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Entwicklungspolitischer Regionalismus für Afrika

Artikel-Nr.: DE20130712-Art.28-2013

Entwicklungspolitischer Regionalismus für Afrika

UNCTAD-Report zur afrikanischen Ökonomie

Nur im Web - Der neue Afrika-Bericht der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) trägt den Untertitel „Intra-African Trade: Unlocking Private Sector Dynamism” (s. Hinweis) und provoziert dennoch mit der These, dass die bisherigen Anstrengungen zur Stärkung des ökonomischen Wachstums auf dem Kontinent auch in puncto regionale Zusammenarbeit einem konventionellen Lehrbuch-Ansatz folgten, die der konkreten Situation nicht adäquat war. Eine W&E-Zusammenfassung.

Stattdessen plädieren die Autoren auch im Bereich der regionalen Integration für einen Neuansatz, den sie als „entwicklungspolitischen Regionalismus“ („developmental regionalism“) bezeichnen. Dieses Konzept des entwicklungspolitischen Regionalismus umfasse mehr als lediglich Handel und Handelserleichtern, sondern schließe Zusammenarbeit beispielsweise auch im Bereich von Investitionen, Forschung und Entwicklung sowie Politiken ein, die auf die Beschleunigung der regionalen industriellen Entwicklung und der regionalen Infrastrukturentwicklung zielen – etwa die Verbesserung der Straßen- und Eisenbahnnetzwerke.

* Keine afrikanischen Regionalmärkte ohne afrikanische Produkte

Ausgangspunkt des Reports ist die Entscheidung der Führer der Afrikanischen Union (AU) vom Januar 2012, alle Barrieren für den intra-afrikanischen Handel zu beseitigen. Doch die Realisierung der diversen Vorteile, die aus blühenden Regionalmärkten gezogen werden können, hängt entscheidend von der Expansion des privaten Sektors auf dem Kontinent ab. Diese These scheint vor dem Hintergrund der eingangs gemachten kritischen Äußerungen überraschend. Doch es kann durchaus argumentiert werden, dass die relative Stagnation Afrikas (jedenfalls bis vor einigen Jahren) wesentlich auf die schwache Entwicklung des afrikanischen Kapitalismus bzw. die Schwäche der afrikanischen Kapitalisten zurückzuführen ist.

Box: Privater Sektor und regionaler Handel in Afrika

Obwohl die Bedeutung des innerafrikanischen Handels schon länger anerkannt wird, ging der Trend in den letzten Jahren in die andere Richtung: Der Anteil des Intra-Afrika-Handels am gesamten Handel Afrikas fiel von 22,4% in 1997 auf 11,3% in 2011. Der Intra-Afrika-Handel (Ex- und Importe) belief sich 2011 insgesamt auf 130 Mrd. US-Dollar. Diese Zahlen mögen zu niedrig sein, wenn man die große Bedeutung des informellen grenzüberschreitenden Handels auf dem Kontinent berücksichtigt; sie sind - verglichen mit anderen Teilen der Welt dennoch niedrig. Z.B. belief sich der Anteil der intraregionalen Exporte von 2007 bis 2011 durchschnittlich auf 11%, verglichen mit Asien 50% und Europa 70%.

Dem Bericht zufolge gibt es ungenutzte Gelegenheiten zum regionalen Handel in Afrika insbesondere in der Landwirtschaft. Afrika verfügt über 27% des fruchtbaren Landes weltweit, was zur Ausweitung der Agrarproduktion genutzt werden kann. Dennoch sind viele afrikanische Länder vom Import von Lebensmitteln und Agrarproduktion von außerhalb abhängig. Zwischen 2007 und 2011 waren 37 Länder Nettonahrungsmittelimporteure und 22 Nettoimporteure agrarischer Rohstoffe. Doch nur 17% des weltweiten afrikanischen Handels mit Nahrungsmitteln und Vieh fanden innerhalb des Kontinents statt.

