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Alle Jahre wieder: Merkels Nachhaltigkeitsrat

Artikel-Nr.: DE20130519-Art.23-2013

Alle Jahre wieder: Merkels Nachhaltigkeitsrat

Potemkin lässt grüßen

Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung hat Fett angesetzt, ist bequem geworden, zur Beruhigungsformel verkommen, zumindest in Deutschland. Nirgends war das besser zu beobachten als auf der 13. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) am 13. Mai in Berlin. Schon das Motto „Mit Maß und Mut – für eine politische Kultur der Nachhaltigkeit“ signalisierte, dass es nur noch um kleine Korrekturen am eingeschlagenen Weg geht, berichtet Bernd Hamm.

Als Zeichen von Mut war wohl eine technische Innovation gedacht: eine Skype-Konferenz unter dem nichtssagenden Titel Global Views on Current Affairs. Shamita Kumar (Institute of Environment Education, University of Pune, wurde nicht erreicht), Darren Swanson (International Institute for Sustainable Development, Winnipeg) und Farooq Ullah (Stakeholder Forum, London) und im Saal Nikhil Seth (UN Department of Economic and Social Affairs, New York) priesen die Entwicklung hin zu Sustainable Development Goals, die Generalsekretär Günther Bachmann gar als gänzlich unkritisiert hinstellte, als wichtigen Schritt hin zu einer global nachhaltigen Entwicklung, und verstiegen sich gar zu der Behauptung, damit werde nach 2015 ein qualitativer Sprung, eine historische Wende erreicht. Artig lobten sie die Vorreiterrolle Deutschlands in einer Politik der Nachhaltigkeit und forderten uns auf, noch offensiver die internationale Meinungsführerschaft zu übernehmen.

* Brave Kanzlerin

Daran schlossen sich sechs parallele Foren an: (1) Solides Wirtschaften, Maß nehmen, Maßstäbe setzen; (2) Neue Energien – neue Gesellschaft; (3) Worauf freuen wir uns eigentlich? (4) Open space: Deutschland sucht neue Ideen; (5) Gute Arbeit statt Burnout; (6) World Café: Kultur entsteht im Miteinander. Die Foren hatten keinen inhaltlichen Bezug zueinander, es wurden keine Ergebnisse erarbeitet, nichts ins Plenum, nichts in die Arbeit des Rates eingefüttert. Wozu also?

Für die meisten der etwa 1.500 TeilnehmerInnen war das zentrale Ereignis die Rede der Bundeskanzlerin. Die hangelte sich brav durch die aktuellen Themen: Die Katastrophe in Bangladesch hat globales Lohndumping in Erinnerung gerufen; die Unterscheidung zwischen billigstem und wirtschaftlichem Angebot im europäischen Vergaberecht sollte stärker betont werden; die Schuldenkrise bedrückt uns alle, aber die Bundesregierung hat erstmalig einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt; Sorgen bereitet der demographische Wandel; gegen den Preisverfall der Emissionszertifikaten müssen wir was machen; die Steuerungsinstrumente für die Energiewende müssen harmonisiert werden; den Zubau an Solarenergie werden wir begrenzen durch abnehmende Förderung; unser Wachstumsbegriff bedarf der Revision; und wir sollten die Millennium Development Goals ergänzen durch Sustainable Development Goals. Sie hat wenig ausgelassen, ist in allem pauschal, vage, unverbindlich geblieben, eine gute Voraussetzung für allgemeinen Beifall.

* Schöne Projekte – falsche Rahmenbedingen

Unter dem Titel „Contemporary Carlowitz – was die Macher beflügelt“ sind praktische Projekte vorgestellt worden: ein Bauernhof, der Wurst von nummerierten glücklichen Schweinen anbietet; die Idee, dass das BSP als Wohlstandsindikator ergänzt werden muss; ein Pfandsystem für Elektronikgeräte, um das Recycling zu fördern; Leitungswasser sollten wir trinken anstelle von abgefüllten Mineralwässern; eine Nachhaltigkeitsampel für Produkte einführen; nachhaltige Entwicklung zum Gegenstand von lebenslangem Lernen machen.

Bei aller Freude daran, dass Jugendliche (mit Unterstützung der Bertelsmann-Stiftung) solches erarbeitet haben, sei doch der bescheidene Hinweis erlaubt, dass vieles davon und noch viel mehr seit vielen Jahren schon auf dem Tisch liegt. Die Projekte sind ja in Ordnung, und es gibt glücklicherweise tausende anderer, die hierher gepasst hätten. Warum ist das alles nicht längst selbstverständlicher Standard, warum ist es immer noch Ausnahme, die an Kongressen vorgezeigt wird? Dieses „Warum“ wäre eine Aufgabe für den RNE. Ob er das verstanden hat blieb unklar. Aber die schönen Projekte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rahmenbedingungen zunehmend in die falsche Richtung gestellt werden, auch mit Hilfe der Bundesregierung.

