltung sind eng verknüpft mit der Reproduktion der Lebensbasis durch den Erhalt der ökologischen Balance zwischen Mensch und Natur. Solche innigen sozialen und wirtschaftlichen Bezüge werden durch den marktgläubigen Blick auf Produktivität und Nutzwert „unleserlich“. So haben zum Beispiel lokale Bauerngemeinschaften in der Oromo-Region in Äthiopien ihre Wasserressourcen erfolgreich verwaltet nach den gemeinsam definierten Grundsätzen der ‘turnusgemäßen Nutzung’ und der ‘richtigen Nutzung’ des Wassers. Wassermangel war kein Thema bis zur Etablierung von neun Blumen- und Gemüsefarmen in dem Gebiet, welche Hand in Hand ging mit einer radikalen Umpolung dieser “informellen” Wasserverwaltung. Der Wechsel im Wasserverteilungssystem führte in dieser Landschaft zur Wasserverknappung, wo es zuvor keinen Mangel gab.

Häufig löst die Umwandlung von Wasservorräten von einem gemeinschaftlichen zu einem privaten Gut das Wasser und die Wasserrechte aus jedem Bezug zum Land. Dies ist eine gezielte Strategie, die bei der Gewährung von Konzessionen an transnationale Bergbauunternehmen in der Andenregion Lateinamerikas angewendet wurde. Regierungen und Konzerne suchten die Verbindung von Wasserverwaltung und Steuerung des Territoriums mit der Einführung spezifischer Gesetzgebung über natürliche Ressourcen zu kappen. Noch einfacher wurde das erreicht, indem den sozialen Institutionen, die häufig indigene Gemeinschaften repräsentierten, die Berechtigung entzogen wurde, die Ressourcen selbst zu verwalten.

* Wasserintensive Methoden des Rohstoffabbaus: Fracking und Teersande

Während lokale Gemeinschaften für den gesetzlichen Schutz ihrer Wasserrechte kämpfen, bleiben sie verletzlich selbst im Falle fortschrittlicher Gesetzgebung. Das mosambikanische Wassergesetz gibt theoretisch der Nutzung durch bäuerliche Haushalte für Eigenverbrauch, Viehhaltung und kleinräumige Bewässerung den Vorrang. Gleichzeitig erfordert es jedoch keine Registrierung dieser gebräuchlichen Nutzung. Dies macht sie aber im Wettbewerb mit anderen Nutzern anfällig, weil sie damit für behördliche Planer essenziell unsichtbar werden.

Watergrabbing durch die extraktiven Industrien, darunter die Bergbau-, Öl- und Gasförderungsunternehmen, nimmt zu und wird gefördert durch den Rohstoffboom und die Entwicklung neuer Techniken wie das „fracking“. Fracking – der Prozess des Entzugs von Erdgas- und Ölreserven, die in Schiefer, Sandstein oder anderen undurchlässigen Felsformationen eingeschlossen sind, durch hydraulische Rissebildung – ist besonders bedenklich. Durch Fraktionierungsabwässer, die giftige Chemikalien, organischen Schmutz und natürlich vorkommende radioaktive Stoffe enthalten, steigt die Gefahr der Verseuchung von Frischwasservorräten und selbst von Grundwasserschichten immens. Bulgarien und Frankreich haben Fracking auf nationaler Ebene verboten, aber die Technik breitet sich in anderen Teilen der Welt immer noch aus: In Südafrika bewirbt sich Royal Dutch Shell um Explorationsrechte für eingeschlossenes Gas auf 80.000 qkm – und dies im wasserarmen Karoo.

Die Erschöpfung der Rohölreserven ist ein Faktor, der die Entwicklung von unkonventionellen Ölquellen vorantreibt. Die kanadischen Teersande erstrecken sich über ein weites Gebiet in den nordischen Nadelwäldern Albertas. Der jährliche Wasserverbrauch des Teersandprojektes – es werden vier Fass Wasser benötigt, um gerade mal ein Fass Öl zu produzieren – ist übermäßig hoch. Der Extraktionsvorgang produziert enorme Absetzbecken, die gesundheitliche Bedenken für die Indianer-Gemeinschaften, die nahe der Ölsände oder stromabwärts am Athabasca-Fluss leben, erwecken müssen.