Längerfristig liegen die größeren Chancen und Herausforderungen in der Verbesserung der industriellen Kapazitäten. Einiges Potential sind bereits heute erkennbar: Afrika exportiert untereinander mehr verarbeitete Güter (die 43% des innerafrikanischen Handels ausmachen, während verarbeitete Güter nur 14% am gesamten Export Afrikas auf überseeische Märkte ausmachen.

Auf Afrika entfällt nur 1% der verarbeitenden Industrie weltweit, während diese rund 10% des afrikanischen BIPs ausmacht, verglichen mit 35% in Ostasien und dem Pazifik und 16% in Lateinamerika und der Karibik. Transportkosten innerhalb Afrikas sind vergleichsweise hoch. In Zentralafrika beispielsweise kostet der Transport einer Tonne Güter von Douala/Kamerun nach N'Djamena im Tschad 0,11 Dollar pro km, mehr als doppelt so viel wie in Europa und mehr als fünfmal so viel wie in Pakistan.

Der Report unterstreicht die große Bedeutung von Qualitätssteigerung, Weiterverarbeitung und Diversifikation. Im Zeitraum 2007-2011 bestanden 80% der Exporte in Algerien, Angola, Mali, Mauretanien, Niger und Nigeria aus nur zwei Produkten. Um das Handelspotential des privaten Sektors freizusetzen, muss eine Unternehmensstruktur überwunden werden, die den regionalen Handel behindert. Beispielsweise sind die Firmen in Subsahara-Afrika eher klein, was die Konkurrenzfähigkeit schmälert. Das durchschnittliche verarbeitende Unternehmen hat hier 47 Beschäftigte, während es in Malaysia 171, in Vietnam 195, in Thailand 393 und in China 977 sind.

Quelle: UNCTAD

Aufgrund der Nähe der Märkte haben die Firmen Kostenvorteile, etwa in Form niedrigerer Transportpreise, besserer Kenntnisse der lokalen Bedingungen oder auch besserer Absatzchancen, wenn eine kritische Masse an Verbrauchen die industrielle Expansion erlaubt. Aber im Sinne des Konzepts des entwicklungspolitischen Regionalismus müssen die Regierungen angehalten werden, den privaten Sektor zu befähigen und voranzutreiben. Die weltweiten Erfahrungen zeigen, dass die Schaffung regionaler Märkte die Nachfrage nach Waren erhöht; doch afrikanische Unternehmen müssen auch ermutigt und befähigt werden, diese Güter bereitzustellen, oder sie werden gegenüber ausländischen Konkurrenten den kürzeren ziehen, warnen die UNCTAD-Leute.

Deshalb müssen die Fähigkeiten der afrikanischen Länder so ausgebaut werden, dass sie eine breitere Palette anspruchsvollerer Produkte herstellen können, die dann miteinander ausgetauscht werden können – ein Fortschritt den Ökonomen als Ausbau der produktiven Kapazitäten bezeichnen. Nach dem Report ist dafür eine regionale Industriepolitik entscheidend. Das heißt, die afrikanischen Länder müssen ihre nationalen Industriepolitiken in diesem Sinne koordinieren, um Produktions- und Handelskomplementaritäten zu schaffen.

Die Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten (ECOWAS) hat solch eine regionale Industriepolitik, die allerdings noch vollständig umgesetzt werden muss. Eines ihre Ziele besteht in der Förderung lokaler Verarbeitungsprozesse und in der Schaffung von Mehrwert in solchen Sektoren, in denen die Region als Ganze hohe komparative Vorteile hat (etwa Bergbau und die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte).

* Regionale Industriepolitik, Kapazitätsbildung und Entwicklungskorridore

Die abgestimmte Entwicklung nationaler und regionaler Industriepolitiken kann dem Report zufolge in Afrika die Entwicklung regionaler Wertschöpfungsketten anregen und den afrikanischen Ländern im Gegenzug breitere Möglichkeiten zum Austausch von Gütern untereinander bringen. Beispiele wären die Bauwoll-Textil-Verarbeitung und die Kette der Herstellung von Vieh-Fleisch-Konserven-Produkten.

