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Zusammenprall der Kapitalismen im Jahr des Drachen

Artikel-Nr.: DE20120127-Art.04-2012

Zusammenprall der Kapitalismen im Jahr des Drachen

Aus der Sicht des Südens

Nur im Web – Das Weltwirtschaftsforum von Davos findet in der ersten Woche des Jahrs des Drachen statt. In China und überall auf der Welt hoffen die Menschen auf ein glückliches Jahr. Doch vielleicht besteht die einzige Sicherheit darin, dass es ein Jahr der Unsicherheit sein wird. Auf jeden Fall wird sich der Zusammenstoß der Entwicklungs- und Industrieländer intensivieren – und damit der kapitalistischen Systeme, meint Martin Khor.

In dem neuen Jahr des Drachen wird die Debatte über die Rolle und den Aufstieg Chinas und anderer „Schwellenländer“ an Intensität zunehmen. Da sich die westlichen Länder düsteren wirtschaftlichen Aussichten gegenüber sehen, scheint ein Teil seiner politischen Elite und Intellektuellen von der Befürchtung ergriffen, dass einige Entwicklungsländer, insbesondere China, mit Volldampf voraus fahren werden.

* Besessen von der „chinesischen Gefahr“

Gewohnt an Jahrhunderte der globalen ökonomischen Dominanz befürchten diese fortgeschrittenen Länder, dass in ihrer Führungsrolle herausgefordert und zu Fall gebracht werden. Das mag der Grund für die China-Obsession sein. Dieser Tage erscheinen fast überall neue Bücher über den chinesischen Aufstieg. Einige befassen sich mit seinen hohen Wachstumsaussichten oder seiner komplexen politischen Entwicklung. Einige wie das Buch Death by China: Confronting the Dragon vertreten die Position, dass China nicht nur die US-Ökonomie zerstören wird, sondern die ganze Welt und die Umwelt.

Doch die Angst geht weit über China hinaus und bezieht auch andere Schwellenländer mit ein, wie an Hand einer der jüngsten Ausgaben des „Economist“ und dessen Titelstory The rise of state capitalism: the emerging world’s new model („Der Aufstieg des Staatskapitalismus: Das neue Modell der aufstrebenden Welt“) deutlich wird. Das Magazin beschreibt den 88-stöckigen Petronas-Wolkenkratzer in Kula Lumpur/Malaysia ebenso wie das Gebäude von China Central TV in Peking und das Hauptquartier der VTB-Bank in Moskau als Momente des neuen Hybridkonzerns, der mit staatlicher Rückendeckung wie ein Privatsektor-Multi agiert.

* „Staatskapitalismus“ als Entwicklungsstrategie

Im Editorial gibt der „Economist“ zu, dass der Staatskapitalismus für Schwellenländer, die der Welt ihren Stempel aufdrücken wollen, offensichtlich reizvoll ist, da er ihnen Möglichkeiten verschafft, für deren Aufbau die Privatsektor-Konzerne Jahre benötigten. Doch nach Ansicht des Magazins sind seine Gefahren größer als die Vorteile. Zu ihrem eigenen Vorteil und im Interesse des Welthandels sollten diese großen Holdings aufgebrochen und privaten Investoren überlassen werden.

Der „Economist“ gesteht indessen auch ein, dass diese Hybridform eines „staatlich-gesteuerten kapitalistischen Konzerns“ nicht neu ist und zitiert als Beispiel die Ost-Indien-Company. Das war jene ungeheure wirtschaftliche Konglomoration, die viele asiatische Ökonomien übernahm, während die englische Regierung mit ihren Kanonenbooten und ihrer Kolonialherrschaft die Rückendeckung gab, nicht nur für die Ost-Indien-Company, sondern für viele andere britische Unternehmen.

