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Investor-Staat-Verfahren: Unfair und teuer

Artikel-Nr.: DE20130324-Art.17-2013

Investor-Staat-Verfahren: Unfair und teuer

Bilaterale Investitionsschutzabkommen (BITs)

Weltweit wurden bisher über 3.000 sog. Bilaterale Investitionsschutzabkommen (BITs) abgeschlossen. Das sind völkerrechtliche Verträge, die ursprünglich dafür gedacht waren, ausländische InvestorInnen vor der gesetzlichen Willkür des Staates und vermeintlich korrupten ausländischen Gerichten zu schützen. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus, schreibt Ska Keller.

Typisch für die Realität ist mittlerweile, dass durch das im Vertrag verankerte Klagerecht der InvestorInnen gegen den Staat (ISDS: „Investor-to-State-Dispute-Settlement“) oftmals Sozial- und Umweltstandards unter die Räder kommen und somit das öffentliche Allgemeinwohl unter die Interessen der InvestorInnen gestellt wird.

* Investorenschutz als Herzensangelegenheit

Seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages ist es Kompetenz der EU, BITs mit anderen Ländern abzuschließen. Das wird auch fleißig gemacht: So versucht die Kommission etwa in die gerade auf dem Verhandlungstisch liegenden Handelsabkommen mit Indien und Kanada Investitionsschutz-Klauseln zu integrieren - oftmals sogar gegen den Widerstand der Partnerländer. Auch in dem frisch verhandelten Abkommen mit Singapur ist ein Investitionskapitel enthalten.

Der Schutz europäischer InvestorInnen ist für die EU-Kommission eine Herzensangelegenheit. Nichts soll ihren Profit im Ausland schmälern, schon gar nicht Änderungen der politischen Mehrheiten oder gesellschaftliche Veränderungen. Deshalb wird den InvestorInnen das Recht eingeräumt, vor einem internationalen Schiedsgericht gegen Staaten zu klagen, wenn sie ihre Rechte verletzt sehen.

Ein solches Schiedsgericht besteht in der Regel aus drei SchiedsrichterInnen, die von den Streitparteien berufen werden. Sie sind häufig keine RichterInnen, sondern auf Investitionsfälle spezialisierte AnwältInnen, die mit solchen Fällen ihr Geld verdienen. Und das nicht wenig - die Anwaltskosten sind ein großer Posten bei Streitschlichtungen und können sich sogar auf bis zu 30 Mio. Dollar belaufen. Die AnwältInnen ermuntern Regierungen, BITs mit eher vagen Formulierungen abzuschließen - später beraten sie InvestorInnen hinsichtlich ihrer Klagemöglichkeit. Der hier vorliegende Interessenskonflikt ist nicht nur offensichtlich, sondern skandalös (s. auch: W&E-Hintergrund Februar 2013).

In der Sache geht es bei der Streitschlichtung oft um indirekte Enteignungen und den sog. Fair und Equitable Treatment Standard (FETS). Doch was nun eine indirekte Enteignung oder eine faire Behandlung genau umfasst, ist häufig nicht sehr präzise definiert und eröffnet somit einen großen Ermessensspielraum der SchiedsrichterInnen. Häufig werden Staaten aufgrund neuer Umweltgesetzgebungen von InvestorInnen wegen angeblicher indirekter Enteignung verklagt – so geschehen, als der schwedische Energieriese Vattenfall Deutschland wegen der Entscheidung zum Atomausstieg verklagte. Die Folge daraus: Aus Angst vor Klagen werden zum Teil wichtige, dem Allgemeinwohl dienende Reformen nicht durchgesetzt bzw. Gesetzesvorhaben zurückgezogen (der sog. chilling effect).

* Horrende Kosten

So verklagte etwa der US-Investor Renco die Regierung Perus auf Schadensersatz, da er sich aufgrund strengerer Umweltschutzverplichtungen gegenüber anderer Unternehmen benachteiligt fühlte. Dabei kann eine Regierung durchaus legitime Gründe haben, wenn sie Privat- oder juristische Personen unterschiedlich behandelt - etwa, wenn sie traditionell benachteiligte Gruppen stärker unterstützt oder gerade junge Industrien verstärkt fördert.

Ein Paradebeispiel für die Gefährdung des Verbraucherschutzes bei ISDS ist die Klage des Zigarettenkonzerns Philip Morris gegen Uruguay: David gegen Goliath. Weil die Regierung in Montevideo ihre Bevölkerung mit abschreckenden Bildern auf Zigarettenschachteln vom schädlichen Tabakkonsum abhalten wollte, verklagte der Tabakmulti sie auf Schadensersatz in Milliardenhöhe. Grund: Morris sieht darin einen Bruch des Investitionsschutzabkommens, da seine Eigentumsrechte durch die staatliche Maßnahme verletzt seien.

Wenn ein Staat einen Fall verliert, kann dies horrende Zahlungen nach sich ziehen. So liefen etwa 2006 30 Klagen gegen Argentinien mit einer Schadensersatzsumme von insgesamt über 17 Mrd. Dollar, was in Argentinien in etwa dem jährlichen Haushaltsbudget entspricht. Grund dafür waren die von der argentinischen Regierung erlassenen Notfallgesetze im Zuge der schweren Wirtschaftskrise 2001, die den Staat vor dem Bankrott retten sollten.