Eine zweites Element des entwicklungspolitischen Regionalismus besteht in der Stärkung der Kapazität des afrikanischen privaten Sektors als wichtiger Triebkraft bei der Expansion der regionalen Kooperation. Bislang waren in Afrika die Regierungen die einzige aktive Kraft für die regionale Integration, während der private Sektor ein passiver Teilnehmer des Prozesses blieb, urteilen die Autoren. Es gäbe deshalb eine Notwendigkeit, Mechanismen eines ständigen Dialogs zwischen den Staaten und dem privaten Sektor zu schaffen. Nur so könnten die Probleme und Herausforderungen der Unternehmen von den Regierungen erkannt werden und die Umgang mit ihnen geplant werden. In Mauritius beispielsweise trifft sich der Joint Economic Council, ein Koordinationsgremium des privaten Sektors, regelmäßig mit der Regierung zur Diskussion der Wirtschaftspolitik.

Ein drittes Element des entwicklungspolitischen Regionalismus ist die Bildung von Linkages zwischen afrikanischen Ökonomien in spezifischen Sektoren – etwa durch die Bildung von „Entwicklungskorridoren“. Die Zusammenarbeit in einer breiten Palette von Bereichen könne auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der afrikanischen Länder erhöhen, meint der Report. Der Maputo-Entwicklungskorridor beispielsweise, der die südafrikanische Gauteng-Provinz mit dem Hafen von Maputo in Mosambik verbindet, gilt als erfolgreicher Transportkorridor, der vom Meer abgeschnittene Provinzen in einer der höchstindustrialisierten und produktivsten Regionen des südlichen Afrika erschlossen hat. Gegenwärtig gibt es in Afrika mehr als 20 solcher funktionierender Korridore, die meisten davon allerdings traditionelle Transportkorridore. Warum nicht weitergehen und industrielle Entwicklungskorridore schaffen, fragt der Bericht.

* Von anderen Kontinenten lernen!

Dem Report zufolge ist der entwicklungspolitische Regionalismus kein vages Konzept. Anderswo werde dies bereits umgesetzt. Ein Beispiel ist das Greater Mekong Sub-region Project in Südostasien, das mit Unterstützung der Asiatischen Entwicklungsbank die ökonomische Vernetzung und das Wachstum von sechs Mekong-Ländern fördert (Kambodscha, China, Laos, Myanmar, Thailand und Vietnam). Das gemeinsame strategische Entwicklungsprogramm basiert u.a. auf öffentlich-privaten Partnerschaften, der gemeinsamen Nutzung von natürlichen Ressourcen und der Schaffung ökonomischer Entwicklungskorridore. Ein neues Projekt besteht in der Vermarktung der Mekong-Region als einziges Reise- und Tourismusziel.

Während es in einigen afrikanischen Subregionen Elemente einer entwicklungspolitischen Integrationsagenda gäbe – etwa die vorgeschlagene Tripartite Free Trade Area, die 26 Länder vor allem des östlichen und des südlichen Afrika miteinander verbinden soll – ist dies für andere afrikanische Regionen noch völlige Zukunftsmusik. – Will man den Report etwas jenseits der verklausulierten UNO-Sprache resümieren, so könnte man vielleicht sagen, dass er konzeptionell eine deutliche Relativierung der üblichen Freihandelsagenda darstellt, die auch die regionalen Integrationsbemühungen prägt. Dies ist interessant in einer Zeit, da die tonangebenden Kräfte des am weitesten fortgeschrittenen Integrationsprojekts, der Europäischen Union, den Anspruch auf eine politische bewusste Gestaltung und Steuerung immer weiter zurückschrauben, wenn nicht ganz fallen lassen.

Hinweis:
* UNCTAD: Economic Development in Africa Report 2013: Intra-African Trade: Unlocking Private Sector Dynamism, 146 pp, United Nations: Geneva 2013. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 12.7.2013

Empfohlene Zitierweise:
W&E-Zusammenfassung, Entwicklungspolitischer Regionalismus für Afrika, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 12. Juli 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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