Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Kampf um die Medien: Das Beispiel Venezuela

Artikel-Nr.: DE20140404-Art.12-2014

Kampf um die Medien: Das Beispiel Venezuela

Medienmacht und Manipulation in Lateinamerika (II)

Nur im Web - Dort wo die Neoliberalen die Staaten nicht mehr im Griff haben und die Mehrheitsparteien sie nicht mehr bedingungslos unterstützen, bleiben ihnen oft nur noch die Medien, um ihre Interessen durchzusetzen. Venezuela, wo eine der am weitesten entwickelten Medienlandschaften Lateinamerikas existiert, ist ein Beispiel dafür, wie diese zum umkämpften Terrain werden. Von Dieter Boris*).

Das Land weist traditionellerweise einen hochkonzentrierten privaten Mediensektor auf, der nach dem Niedergang der alten Parteien im Laufe der 1990er Jahre und nach dem Wahlsieg von Hugo Chávez 1998/99 eine neue zusätzliche Rolle übernahm: die Organisierung und Anleitung der Opposition gegen den seither in Gang gesetzten „bolivarischen Prozess“. Venezuela steht seither im Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit.

● Aufschreie des Entsetzens im Westen

Früher hat kaum ein Beobachter, Politiker oder Demokratieforscher aus dem Westen Anstoß an dem hochgradig oligopolistisch-elitär verfassten Mediensektor genommen. Heute findet weltweit ein Aufschrei des Entsetzens statt, wenn die Regierung die Lizenz eines marktbeherrschenden TV-Senders auslaufen lässt. Nicht zuletzt weil dieser sich aktiv an einem Putschversuch gegen den verfassungsmäßigen Präsidenten beteiligt hatte (2002) und bei anderen rechtlich sehr zweifelhaften Aktionen gegen die Regierung (mediale und praktische Unterstützung des „Unternehmerstreiks“ der staatlichen Erdölgesellschaft PDVSA 2002/2003) eine herausragende Rolle gespielt hatte.

„Die meisten privaten Medien werden von den alten Eliten kontrolliert und ergreifen offen Partei gegen die Regierung von Hugo Chávez sowie die sozialen Bewegungen. Mit legitimer Kritik hat dies meist wenig zu tun. Medien wie Globovisión attackieren die Regierung fortwährend mit Halbwahrheiten und Lügen. Im April 2002 waren die wichtigsten privaten Medien maßgeblich am – letztlich gescheiterten – Putsch gegen Chávez beteiligt. Was in den meisten Ländern der Welt schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde, führte in Venezuela 2007 lediglich zur Nicht-Verlängerung der öffentlichen Sendefrequenz des oppositionellen Fernsehsender RCTV, der heute nur noch über Kabel und Satellit empfangen werden kann.“ (Lambert 2009)

● Boom der Basismedien

Mittlerweile wurde die Rolle der Medien in der neuen Verfassung allgemein festgelegt und durch mehrere konkretisierende Gesetze fixiert. In einem Gesetz aus dem Jahr 2000 zum Beispiel wurden die Rechte der Gemeindesender auf Frequenzen und die Modalitäten ihrer staatlichen Förderung festgelegt, darin wurden 14% aller Sendefrequenzen nicht-kommerziellen Medien vorbehalten.

In dem „Gesetz für Soziale Verantwortung in Radio und TV“ (2004) wurden Regulierungen vorgenommen, die wenig spektakulär und in vielen Ländern üblich sind. Zum Beispiel wird darin vorgeschrieben, dass die audiovisuellen Medien 50% ihres Programms mit Produktionen aus dem Inland bestreiten müssen, dass 90 Minuten pro Tag Programme für Kinder und Jugendliche ausgestrahlt werden müssen und die Sendungen erst zu später Stunde sexuelle oder gewalttätige Inhalte aufweisen dürfen. Werbung für Alkohol und Tabak wird darin verboten, ebenso die Nutzung der Medien, um persönliche Beleidigungen und Diffamierungen vorzunehmen (Azzellini 2006).

Die Zahl der Basis-Radiosender und der lokalen TV-Sender hat sich in den letzten Jahren sprunghaft gesteigert; gab es 2002, zur Zeit des Putschversuchs, nur 13 Basissender, so stiegen sie auf über 250 an. Deutlich gewachsen ist aber auch die Zahl privater Radiosender, die mittlerweile auf die stattliche Zahl von 472 kommen. Dazu kommen noch 79 staatliche Sender. Insgesamt wurden die vergebenen Radiofrequenzen stark erhöht. Gegenüber dem Stand von 2000, als die damals 300 Sender fast allesamt privat geführt worden waren, sind nun die Proportionen deutlich zugunsten der kommunalen Basisradios und der staatlichen Sender verschoben, obwohl die kommerziellen Sender mit über 60 Prozent immer noch die Mehrheit bilden.

