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TTIP: Die neue Freihandelsoffensive

Artikel-Nr.: DE20130807-Art.30-2013

TTIP: Die neue Freihandelsoffensive

Anmaßung des Nordens

Nur im Web - Die aktuelle Diskussion über die geplante Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den USA und Europa, wie das Projekt euphemistisch genannt wird, ist Teil einer globalen Debatte über regionale und bilaterale Freihandelsabkommen. Es ist der Versuch, eine neue Liberalisierungswelle auszulösen, schreibt Rainer Falk.

Die fast 12 Jahre alte Doha-Entwicklungsrunde in der Welthandelsorganisation (WTO) ist unübersehbar in eine Sackgasse geraten. Doch jetzt bricht sich erneut die alte Besessenheit von Wachstum und Freihandel Bahn, die nie richtig weg war, aber aufgrund veränderter Kräfteverhältnisse in der WTO empfindliche Dämpfer bekommen hatte.

* Seht her – wir tun was fürs Wachstum

Immer wenn eine Verhandlungsrunde über ein neues Freihandelsabkommen eingeläutet wird, erklingt ein Chor von Vorhersagen, wie segensreich und wohlfahrtsfördernd das neue Abkommen sein wird. So ist es auch diesmal wieder. Die TTIP soll laut einer Studie der EU-Kommission die Wirtschaftsleistung in Europa um 119 Mrd. € pro Jahr und in den USA um 95 Mrd. € pro Jahr erhöhen. Schon heute entfällt auf die USA und die EU zusammengenommen rund die Hälfte des globalen Outputs und ein Drittel des Welthandels. Die Botschaft ist klar: Seht her, wir geben dem Wachstum einen kräftigen Schub.

Auch wenn die Wohlfahrtswirkungen nach einem anderen Gutachten, das das Münchner ifo-Institut veröffentlicht hat, genau andersherum verteilt sein werden und die USA mehr als die EU profitieren werden, während die Umlenkungseffekte im Handel zu Lasten der Entwicklungs- und Schwellenländer gehen werden, das zusätzliche Wachstum ist allemal groß genug, um das hochgelobte Freihandelsprinzip vor kritischen Fragen abzuschirmen. Dabei wird bei solchen Zahlenspielen geflissentlich „übersehen“, dass es sich um pure Hypothesen handelt, da die eigentlichen Verhandlungen zum Zeitpunkt der Durchführung der Studien noch gar nicht begonnen haben, und über die tatsächlich erreichbaren Verhandlungsergebnisse nur spekuliert werden kann.

Hinzu kommt: Bei den TTIP-Verhandlungen steht – ebenso wie bei ihrem Pendant, der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) und den zahlreichen bilateralen Handels- und Investitionsabkommen – längst nicht mehr die klassische Handelsliberalisierung im Vordergrund. Die entscheidende Herausforderung, vor allem auch für die nichtbeteiligten Länder, besteht darin, dass auf diesem Weg ein neues Regelsystem der Weltwirtschaft aufs Gleis gesetzt werden soll. Denn da der Güterhandel bereits weitgehend liberalisiert ist, wird im Wesentlichen über die Beseitigung sog. nichttarifärer Handelshemmnisse verhandelt – die Anpassung und Harmonisierung von Standards und Normen (die Frage ist: auf welchem Niveau?), um neue Regeln für grenzüberschreitende Investitionen, um Fragen des Wettbewerbs, der öffentlichen Auftragsvergabe, Dienstleistungen, geistiges Eigentum etc., also um Fragen, mit denen der Westen teilweise bereits beim Multilateralen Investitionsabkommen (MAI) in der OECD und zuletzt auch in der WTO gescheitert war.

* Lästiger Süden

Dass jetzt außerhalb der WTO verhandelt wird, ist alles andere als nebensächlich: So kann man sich die lästigen Widersacher aus dem Süden, die sich in der WTO zuletzt recht effizient organisiert hatten, vom Leib halten und ist nicht gezwungen, dem multilateralen Regelwerk zu folgen, wie es in der WTO dem Anspruch nach herrscht (wenngleich nicht immer voll eingehalten wird). Und dennoch wird das neue System, so es denn zustande kommt, vom Anspruch her global sein. Nur werden dessen Regeln von den maßgeblichen Interessen der Wirtschaftsblöcke des Nordens gesetzt. Das ergibt sich schon aus dem schieren ökonomischen Gewicht der an den Verhandlungen beteiligten Länder. Der Rest der Welt, also vor allem zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer, kann dann – nach dem Motto „Vogel, friss oder stirb!“ – im Nachhinein unterzeichnen – oder auch nicht, womit wiederum der tendenzielle Ausschluss von Handelsbeziehungen riskiert würde.