Das Magazin zitiert auch den Fall der Vereinigten Staaten nach dem Unabhängigkeitskrieg, von Deutschland in den 1870er Jahren und von Japan und Südkorea in den 1950ern als Beispiele aufsteigender Mächte, die den Staat nutzten, um Wachstumsprozesse auszulösen. Es wird also anerkannt, dass der Aufstieg der heute fortgeschrittenen Länder auf der Grundlage der starken Unterstützung des Staates für ihre aufstrebenden Unternehmen stattfand. Diese Konzerne haben die Weltwirtschaft jahrzehntelang und in einigen Fällen jahrhundertelang dominiert, unterstützt nicht nur durch Subventionen, billige Kredite und andere politische Maßnahmen, sondern auch durch die politische und militärische Macht ihrer Regierungen.

Diese Politik funktionierte jedoch nicht, wenn der heimische Privatsektor schwach war oder nicht existierte, wie in vielen Entwicklungsländern. In den armen Ländern waren die ausländischen Unternehmen nicht an Investitionen interessiert, außer im Bergbau- oder Plantagensektor. Verschiedene andere Entwicklungsländer, vor allem Asiens, verfolgten jedoch ein anderes Modell. Ihre Regierungen glaubten daran, dass sie eine wichtige oder sogar die dominierende Rolle im Entwicklungsprozess spielen müssten.

Zunächst betrieben diese Regierungen Unternehmen, die sie wie Regierungsabteilungen führten. Das war nicht sehr effizient. Das Modell wurde daher in einigen Ländern dahingehend geändert, dass der Staat nur der vollständige oder teilweise Besitzer der Unternehmen war, die ansonsten auf kommerzieller Grundlage agierten. Auch konnte der Staat private Unternehmen bei ihrer Expansionen unterstützen. Regierungseigene Holdings wie Khazanah und PNB in Malaysia oder Temasek in Singapur waren zentrale Pilotprojekte in diesem Zusammenhang.

* Wachsende westliche Kritik

Die wachsende Kritik des „Staatskapitalismus“ durch westliche Intellektuelle und Politiker beschränkt sich nicht auf akademische Beobachtungen. Die US-Administration und der Kongress bereiten eine Gesetzgebung und Aktionen vor, die Sondersteuern auf chinesische Produkte möglich machen sollen, nicht nur aus Anti-Dumping-Gründen, sondern auch aufgrund staatlicher Subventionierung und weil China keine Marktwirtschaft ist. Der US-Kongress hat auch darüber diskutiert, ob Zölle auf chinesische Produkte erhoben werden können, weil Chinas Währung manipuliert und unterbewertet sei.

Der Fokus solcher Maßnahmen mag derzeit auf China liegen. Doch auch andere Entwicklungsländer könnten sich schon bald ähnlichen Maßnahmen mit ähnlicher Begründung ausgesetzt sehen, dass sie nämlich ihre Unternehmen im Kontext von Staatskapitalismus und Industriepolitik auf unfaire Weise unterstützen würden.

Darüber hinaus verhandeln die USA und Europa derzeit Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern, die Klauseln oder ganze Kapitel enthalten, die die Praxis der Verknüpfung staatlichen und unternehmerischen Handelns unterbinden oder beschränken wollen oder die Bereitstellung von Subventionen und Präferenzen für lokale Unternehmen durch die Regierungen verbieten wollen.

Der koreanische Ökonom Ha Joon-chang schrieb das bekannte Buch Kicking Away the Ladder. Darin wird beschrieben, wie die Industrieländer bestimmte Politiken nutzten, um reich zu werden, und jetzt die Entwicklungsländer davon abhalten wollen, dasselbe zu tun. Der Zusammenprall der kapitalistischen System und zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, welche Politik legitim ist und welche verboten werden sollte, wird in diesem Jahr des Drachen an Intensität zunehmen.

Martin Khor ist Direktor des South Centres in Genf.

Veröffentlicht: 26.1.2012

Empfohlene Zitierweise: Martin Khor, Zusammenprall der Kapitalismen im Jahr des Drachen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 26. Januar 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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