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Global Governance: Reform oder weitere Erosion?

Artikel-Nr.: DE20130507-Art.21-2013

Global Governance: Reform oder weitere Erosion?

Prinzipien für das Management der Globalisierung

Nur im Web – Noch nie war die Reform der Global Governance so dringlich wie heute. Doch die Vorzeichen dafür sind nicht gut, argumentiert Ian Goldin in seinem neuen Buch „Divided Nations“ (s. Hinweis). Zusammen mit Ngaire Woods von der Blatvik School of Government in Oxford hat Ian Goldin ein Set von fünf Prinzipien entwickelt, wie die Global-Governance-Reform dennoch gelingen könnte.

Wenn die vergangenen Jahrzehnte die Leitschnur bilden, werden die alten Institutionen mit neuen Problemen konfrontiert, obwohl sie für andere Zwecke geschaffen wurden. Die UN, der IWF, die Weltbank und andere sind überlastet und unfähig, ihr ausuferndes Mandat zu erfüllen. Die G7 – ein kleines informelles Direktorat zum Management der globalen Ökonomie, das in den 1970er Jahren entstand – beschäftigt sich mit allen diesen Fragen. Doch ihre Mitgliedschaft – ein Machtzentrum vor 30 Jahren – ist nun veraltet. Die G20 haben im Vergleich dazu mehr globale Legitimität. Gleichwohl besitzen diese und andere zwischenstaatliche Netzwerke wie die G24 oder die G77 der Entwicklungsländer weder die Autorität noch die Kapazität oder Legitimität, um den enormen Erwartungen, die in sie gesetzt werden, zu erfüllen.

Globales Handeln ist wichtig. Doch braucht es fünf Kernprinzipien, wann, wo und wie globales Handeln notwendig ist.

1. Nicht in allen Fragen ist globales, kollektives Handeln erforderlich.

Gelten muss das Subsidiaritätsprinzip. Viele Probleme sind auf der nationalen, regionalen oder bilateralen Ebene lösbar. Hinzu kommt, dass nichtstaatliche Akteure wie der private Sektor oder zivilgesellschaftliche Organisationen ebenfalls zur konkreten Problemlösung beitragen können.

Diejenigen, die für eine größere Rolle der Zivilgesellschaft oder professioneller Netzwerke eintreten, haben absolut Recht. Die Regierungen werden dann gebraucht, wenn diese nicht zu kollektivem oder rechtzeitigem Handeln fähig sind und dies dramatische und irreversible Konsequenzen hätte. Der Klimawandel ist ein offenkundiges Beispiel. Selbst bei schnellem globalen Handeln sagt der IPPC einen Temperaturanstieg von 2-3% voraus, was für viele Millionen Menschen eine Katastrophe wäre.

Globales gemeinsames Handeln ist absolut notwendig, um die Gemeingüter zu schützen. Dies vorausgesetzt, bedeutet das Subsidiaritätsprinzip (solange die übergreifenden nationalen Zielsetzungen erfüllt werden), dass die Nationalstaaten und sogar die Gemeinden in der Lage sein sollten zu bestimmen, wie globale Regeln an lokale Prioritäten angepasst werden sollen.

2. Notwendig ist selektive Inklusion

Als Faustregel kann gelten: Die Schlüsselakteure müssen einbezogen sein und das muss nicht nur die Länder mit der größten Problemlösungskapazität einschließen, sondern auch die am meisten betroffenen Länder. Mit anderen Worten: Nicht alle Akteure müssen unbedingt in jede globale Verhandlung einbezogen sein, sondern die signifikantesten. Im Falle des Klimawandels bedeutet dies: Es ist wesentlich, dass die 20 Länder, die für über 80% der Emissionen verantwortlich sind, dabei sein müssen, gleichwohl aber auch die am meisten betroffenen Länder (wie etwa Bangladesch). Nur dies wird eine Problemdefinition und eine Art des Handelns ermöglichen, die effektiv und legitim sind.

Top-down-Entscheidungen, wie sie die IWF-Konditionalität, die Invasion im Irak oder die Hand-outs der Geber darstellen, sind nicht nachhaltig. Das heißt auch: Einige der bestehenden Institutionen bestehen diesen Test nicht. Entscheidende Akteure wie China sind kein Mitglied in der G8 (die aus der G7 hervorging, als Russland dazu kam), der Internationalen Energieagentur oder der Internationalen Organisation für Migration. Solange solche Länder nicht dabei sind, können diese Organisationen nicht die globalen Fragen, denen sie sich gegenüber sehen, lösen.

3. Zur Anwendung kommen muss das Prinzip der variablen Geometrie

Der Prozess des globalen Managements muss effizient sein. Die Effizienz-Nostalgie macht die G8 immer noch zum Schwergewicht. Wenn acht Politiker um einen Tisch herum sitzen, ist das praktikabel, nicht wenn es wie bei den UN 192 Mitglieder sind. In der Praxis bedeutet das, dass der Prozess des globalen Managements jeweils die Mindestzahl der Länder einbeziehen muss, die im jeweiligen Stadium zum Management eines Problems gebraucht werden.