Dieser globale Anspruch, der treffender als globale Anmaßung zu kennzeichnen wäre, steht heute allerdings im Gegensatz zu grundlegenden Verschiebungen im ökonomisch-politischen Kräfteverhältnis. Immer stärker formieren sich gerade die Schwellenländer zu eigenen Formationen, die die internationalen Beziehungen mitbestimmen. Sogar aus einer Abkürzung, die ein US-amerikanischer Investmentbanker in die Welt setzte, haben die BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) inzwischen ein Instrument zur Vertretung eigenständiger Interessen gemacht. Zwar ist der Weg zu neuen ökonomischen Integrationsverbünden im Süden nicht frei von Rückschlägen und Problemen, wie zuletzt die Kinderkrankheiten der neuen BRICS-Entwicklungsbank zeigten. Aber der Süd-Süd-Handel ist heute das am dynamischsten wachsende Element des gesamten Welthandels.

Es ist deshalb kaum vorstellbar, dass die Mitgliedsländer der neuen Allianzen des Südens die einseitige Regelsetzung des Westens einfach so akzeptieren werden. Andere Entwicklungsländer stellen die heute bereits geltenden Regime für grenzüberschreitende Investitionen wieder in Frage, wie die neue Koalition lateinamerikanischer Staaten gegen die zunehmenden Schadensersatzklagen transnationaler Konzerne gegen Gesetzesregeln in den Gastländern vor internationalen Schiedsgerichten zeigt (Gegenwind für Transnationale Konzerne).

* Freihandelsgetöse mit Doppelstandards

Der globale Anspruch der neuen Offensive des Westens darf aber auch nicht übersehen lassen, dass das damit einher gehende Freihandelsgetöse in Wirklichkeit hochgradig von Doppelstandards geprägt wird. Schon die WTO-Verhandlungen gerieten deshalb in die Sackgasse, weil sich die USA und die EU weigerten, die Agrarsubventionen zu streichen – für die Entwicklungsländer, wo über 70% direkt oder indirekt von der Landwirtschaft abhängig sind, eine elementare Bedingung, um überhaupt von „Entwicklungsrunde“ reden zu können.

Niemand sollte glauben, dass die TTIP- oder TPP-Verhandler nach anderen Werten verfahren würden, wenn es um eingemachte Interessen geht. Wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz kürzlich bemerkte, geht es den Protagonisten um die Schaffung eines „gesteuerten Handelssystems“, das den Partikularinteressen folgt, die die westliche Handelspolitik schon seit langem bestimmen. Dabei wird man genau beobachten müssen, wie sich insbesondere drei Interessenblöcke artikulieren werden: die Finanzindustrie, die Pharma- und Chemielobby und die IT-Branche.

Während der IT-Branche und vor allem den Hollywoodmedien jede „exception culturelle“, wie sie die Franzosen wollen, ein Dorn im Auge ist, versucht die Pharmalobby derzeit alles, um die von der WTO den ärmeren Ländern beim geistigen Eigentum eingeräumte Ausnahmeregelung wieder rückgängig zu machen, was vor allem das Recht zur Produktion von billigen Generika betrifft und damit für viele letztlich über Leben und Tod entscheidet. Die Finanzindustrie wiederum ist nach der Finanzkrise erneut fieberhaft bemüht, Regulierungen, beispielsweise bei Finanzdienstleistungen, möglichst lasch zu halten bzw. nach eigenem Gutdünken auszugestalten. (Ein bilaterales Handelsabkommen der USA mit Chile hindert das südamerikanische Land schon einmal an der Anwendung von Kapitalverkehrskontrollen, obwohl selbst der IWF diese nicht mehr rundheraus ablehnt.)

Das also ist in etwa das Terrain, auf dem sich die mit dem TTIP eröffnete neue Freihandelsoffensive in den nächsten Monaten und Jahren abspielen wird. Wie lange die Verhandlungen letztlich dauern werden, lässt sich kaum vorhersagen (siehe Doha-Runde!) Dass diese Auseinandersetzung weitgehend klandistine Züge trägt, macht die Sache nicht besser. Denn wie sollen sich die Interessen der Mehrheiten innerhalb und außerhalb der Handelsblöcke gegen die Dominanz von Wirtschaftsinteressen durchsetzen, wenn nicht einmal die Verhandlungsmandate öffentlich zugänglich sind? Whistleblower, bitte an die Arbeit!

Veröffentlicht: 7.8.2013

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, TTIP: Die neue Freihandelsoffensive. Anmaßung des Nordens, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 7. August 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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