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Finanzmarktregulierung ohne Überschwang

Artikel-Nr.: DE20130820-Art.31-2013

Finanzmarktregulierung ohne Überschwang

G20-Gipfel in St. Petersburg

Vorab im Web - Finanzmarktregulierung war das Gründungsmoment der Gruppe der 20 (G20). Zum Gipfel am 5./6. September in St. Petersburg stellt sich die Frage, wie viel erreicht wurde. Während einige Reformen Fortschritte machen, haben andere noch gar nicht begonnen. Die russische Ratspräsidentschaft tut sich nicht hervor bei diesem Thema, obwohl es doch ein Hauptpunkt ihrer Agenda ist. Ein Vorabbericht von Markus Henn, der auch am ersten offiziellen Zivilgesellschaftsgipfel (C20) im Vorfeld teilnahm.

2009 in London und in Pittsburgh kündigten die G20 eine umfassende Regulierung der Finanzmärkte an. Noch immer ist dies ihr Hauptthema der G20, auch wenn die Agenda um Themen wie Entwicklung erweitert wurde. Doch was ist aus den Ankündigungen geworden?

* Banken, Versicherungen, Insolvenzen

Am weitesten in der Umsetzung ist der neue Eigenkapitalstandard für Banken (Basel III). In der EU wurden im April 2013 die Gesetze dazu beschlossen. Ob jedoch die USA am Ende mitziehen, ist weiterhin unklar. Zur Umsetzung kommen zudem in erster Linie nur die risikogewichteten Eigenkapitalanforderungen. Zu den neuen Mindestquoten für flüssige Finanzmittel („liquidity ratio“) hat dagegen der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht erst im Juli dieses Jahres einen Umsetzungsplan veröffentlicht: Ab 2015 sollen die Banken beginnen, die neuen Vorgaben umzusetzen, voll gültig werden sie erst 2019. Noch langsamer und unverbindlicher ist die Planung bei der maximalen Verschuldungsquote („leverage ratio“). Deren Entwicklung soll bis 2017 nur beobachtet werden.

Sorgen machen den G20 weiterhin Finanzinstitutionen, die zu groß zum Pleitegehen sind („too big to fail“). Schon 2011 hatten die G20 ihre Liste zu „global systemisch wichtigen“ Banken veröffentlicht (s. W&E 11-12/2011), die verschärfte Auflagen gewärtigen müssen. Nun ist im Juli 2013 eine weitere Liste mit den global wichtigen Versicherungskonzernen erschienen, wobei unter den neun gelisteten die deutsche Allianz ist. Für diese Versicherungen sollen nun bis 2019 schärfere Sicherheitsregeln entwickelt und umgesetzt werden. Es spricht für sich, dass die G20 erst fünf Jahre, nachdem die damals weltgrößte Versicherung AIG vom Staat gerettet werden musste, das Problem aktiv angehen.

Die G20 wollen auch die Rettung beziehungsweise Insolvenz von Banken regeln. In Deutschland gibt es dazu schon seit 2010 ein Gesetz, auch die EU hat kürzlich einen Rahmen beschlossen. Die wichtigste Forderung bei solchen Rettungsmechanismen bleibt die nach finanzieller Einbindung der Gläubiger und Eigentümer. In Deutschland kommen die Gläubiger nach wie vor gut davon, wenn eine Bank pleite gehen sollte. Wo die G20 hinsteuern, lässt sich den letzten Kommuniqués der Finanzminister/innen nicht entnehmen.

Die Insolvenz von Staaten fassen die G20 noch immer mit Samthandschuhen an. Erst auf Drängen von außen hatte die russische Präsidentschaft sich überhaupt ein wenig damit beschäftigt. In den Kommuniqués der Finanzminister taucht es aber nicht auf – zu groß ist wohl die Sorge, die Finanzmärkte könnten argwöhnen, dass eine Insolvenz kurz bevorsteht. Doch Probleme lösen sich nicht, indem man darüber schweigt. Deshalb sollte es zumindest eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen gemeinsam mit den G20 geben, um Ansätze für ein faires, effektives und transparentes Verfahren der Staateninsolvenz zu diskutieren.

* Problemzone Schattenbanken

Noch am Anfang steht die Regulierung von Schattenbanken. Der Umfang dieser bankähnlichen Geschäfte, die nicht wie Bankgeschäfte reguliert sind, wird vom Financial Stability Board auf 67 Billionen US-Dollar geschätzt. Zwar wurden Teile des Schattenbankwesens wie Verbriefungen oder Hedge Fonds in Ansätzen strenger reguliert. Eine umfassende Regulierung steht aber aus. Eine Einigung, so hört man auch aus der deutschen Regierung, gestaltet sich nicht einfach. Der erste Kandidat für eine Regulierung soll der Geldmarktfonds amerikanischen Typs sein – was kaum auf Zustimmung der USA stoßen dürfte. Und jeder Staat wird wohl sein Schattenbankmodell haben, das er gerne verteidigen will. Insofern ist es fraglich, ob die G20 zu echten Beschlüssen kommen werden.

