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FTT: Die Finanzlobby schlägt zurück

Artikel-Nr.: DE20130715-Art.29-2013

FTT: Die Finanzlobby schlägt zurück

Massiver Angriff auf Finanztransaktionssteuer

Vorab im Web - Nachdem sich eine ‚Koalition der Willigen’ aus elf EU-Mitgliedsstaaten darauf geeinigt hatte, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, schlägt die Finanzindustrie jetzt mit geballter Lobbymacht zurück. Erste Erfolge zeigen sich beim Finanzminister Baden-Württembergs, beim EU-Parlament und bei der französischen Regierung. Ein Schulbeispiel dafür, wie Entscheidungsprozesse in der Postdemokratie funktionieren, schreibt Peter Wahl.

Bis vor kurzem konnte sie zu den wenigen wirklichen Erfolgen bei der Regulierung des Finanzkapitalismus’ gezählt werden: die Finanztransaktionssteuer (FTT). Nachdem Vorstöße Frankreichs und der Bundesregierung zunächst in der G20 und dann in der EU-27 an den üblichen Verdächtigen mit den USA und Großbritannien an der Spitze gescheitert waren, setzten sich Paris und Berlin dafür ein, die FTT über das Verfahren der sog. Verstärkten Zusammenarbeit einzuführen – alles in allem ein beträchtlicher Fortschritt, dass man sich nicht mehr durch die Fixierung auf multilaterale Ideallösungen blockieren lässt. Das Schäuble-Ministerium hat sogar aktiv daran gearbeitet, das Quorum von neun Mitgliedsstaaten zusammenzubekommen – mit Erfolg, denn im Februar begannen offiziell die technischen Verhandlungen mit elf „Mitmachern“.

* Signal zum Angriff von Goldman Sachs

Verhandlungsgrundlage war der Vorschlag der Kommission, der sogar noch weiter ging als der Entwurf für die EU-27. Neben den regulatorischen Effekten der FTT auf Hochfrequenzhandel und andere hochspekulative Geschäftsmodelle haben es vor allem die Vorschläge gegen Steuerumgehung in sich. Durch die Ergänzung des Herkunftsprinzips mit dem produktbezogenen Ausgabeprinzip würde z.B. der Verkauf einer VW-Aktie durch eine US-Bank an einen australischen Fonds besteuert, selbst wenn der Deal auf dem Mond stattfände. Damit hatte die Kommission klar gemacht, dass gegen ein Erzübel der Globalisierung, nämlich den endemischen Missbrauch des freien Kapitalverkehrs zur Steuerhinterziehung, durchaus ein Kraut gewachsen ist. Das geht weit über die Bedeutung der FTT als Steuer hinaus.

Aber das geht der Finanzindustrie dann doch zu weit. Prompt kam das Signal zum Gegenangriff mit einer Studie von Goldman Sachs (GS), die am 1. Mai lanciert und in der Szene breit rezipiert wurde (s. Hinweise). Unter anderem auch bei der Baden-Württembergischen Landesbank, so dass kurz darauf der Finanzminister des Landes, Nils Schmid (SPD), pressewirksam verkünden ließ, der Entwurf der Kommission sei „Mist“, und meinte Schäuble in einem Brief erklären zu müssen, eine solche Steuer „kann und darf nicht in unserem Interesse sein“ (FAZ, 24.5.2013).

Bemerkenswert an dem Vorgang ist nicht nur, wie willfährig hier ein Politiker die Vorgaben der Finanzindustrie exekutiert. Auch ein etwas genauerer Blick auf das Goldman-Papier fördert erstaunliche Einsichten zutage. So behauptet das Papier, dass die Steuer nicht 35 Mrd. Euro Einahmen bringe, wie die Kommission annimmt, sondern 170 Mrd. – also fünfmal so viel. Das seien zugleich 92% der Profite (vor Steuern), also in etwa der Untergang des Abendlandes.

* Rechenfehler oder Rechentrick?

Bei 170 Mrd. schlägt natürlich das Herz eines jeden zivilgesellschaftlichen Aktivisten höher, der die Einnahmen, oder wenigstens einen Teil, in die Bekämpfung von Armut und Klimawandel stecken möchte. Aber leider machen die Harvard-Absolventen von GS Fehler, die man keinem VWL-Studenten im zweiten Semester durchgehen ließe: Sie nehmen z.B. das Volumen der Finanztransaktionen aus 2012 und berechnen mit den Steuersätzen der Kommission die Steuereinnahmen, ohne die zu erwartenden Marktreaktionen zu berücksichtigen. Dabei ist es ist gerade ein Ziel der Steuer, hochspekulative Geschäftsmodelle unrentabel zu machen und damit Anreize zu schaffen in weniger spekulative Geschäfte zu investieren (weitere Schwächen des GS-Papiers analysiert eine neue Studie des Wiener WIFO-Instituts; s. Hinweis).

