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Wandel in Washingtons Lateinamerikapolitik?

Artikel-Nr.: DE20140610-Art.21-2014

Wandel in Washingtons Lateinamerikapolitik?

Kongress-Abgeordnete drängen auf mehr Realismus

Vorab im Web - In einem bemerkenswerten Anflug von Vernunft gibt es in Washington in puncto US-Politik gegenüber Venezuela und Lateinamerika endlich etwas Gegendruck des Kongresses gegen Rechtsaußen und das ‚Zentrum’ – ein Novum gegenüber der Dunstglocke nach Art eines McCarthy, die jahrelang dominierte. In einem Brief an Präsident Obama artikulierten Abgeordnete Ende Mai starke Opposition gegen ein Gesetz, das wirtschaftliche Sanktionen gegen offizielle Vertreter Venezuelas vorsieht. Eine Analyse von Mark Weisbrot.

In einem Wahljahr, in dem es für Politiker nichts zu gewinnen gibt, wenn sie gegen die Macht der kürzlich vereinigten Anti-Kuba- und Anti-Venezuela-Lobbies aufstehen, ist das außergewöhnlich. Doch noch auffallender sind einige der Positionen, die der Brief zur US-Politik in der Region bezieht.

● Gegen die Regime-change-Strategie

Die Mitglieder des Kongresses stellen fest, dass die US-Regierung gewöhnlich „die Meinungen europäischer und afrikanischer Regierungen in diesen Regionen berücksichtigt“ und macht den Vorschlag, sie solle in Lateinamerika genauso verfahren. Nun mag dies wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen, doch das Weiße Haus und das State Department fassen routinemäßig Beschlüsse und handeln in regionalen Fragen, ohne sich mit welchen Regierungen auch immer zu konsultieren. Als Beispiel dafür kommt einem Außenminister John Kerrys ursprüngliche Entscheidung in den Sinn, die Ergebnisse der venezuelanischen Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr nicht anzuerkennen (die später unter dem Druck aus Südamerika revidiert wurde). Ein anderes Beispiel für einseitiges Handeln, das großes Missfallen in der Hemisphäre fand, sind die zahlreichen Aktionen der US-Regierung zur Unterstützung der Putsch-Regierung 2009 in Honduras (gegen die in der Region vehement opponiert wurde).

In einem Punkt, der die Rechte sicherlich in Rage bringen wird, ruft der Brief die Obama-Administration dazu auf, den Botschafter Venezuela zu akzeptieren und selbst einen Botschafter für Venezuela zu ernennen. Darüber hinaus stellen die Mitglieder des Kongresses fest: „Die Union der südamerikanischen Nationen (UNASUR), die Karibische Gemeinschaft (CARICOM) und die Organisation der Amerikanischen Staaten (mit 29:3 Stimmen) haben alle Stellungnahmen herausgegeben, die auf verschiedene Weise die venezuelanische Regierung unterstützen und zur Respektierung der demokratischen Institutionen des Landes aufrufen. Eine Reihe von Präsidenten und Regierungen, darunter Michelle Bachelet von Chile, haben öffentlich vor Versuchen gewarnt, die demokratisch gewählte Regierung Venezuelas gewaltsam zu beseitigen.“

Dies ist einer der seltenen Versuche aus dem Kongress, die Sicht der Mehrheit der Regierungen in der Hemisphäre in den öffentlichen Diskurs einzuführen. Die UNASUR veröffentlichte im letzten Monat ein Statement, das „die Initiative zurückweist, den offiziellen Vertretern der venezuelanischen Regierung fortgesetzt einseitige Sanktionen aufzuzwingen, die das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verletzen und ein Hindernis für das venezuelanische Volk bei der Überwindung seiner Schwierigkeiten durch Unabhängigkeit, Frieden und Demokratie sind“.

● Leugnen aus Prinzip

Was diesen Abgeordneten-Brief so wichtig macht, ist, dass hier Mitglieder des Kongresses – darunter führende Vertreter der Demokraten wie Jan Schakowsky (stellvertretender Fraktionsführer), John Conyers (führender Demokrat im Justizausschuss des Kongresses) und Jim McGovern (Ko-Vorsitzender des Tom-Lantos-Menschenrechtskomission) – erstmals anerkennen, dass die US-Feindschaft gegenüber Venezuela Washington in der Hemisphäre isoliert. Natürlich sollte dies jeder wissen, der in den letzten 12 Jahren nicht im Koma gelegen hat. Doch die US-Außenpolitik besteht zum großen Teil daraus, Realitäten zu leugnen.