● Beispiel Klimapolitik: Der Europäische Emissionshandel als wichtigstes klimapolitisches Instrument hat versagt, das ist immerhin erwähnt worden - dass er von vornherein falsch angelegt war, auch auf Betreiben der Bundesregierung, nicht. Schon Kyoto war ein zahnloser Tiger. Ein Klimaregime über 2012 hinaus ist weiterhin nicht erkennbar. Es sind die üblichen Blockierer, die üblichen Argumente, die das verhindern. Klar ist: Das 2°-Ziel ist nicht zu halten, die Konsequenzen unabsehbar. Wo ist hier der Kampf der Bundesregierung? Wo ihr entschiedenes Eintreten (nach der misslungenen Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke) für die Energiewende?

● Beispiel Staatsschuldenkrise: Die Bundesregierung ist wesentlich mitverantwortlich für den sozialen Kahlschlag in den südeuropäischen Ländern und das drohende Zerbrechen der Eurozone. Dass wir in der Konsequenz Armut und Elend, zunehmende soziale Konflikte und eine Stärkung der politischen Extreme erfahren werden, ist nicht schwer vorherzusehen. Wir loben die geringe Arbeitslosigkeit bei uns, verschweigen aber Millionen prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Staatliche Steuerpolitik befördert die zunehmende soziale Ungleichheit. Was tut die Bundesregierung? Die Rezepte des Washington Consensus, die der IWF nun auch in Europa durchdrückt, sind seit Jahrzehnten bekannt und kritisiert worden. Sie führen zu den sattsam bekannten Resultaten - mit Unterstützung der Bundesregierung. Die Aufstände dagegen haben wir vielfach erlebt („IMF Riots“), sie können niemanden überraschen.

● Beispiel Umweltkatastrophen: Die weltweiten Waldverluste gehen weiter; die Verschmutzung und Vergiftung der Meere z.B. durch nukleare Einleitungen wurden nicht gebremst; das Land grabbing, der Landraub, hat längst auch heimische Agrarflächen erfasst; die spekulationsgetriebene Erhöhung der Nahrungsmittelpreise führt zu Hunger und Elend; Fracking gefährdet das Grundwasser und befördert Krebserkrankungen. Verantwortlich sind, direkt oder indirekt, auch wir. Was hat die Bundesregierung getan, um solches zu verhindern?

Nicht einmal die einfachsten Entscheidungen, obgleich deren soziale und ökologische Vorteile seit Jahren nachgewiesen sind, kann diese Bundesregierung durchsetzen: die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen.

* Sich selbst auf die Schulter geklopft

Und was macht der Rat für nachhaltige Entwicklung? Die Jahreskonferenz war im Kern eine Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung: 300 Jahre Hans Karl von Carlowitz, zu oft wurde das betont: Nachhaltigkeit ist eine deutsche Erfindung, Schulterklopfen, wie sind wir gut. Gefeiert wurde, was wir schon alles tun, zuweilen erwähnt, was wir durch etwas Anstrengung noch besser machen können. An keiner Stelle war erkennbar, dass der Rat sich für Impulse aus der Konferenz interessiert hätte, dass er selbst bereit oder gar auf dem Weg wäre, brennende Themen aufzugreifen. Vielmehr schleicht er konsequent um den heißen Brei herum.

Potemkin lässt grüßen: Das Auseinanderfallen zwischen dem Bild der Wirklichkeit, das hier gezeichnet wurde, und der Wirklichkeit draußen war eklatant. Besonders deutlich wird das vielleicht im Nachhaltigkeitskodex des Rates, inzwischen von 47 Unternehmen unterzeichnet. Der erste Unterzeichner war RWE, der europaweit größte und nach wie vor uneinsichtigste Emittent von Treibhausgasen.

Eine Jubelveranstaltung wie diese geht am Thema, am Problem einer nachhaltigen Entwicklung wie in Trance vorbei. Nikhil Seth war am Ende immerhin klar, auch wenn ihm niemand mehr zugehört hat: Wir wissen alles Nötige und tun es nicht, oft sogar das Gegenteil. Aber gerade das ist nicht neu.

Veröffentlicht: 19.5.2013

Empfohlene Zitierweise:
Bernd Hamm, Alle Jahre wieder: Merkels Nachhaltigkeitsrat. Potemkin läst grüßen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 19. Mai 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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