GS fügt sich hier nahtlos in die Kette der grandiosen Fehlleistungen der Mainstream-Ökonomie ein, wie die falsche Schuldentragfähigkeitsgrenze von Kenneth und Rogoff, auf deren Sand das Krisenmanagement der EU gebaut ist, oder den nicht minder wichtigen Fiskalmultiplikator, bei dem sich der IWF um den Faktor 2 bis 3 verhauen hat. Dennoch bleibt diese intellektuelle Schrotthalde die Basis fürs Politikmachen.

* Ventil für Verwässerung geöffnet

Aber nicht nur deutsche Provinzpolitiker fallen auf die Behauptungen der Finanzindustrie herein. Auch das Europäische Parlament hat am 3. Juli einem Bericht zugestimmt, in dem die FTT zwar weiterhin befürwortet und in einigen Punkten sogar ein Verschärfung des Kommissionsvorschlags gefordert wird (z.B. die Einbeziehung von Devisengeschäften), aber zugleich ein ganzer Katalog an Ausnahmen und Abschwächungen aufgestellt wird. Während eine Ausnahme für den Sekundärhandel von Staatsanleihen angesichts der Eurokrise noch nachvollziehbar wäre, gilt das für Pensionsfonds, Repos (kurzfristige Interbankgeschäfte) und Market Maker nicht. Denn wie z.B. das DIW nachgewiesen hat (s. Hinweis), werden konservative Pensionsfonds von der FTT nicht beeinträchtigt, während riskante Anlagestrategien bestraft werden. Das liegt durchaus im Interesse sicherer Renten. Auch Repos und Market Making sind vorwiegend lukratives Kasino.

Der Report des EP hat keine bindende Wirkung, aber er ist ein Signal, dass die Ventile zur Verwässerung ab sofort offen sind. Es entsteht eine Dynamik: Wenn schon ein Befürworter der FTT auf die Banken zugeht, dann werden die Regierungen das noch weitaus mehr tun.

Angesichts der Kräfteverhältnisse sind dagegen die Verbesserungsvorschläge des Parlaments realpolitisch irrelevant. Sie dienen dazu, die Zugeständnisse an die Finanzlobby zu überzuckern und das Zurückweichen öffentlich als Erfolg verkaufen zu können.

* Frankreichs Kotau vor der Finanzindustrie

Prompt hat dann eine Woche später die französische Regierung einen Kurswechsel angekündigt. Am 11. Juli erklärte Finanzminister Moscovici: „Um diese Steuer zu bekommen muss man pragmatisch und realistisch sein, und ich möchte an dieser Stelle sagen, dass mir der Vorschlag der Kommission exzessiv erscheint und Gefahr läuft, das Gegenteil zu erreichen.“

Der bekennende Rechtsausleger der französischen Sozialisten macht damit offiziell, was seit März in den technischen Verhandlungen voll im Gange ist, wo Frankreich derart viele Ausnahmen fordert, dass nur noch eine Karikatur des ursprünglichen Vorschlags und weniger als 10% der Einnahmeerwartungen übrig bliebe, wenn Paris sich durchsetzte.

* Lehrstück für Fassadendemokratie

Ernsthafter Widerstand, etwa von der Bundesregierung, ist nicht zu erwarten. Angesichts des prekären deutsch-französischen Verhältnisses und der Angst Frankreichs vor deutscher Hegemonie wird Berlin – egal unter welcher Koalition – sich nicht für die FTT verkämpfen. Zwar ist nicht damit zu rechnen, dass die Steuer völlig gekippt wird, aber die Wahrscheinlichkeit, dass am Schluss nur noch eine Fassade übrig bleibt, ist groß - trotz parlamentarischer Beschlüsse in mehreren Mitgliedsländern und auf EU-Ebene sowie EU-weiter Umfrageergebnisse von 60% und mehr pro FTT.

Damit entpuppt sich die Geschichte der FTT als ein weiteres Lehrbeispiel für die marktgerechte Demokratie, für Fassadendemokratie (Habermas) oder Postdemokratie: „Während die demokratischen Institutionen formal weiterhin vollkommen intakt sind, ... entwickeln sich politische Verfahren und die Regierungen zunehmend in eine Richtung zurück, die typisch war für die vordemokratische Zeit: Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt zu.“ (Colin Crounch)

Hinweise:
* Goldman Sachs: Financial Transaction Tax: How severe?, Goldman Sachs Research Report of May 1, 2013. Bezug: über www.goldmansachs.com
* Stephan Schulmeister/Eva Sokoll: Implementation of a Financial Transaction Tax by a Group of EU Member States. Estimation of Relocation Effects, of the Size and Distribution of Revenues and of the First-mover Advantage of the Participating Countries, 76 pp, WIFO-Institut: Wien, 4. Juli 2013. Bezug: über www.wifo.ac.at
* Dorothea Schäfer/Marlene Karl: Finanztransaktionssteuer: ökonomische und fiskalische Effekte der Einführung einer Finanztransaktionssteuer für Deutschland, 40 S. plus Anh., Forschungsprojekt im Auftrag der SPD-Fraktion im Bundestag, DIW: Berlin 2012. Bezug: über www.diw.de

Veröffentlicht: 15.7.2013

Empfohlene Zitierweise:
Peter Wahl, FTT: Die Finanzlobby schlägt zurück, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Juli 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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