Nur teilweise voran kommen die G20 bei Derivaten. Die USA haben dazu bislang als einziges Land alle Vorgaben aus Pittsburgh in Gesetze gefasst. Allerdings haben einige andere Länder, darunter die EU, schon die zentrale Abwicklung der Derivategeschäfte („Clearing“) beschlossen. Zu Streit hatte zuletzt das Ansinnen der US-Regierung geführt, ihre Regeln für außerbörsliche Derivate im Zweifel auch außerhalb der USA durchzusetzen. Die Amerikaner wollen verständlicherweise nicht noch einmal erleben, dass die Londoner Tochter einer US-Bank mit ihren faulen Derivaten die Mutterfirma in den Abgrund reißt. Die EU-Spitzen reagierten gereizt und wollten ihre Regeln als gleichwertig anerkannt sehen. Im Juli einigten sich EU und USA nun auf einen Kompromiss. Die USA wollen EU-Regeln vielfach anerkennen, es erfolgt aber eine Prüfung der einzelnen Bereiche, und die EU wird stärker auf die Vereinbarkeit ihrer Regeln mit denen der USA achten müssen.

* Kein Herzensanliegen für Russland

Für die G20 sind nach wie vor einige der Grundprobleme der globalen Finanzarchitektur kein Thema. Die Kontrolle von (spekulativen) Kapitalströmen und die heiklen bilanziellen Ungleichgewichte zwischen den Staaten spielen bis auf vage Aufforderungen keine große Rolle. Stattdessen wollen die G20 die Finanzmärkte über „Langzeitinvestitionen“ vor allem in Infrastruktur stärken. So wie in Deutschland geht auf internationaler Ebene der Trend bei der Finanzierung von Entwicklung weiter in Richtung Privatwirtschaft. Die negativen Erfahrungen mit der Privatisierung öffentlicher Infrastruktur werden verdrängt.

Insgesamt macht die russische Ratspräsidentschaft nicht den Eindruck, dass ihr Finanzmarktregulierung ein Herzensanliegen ist – die Einbindung der Privatwirtschaft dagegen schon eher. Deutlich wurde dies unter anderem bei einem neuartigen Prozess zur Einbindung der Zivilgesellschaft unter dem Schlagwort „Civil20“ (C20). Nachdem schon früher die Wirtschaft (Business20) und die Gewerkschaften (Labour20) mit besonderen Vorabgipfeln bedacht wurden, wurde dieses Modell nun auf Nichtregierungsorganisationen übertragen. Dabei mündete ein halbjähriger Arbeitsprozess im Juni in einen C20-Gipfel in Moskau.

* Civil20 mit konträren Empfehlungen

Das Thema Finanzmarktregulierung steht beim C20-Prozess unter keinem günstigen Stern. Anfangs wollte die russische Regierung eine Arbeitsgruppe dazu – sprich zu ihrem Hauptthema! – gar nicht haben und richtete sie erst auf Drängen der Zivilgesellschaft ein. Allerdings wurde dann für den Vorsitz der Gruppe neben einem Vertreter der nicht-russischen Organisationen ein russischer Ko-Vorsitzender eingesetzt, der eine unternehmensnahe Vereinigung vertritt – dabei hat ja die Wirtschaft mit dem B20 ihr eigenes Forum. Wenig überraschend mündete die Arbeit der Gruppe in einem Eklat, und es gibt nun in den offiziellen Dokumenten zwei konträre Empfehlungen für die G20.

Ähnlich problematisch verlief der C20-Gipfel. Statt der über Monate in der Arbeitsgruppe entwickelten Forderungen präsentierte die russische Regierung plötzlich am ersten Konferenztag eine praktisch nicht mit den Arbeitsgruppen abgestimmte Address to the Leaders. Zwar konnte das Schlimmste an der Address im Laufe der Konferenz noch verhindert werden – doch bleibt die Frage, ob die Zivilgesellschaft die Zustimmung zur Endfassung offensiv hätte verweigern müssen. Ein Grund, dass dies nicht geschah, ist wohl, dass die russischen Nichtregierungsorganisationen daran eher kein Interesse hatten.

Vor dem Gipfel hatten viele NGOs Bußgeldbescheide erhalten, weil sie sich nicht als ausländische Agenten registrieren lassen. Der Gipfel bot ihnen immerhin die Möglichkeit, vor einem internationalen Publikum Kritik an der russischen Politik zu üben. Am zweiten Konferenztag verlor dann die Wahlbeobachter-Organisation Golos vor Gericht ihren Prozess gegen das Bußgeld – gerade während Präsident Putin mit Vertretern/innen der Zivilgesellschaft zum Gespräch saß. Finanzmarktregulierung kam im Gespräch mit Putin allerdings nicht vor.

Markus Henn ist Politikwissenschaftler und Referent für Finanzmärkte bei WEED.

Weitere Informationen:
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Empfehlungen der C20 Working Group on Financial Architecture, Market Regulation and Sovereign Debt: http://civil20.org/c20-groups/financial-architecture.php

Veröffentlicht: 21.8.2013

Empfohlene Zitierweise:
Markus Henn, Finanzmarktregulierung ohne Überschwang. G20-Gipfel in St. Petersburg, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 21. August 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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