Für die Klimaverhandlungen bedeutet dies, dass Tuvalu und die Allianz der kleinen Inselstaaten nicht in den Diskussionen darüber vertreten sein müssen, wie die Emissionen reduziert werden sollten. Doch ihr Input ist entscheidend, wenn es darum geht, welches Handeln notwendig ist, um mit den irreversiblen Veränderungen fertig zu werden.

Effektives globales Management braucht also eine variable Geometrie bzw. verschiedene Länder müssen zu verschiedenen Fragen in verschiedenen Phasen globalen Handelns engagiert sein.

4. Globales Management bedarf der Legitimität

Dieses Prinzip wird regelmäßig angesprochen, aber selten definiert. Einfach ausgedrückt, müssen die Regeln der Einbeziehung in globales Handeln verständlich sein und von den meisten Ländern akzeptiert werden können.

Der Test der grundlegendsten Form von Legitimität ist ganz einfach: Akzeptiert eine Regierung, die sich durch die Anwendung einer Regel im Nachteil fühlt, dennoch weiterhin die Regeln in ihrer Gesamtheit? Wird sie die Regeln befolgen oder weiterhin missachten, wenn ihr die Rote Karte gezeigt wird. Und welche Autorität kann aufgebracht werden, um sie zur Befolgung der Spielregeln zu zwingen?

5. Um effektiv zu sein, muss globales Handeln umsetzbar sein.

Regierungen müssen tun, was sie versprechen. Das ist nicht leicht in einer Welt, die nicht mehr über ein einziges Machtzentrum verfügt. Zwischenstaatliche Reviews und Druck zwischen Regierungen ist ein Weg der Durchsetzung. Ebenso wichtig ist der öffentliche Druck, der entsteht, wenn Tatenlosigkeit oder Versagen durch die Kampagnen von NGOs oder andere öffentliche Einrichtungen ans Licht der Medien gebracht werden. Dazu bedarf es umfassender Information darüber, worüber sich Regierungen untereinander einigen und wie sie die Regeln befolgen. Die Umsetzbarkeit globalen Handeln erfordert daher ein hohes Maß an Transparenz.

***

Diese fünf Prinzipien stellen einen klaren Wegweiser durch das ausufernde Terrain der Global Governance dar. Die Spitzenpolitiker der Welt sollten globales Management auf solches Handeln beschränken, das den Grundstandards der Notwendigkeit, Legitimität und Umsetzbarkeit gerecht wird. Zugleich sollten wir uns alle der Notwendigkeit des Handelns in Fällen bewusst sein, in denen diese Prinzipien verletzt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Politiker Probleme einfach übergehen statt sie gemeinsam zu lösen, ist immer sehr hoch.

Wir brauchen nicht mehr globale Institutionen. Wir brauchen eine radikale Reform der existierenden, einschließlich ihrer Straffung. Das kann die Schließung einiger und die Redefinition und Transformation anderer beinhalten. Wenn dies nicht geschieht, droht eine wachsende Frustration bei den Bürgern angesichts des langsamen Fortschritts und der Erosion der Legitimität und Effektivität der Global Governance. Das ist aus einem einfachen Grund sehr beängstigend. Angesichts des Rückzugs vieler nationaler Regierungen von globalen Verpflichtungen können wir es uns unter keinen Umständen leisten, dass globale Institutionen ineffektiv sind.

Die globale Politik ist festgefahren. Es kann keinen Zweifel geben, dass das System eine radikale Reform braucht. Der Errichtung eines gemeinsamen Systems von Regeln zur Förderung inklusiver und nachhaltiger Globalisierung ist dringend erforderlich. Die Frage lautet, ob dies rechtzeitig zur Bearbeitung der globalen systemischen Krisen möglich ist – oder ob die Reform aus der Asche verheerender Krisen entsteht, wie es historisch die Norm war.

Die Dringlichkeit der Global Governance ergibt sich aus der Hoffnung, dass das gemeinsame Management unserer globalen Gemeingüter unermessliches menschliches Leid und Tragödien verhindern kann. Wenn wir das nicht verstehen, wird das Leiden alles an menschlichen Verlusten übertreffen, was wir mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, der Spanischen Grippe und der Großen Depression assoziieren, die das letzte Jahrhundert geprägt haben. Die einzige sinnvolle Leitschnur, die wir haben, ist die Hoffnung, dass die PolitikerInnen nur, wenn sie mit dem Ausmaß des Sturzes in den Abgrund konfrontiert sind, zu mutigen Entscheidungen tendieren.

Hoffen wir, dass das noch immer gilt.

Ian Golding lehrt Internationale Beziehungen an der Universität Oxford. Der Artikel entstammt seinem neuen Buch "Divided Nations: Why Global Governance Is Failing and What We Can Do about it". Der Text folgt der im Globalist veröffentlichten Version.

Veröffentlicht: 7.5.2013

Empfohlene Zitierweise:
Ian Goldin, Global Governance: Reform oder weitere Erosion? Prinzipien für das Management der Globalisierung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Mai 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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