Aber auch für das Schiedsgerichtsverfahren an sich kommen auf den Staat erhebliche Zahlungen von Steuergeldern zu. So musste etwa die philippinische Regierung für ihre Verteidigung gegen den deutschen Flughafenbetreiber Fraport 58 Mio. Dollar zahlen. Mit diesem Geld hätte sie auch das jährliche Gehalt von rund 12.500 LehrerInnen zahlen können.

Trotz vieler Bedenken von NGOs, BürgerrechtlerInnen und auch Abgeordneten will die Europäische Kommission das umstrittene Instrument zum Standard-Tool in ihren Abkommen machen. Sie führt als Grund an, dass InvestorInnen anderswo genau so viel Schutz bekommen sollen, wie zu Hause in der EU. Außerdem seien BITs ein Garant für ausländische Direktinvestitionen, von denen - so wird gern argumentiert - vor allem Entwicklungsländer profitieren. Dabei ist Schutz in der Realität nicht das ausschlagende Argument für oder gegen eine Investition. Viel entscheidender ist für die Unternehmen die Frage der Marktattraktivität. Ist die nicht vorhanden, wird keine Firma der Welt irgendwo investieren.

* Initiative im EP

Dass ein Investitionsschutzabkommen tatsächlich Auswirkungen auf die Investitionsansiedlungen hat, konnte noch nicht bewiesen werden. Im Gegenteil: Seitdem Südafrika auf Investitionsschutzabkommen verzichtet, sind die InvestorInnen nicht weniger geworden. Auch Australien hat sich von dem alten Dogma abgewendet. Bolivien, Ecuador und Venezuela haben mehrere BITs gekündigt, und auch Länder wie die USA und Kanada stehen Veränderungen offen gegenüber.

Zur Zeit wird in Brüssel an einer Verordnung gearbeitet, welche die finanzielle Verantwortung, die aus den Klagen resultiert, regeln soll - also ob Mitgliedsstaaten oder EU in einem gegebenen Fall die Schadensersatzkosten tragen müssten. Eigentlich nur eine Frage von Kompetenz. Zugleich ist diese Verordnung aber die einzige Chance für das Europaparlament, um auf die Frage von ISDS einwirken zu können. Die Abgeordneten werden weder zu der grundsätzlichen Frage angehört, ob ISDS gewollt ist, noch zum wie, sondern nur zur finanziellen Lastenteilung.

Diese Frage ist natürlich auch sehr spannend, aber das Parlament sollte sich hier auch zu Grundsätzlichem äußern. Wir Grüne versuchen, einen neuen Grundsatz in der Richtlinie zu verankern: Der Europäische Gerichtshof soll als juristische Instanz zwischen Investor und EU gesetzt werden. Wenn der Gerichtshof findet, dass diese Klage keine Berechtigung hat, weil zum Beispiel der nationale Klageweg nicht ausgeschöpft wurde, dann soll sie auch nicht vor einem internationalen Schiedsgericht verhandelt werden. So könnten Klagen gegen geltende, rechtskonforme Gesetze geblockt werden.

Dieser Vorschlag ist sicherlich nur ein kleiner Schritt. ISDS bliebe erhalten, die Industrie der WirtschaftsanwältInnen ebenso. Zudem hilft der EuGH-Vorbehalt nicht den vielen Entwicklungsländern, die aus finanzieller Sicht von den Klagen noch massiver betroffen sind. Aber er könnte einen Paradigmenwechsel einläuten, dem sich auch andere Länder anschließen. Doch dafür muss der Vorschlag erst einmal im Europaparlament eine Mehrheit finden.

Bei den SozialdemokratInnen und der Linken dürfen wir wohl mit Unterstützung rechnen. Der konservative Berichterstatter findet den Vorschlag zwar interessant; eine Mehrheit seiner Fraktion kann er dafür aber sicher nicht begeistern. Die Liberalen sind gegen unsere Idee. Und dann wären da noch die Mitgliedsstaaten, mit denen das Parlament alle Änderungen verhandeln muss. Sie verstehen ISDS leider noch zu oft als Unterstützung für die heimische Industrie und nicht als die Bedrohung für ihre eigene Gesetzgebung, die sie eigentlich ist.

Auch wir Grüne wollen einen verlässlichen Rechtsrahmen für InvestorInnen. Grundstein dessen ist allerdings die nationale Gesetzgebung. InvestorInnen sollen weder schlechter noch besser gestellt werden, als einheimische Unternehmen. Letztes Mittel bei gravierenden Streitfragen sollte Staat-Staat-Streitschlichtungen sein. Da muss sich die Regierung gut überlegen, ob sie sich der Sache des Investors anschließt.

Ska Keller, MdEP, ist für Die Grünen im Europäischen Parlament (www.skakeller.de)

Veröffentlicht: 24.3.2013

Empfohlene Zitierweise:
Ska Keller, Investor-Staat-Verfahren: Unfair und teuer. Bilaterale Investitionsschutzverträge (BITs), in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 24. März 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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