* Kein lokal begrenztes Phänomen

Die Erschöpfung, Ablenkung oder Verschmutzung von Wasserressourcen, die das Watergrabbing riskiert, können negative Folgen weit über die geografischen Grenzen der eigentlichen Operationen hinaus zeitigen. Häufig werden die Wirkungen solcher Beschlagnahmungen viele Kilometer stromabwärts erfahrbar. In Indonesien greifen die Palmöl-Plantagen die natürlichen Versickerungsmuster und das normale Funktionieren des Wasserkreislaufes an und verursachen verstärkte Überflutungen während der Regenzeit.

Watergrabbing kann in der Tat die Integrität ganzer Wassereinzugsgebiete untergraben. Intensiver Dammbau im Mekong-Flussgebiet hat zum Beispiel zur Folge, dass lediglich 46% seines Ökosystems intakt geblieben ist. Dies fphrt zu einer Bedrohung der Fischergemeinschaften, die entlang des 5000 km langen Mekongs leben und deren Ernährungssicherheit und Lebensweise von der Erhaltung des aquatischen Umweltsystems abhängig sind.

Es ist nicht nur die ökologische Integrität von Wasserbecken und Flusseinzugsgebieten, die potentiell vom Watergrabbing betroffen sind, sondern auch die politische Verwaltung von grenzüberschreitenden Wasserreserven kann untergraben werden. Die ohnehin hoch komplizierten Aushandlungsprozesse des Flusswasserrechte im Einzugsgebiet des Nils sind durch die Einschaltung neuer Akteure wie China, Indien und der Golfstaaten in die Regionalpolitik um Einiges schwieriger geworden. In jedem der Staaten, begierig Investitionen anzuziehen, haben die Regierungen den Investoren freien und unbegrenzten Zugang zu den Wasserressourcen garantiert. Bei fehlender Beachtung der Wirkung solcher Konzessionen auf die übrigen Anrainer des Flusses bedrohen solche einseitigen Abmachungen die Entwicklung eines gemeinsamen Rahmens, der eine nachhaltige Bewirtschaftung des Nilbeckens ermöglicht.

* Watergrabbing und Privatisierung

Watergrabbing ist nicht nur ein ländliches Risiko. Da die Nachfrage (und dadurch der Druck) auf ländliche Wasserreserven durch die rasch wachsenden Städte und Metropolen steigt, kann durch die Privatisierung von einst öffentlichen Wasserversorgungen der Zugang zum kostbaren Nass für arme städtische Nutzer ebenfalls bedroht werden. Während neoliberale Wasserpolitik argumentiert, dass Wassermärkte die besten Leistungen erbringen, lassen Erfahrungen von Kostensteigerungen und selektiver Wasserversorgung aufhorchen. Entsprechende Folgen in Metropolen wie Lima, Lusaka und Johannesburg legen nahe, dass ein profitorientiertes Modell zur Wasserversorgung nicht verlässlich ist bei der Versorgung von Wohnvierteln mit niedrigen Durchschnittseinkommen. In der Folge von Wasser-Privatisierungsprogrammen kann deshalb ein Trend zur Rekommunalisierung ausgemacht werden, mit der an Orten wie Paris, Buenos Aires und Dar-es-Salaam die Behörden die Kontrolle über die Wasserversorgung zurückholen.

Der globale Griff nach dem Wasser hat somit viele Gesichter. Ihm muss an allen Fronten begegnet werden, wenn das Menschrecht auf Wasser realisiert und der globalen Wasserkrise begegnet werden soll.

Jennifer Franco ist Co-Koordinatorin, Sylivia Kay Mitarbeiterin des Agrarian Justice Networks des Transnational Institute in Amsterdam. Eine umfangreichere Veröffentlichung ihrer Forschungen findet sich unter www.tni.org. Übertragung ins Deutsche: Susy Greuter

Veröffentlicht: 30.4.2012

Empfohlene Zitierweise:
Jennifer Franco/Sylvia Kay, Watergrabbing: Der globale Griff nach dem Wasser, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 30. April 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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