Ähnlich verhält es sich im TV-Bereich: Hier stehen sich z.Zt. 65 private, 37 kommunitäre und sechs staatliche Sender gegenüber (Lambert 2009). Gemäß dem Verfassungsauftrag, der das „Recht auf Kommunikation“ festschreibt, wurde die Gründung von Bürger bzw. Nachbarschaftsmedien geregelt. „Die Folge war ein historisch einmaliger Boom an neuen Alternativmedien. Bis heute entstanden landesweit etwa 500 neue Radio- und Fernsehsender. Allein in Caracas senden gegenwärtig über 20 Radios und drei alternative Fernsehsender… Zusätzlich zu diesem Boom an selbstverwalteten Medien entstanden ab 2003 mehrere öffentliche Medien. Sie sind anders als der Staatssender VTV unabhängiger gegenüber der Regierung… Durch diese verschiedenen Initiativen für öffentliche Medien können VenezolanerInnen sich heute aus unterschiedlichen Quellen informieren. Die Dominanz der privaten Medien wurde schwächer – nicht etwa durch Verbote und Einschränkungen, sondern indem zusätzliche Frequenzen vergeben wurden.“ (Daniljuk 2013)

● Diversifikation des Mediensektors

Das Spektrum hat sich also diversifiziert und demokratisiert, wenn auch die privaten Medien aufgrund ihrer finanziellen und personellen Ressourcen nach wie vor eine dominierende – wenn auch nicht mehr eine absolut beherrschende – Rolle spielen. Ähnliches kann von den Tageszeitungen behauptet werden. Die meisten Tageszeitungen gehören einigen wenigen großen Privatunternehmen und sind strikt oppositionell ausgerichtet; die neu gegründete regierungsnahe Zeitung („Vea“) und die lokalen, basisnahen Blätter von Stadtteilen, sozialen Bewegungen etc. bilden ein kleines, aber keineswegs ein gleichwertiges Gegengewicht.

Allerdings haben die beiden größten anti-chavistisch ausgerichteten Tageszeitungen („El Universal“ und „El Nacional“) seit den 1990er Jahren einen starken Verlust ihrer verkauften Auflagen von damals zusammen 350.000 auf heute 130.000 hinnehmen müssen. Die bei weitem größte Tageszeitung ist gegenwärtig „Ultimas Noticias“ mit mehr als 200.000 verkauften Exemplaren pro Tag. Das Blatt wird von dem Medienunternehmen „Cadena Capriles“ herausgegeben, das außer vielen anderen Printmedien auch große Anteile im Radio- und TV-Markt besitzt. (Der Neffe des Gründers dieses Medienimperiums, Henrique Capriles war in den beiden letzten Präsidentschaftswahlen, im Oktober 2012 und im April 2013 der Gegenkandidat der Opposition.)

Zwischen Juli und September 2009 liefen die Lizenzen einiger privater Rundfunksender aus, und es fanden administrative und steuerliche Überprüfungen im Mediensektor statt, was rechtlich gesehen kaum anfechtbar zu sein scheint, aber wieder einmal starken politischen Wirbel verursacht hat. Abgesehen von der Ahndung rechtlicher und steuerlicher Verfehlungen, die teilweise auch zur Nichtverlängerung der Lizenzen führten, argumentierte die Regierung, dass durch den teils illegalen Aufbau von Medienoligopolen ein „medialer Großgrundbesitz“ entstanden sei, der nun demokratisiert werden müsse.

Sieht man von den letzten Wahlen im April 2013 und dem post-elektoralen Tauziehen über die Korrektheit des Wahlprozesses und des knappen Wahlausgangs ab, hatte sich die stark aufgeladene Kampfstimmung bei den oppositionellen Medien zuletzt etwas verringert (Daniljuk 2013).

● Ein Novum in Lateinamerika

Neben einigen – weniger spektakulären – Neuerungen im öffentlichen Mediensystem durch Neugründungen der Regierung stellt – im Resümee von M. Daniljuk – „die Bewegung der freien, kommunitären und alternativen Medien in Venezuela ein Novum gegenüber den bisher bekannten Formen der Medienpolitik dar. Ihr Ausgangspunkt war die Anerkennung eines Grundrechts auf Kommunikation im Rahmen der Verfassung. Mit landesweit offiziell 361 Radio- und Fernsehsendern – die wirkliche Anzahl liegt möglicherweise deutlich höher – entstand in den vergangenen zehn Jahren eine breite soziale Bewegung, deren Akteure im Wesentlichen diejenigen Bevölkerungsgruppen sind, die in der Vergangenheit von der Teilhabe an der Öffentlichkeit ausgeschlossen waren. Diese Repräsentationslücke wurde zunächst auf lokaler Ebene geschlossen, indem die Betroffenen selbstorganisierte eigene Rundfunkmedien etablierten.“ (Daniljuk 2012)

Fortsetzung folgt

*) Es handelt sich um eine dreiteilige Vorabveröffentlichung aus dem Buch "Bolivars Erben. Linksregierungen in Lateinamerika", 200 S., PapyRossa Verlag, Köln 2014. Bezug: Buchhandel. Der erste Teil der Vorabveröffentlichung findet sich ???042ae6a2ff0fef902???, der dritte Teil ???042ae6a30e0f4320e???.

Empfohlene Zitierweise:
Dieter Boris, Kampf um die Medien: Das Beispiel Venezuelas. Medienmacht und Manipulation in Lateinamerika (II), in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 4. April 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.