Diese besondere Initiative zur Verhängung von Sanktionen gegen offizielle Vertreter der venezuelanischen Regierung kommt vom rechten Rand des politischen Spektrums: einer Allianz aus Neokonservativen und der Anti-Kuba-und Anti-Venezuela-Lobby. Die Obama-Regierung hatte sich in einem Hearing des Senats am 8. Mai gegen diese Sanktionen ausgesprochen. Das Hearing hatte Ähnlichkeit mit einem Zirkus – als Sachverständige waren nur approbierte Hassprediger gegen Venezuela eingeladen, kein Wunder, denn der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat ist Robert Menendez, ein Hardliner, der besessen vom Regime-change in Kuba ist. (Er war im letzten Jahr ebenfalls in eine Reihe von Aufsehen erregenden Skandalen verstrickt; u.a. hatte einer seiner wichtigsten Wahlkampfunterstützer – ein Arzt aus Miami, dem der Senator Gefälligkeiten erwiesen hatte – einen nationalen Rekord aufgestellt und in einem Jahr mehr als 20 Mio. US-Dollar aus dem Gesundheitssystem („Medicare“) eingestrichen.)

Die Spaltung zwischen der Obama-Administration und verschiedenen Dinosauriern im Kongress spiegelt die Spaltung innerhalb der Opposition in Venezuela wider. Vor dem Senat sprach sich Roberta Jacobson, die oberste Beamtin des State Department für die Hemisphäre deswegen gegen die Sanktionen aus, weil auch ihre Verbündeten in Venezuela dagegen sind. Im Gegensatz dazu sympathisieren die Senatoren Menendez und Marco Rubio mit denen in der Opposition, die den Dialog boykottieren und die Regierung stürzen wollen.

Doch ist diese Spaltung weitestgehend taktischer Natur, zumindest in Washington. Und US-Außenminister John Kerry schwankt hin und her zwischen der Unterstützung der einen oder anderen Oppositionsgruppe. Vor ein paar Wochen wies er sogar darauf hin, dass er möglicherweise auch die Sanktionen unterstützen könnte.

● Durchbruch in der Debatte

Washingtons Bemühungen zur Destabilisierung der Regierung Venezuelas in den letzten 12 Jahren waren niemals isolierte Aktionen, sondern Teil einer umfassenden Strategie des „Containment“ und des „Rollback“ in der Region. Bis heute hat das außenpolitische Establishment nicht akzeptiert, dass die Wendung der Region zu mehr unabhängigen und linken Regierungen einen dauerhaften Wandel darstellt – so wie die Abkehr von den Diktaturen in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts. Natürlich ist Venezuela die große Zielscheibe, denn es sitzt auf den größten Ölvorräten der Welt und wird deshalb immer ein wichtiger Player in der Region sein. Doch Washington möchte alle linken Regierungen loswerden, und diese Leute sehen den Sturz der Regierung Venezuelas als realistische Zwischenetappe auf dem Weg zu ihrem langfristigen Ziel.

Aus diesen Gründen ist der jüngste Brief der Kongress-Abgeordneten ein Durchbruch in dem Sinne, dass er anerkennt, das die US-Venezuela-Politik Teil einer umfassenden Strategie ist, die zu wachsender Isolierung der USA in der Region geführt hat. Die USA haben keinen Botschafter-Austausch mit Bolivien, Ekuador und Venezuela, und die Beziehungen mit Brasilien befinden sich auf dem tiefsten Punkt seit Jahrzehnten, schlechter noch als zu Bushs Zeiten. Wenn diese Abgeordneten eine neue Debatte provozieren – dann werden sich die Obama-Administration und ihre Verbündeten auf der Rechten sicher auf der Seite der Verlierer wiederfinden.

Posted: 10.6.2014

Empfohlene Zitierweise:
Mark Weisbrot, Wandel in Washingtons Lateinamerikapolitik? Kongress-Abgeordnete drängen auf mehr Realismus, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 10. Juni 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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