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Wirtschaftslobbyismus und Demokratie

Artikel-Nr.: DE20140821-Art.28-2014

Wirtschaftslobbyismus und Demokratie

Déjà vue: Stamokap revisited

Vorab im Web – Mit der Demokratie steht es nicht zum Besten. Die organisierten Interessen der Wirtschaftsunternehmen setzen sich allzu häufig durch: in den Parteien, im Parlament, am Parlament vorbei, in den Ministerien. Da ist es eher eine Kleinigkeit, wenn Unternehmen das Sommerfest des Bundespräsidenten finanzieren (1),– aber es hat symbolischen Wert: Es ist ebenso würdelos wie die Geburtstagsparty für Ackermann (Deutsche Bank) 2009 im Bundeskanzleramt (2). Von Herbert Schui.

Doch abgesehen von diesen Festen für Bürger oder Bankiers: Bundeskanzlerin Merkel hat eigentümliche Vorstellungen zur Funktion des Verfassungsorgans Parlament: Bei der Auseinandersetzung um den europäischen Finanzmarktsicherungsfonds betonte sie am 1.9.2011 im Deutschlandfunk das „Budgetrecht (als) ein Kernrecht des Parlaments“, um aber danach zu bemerken: „Insofern werden wir Wege finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist ...“

● Der Bundestag ist kein Mitbestimmungsorgan

Zweierlei ist hier beachtenswert, nämlich, dass das Parlament mitbestimmt und dass die Mitbestimmung marktkonform werden soll. Wer ist im Sinne Merkels der Partner des Parlaments bei der Mitbestimmung? Die Wirtschaft? Das Grundgesetz sieht das anders. Denn Deutschland ist, so Artikel 20 des Grundgesetzes, ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht.

Damit sollte klar sein: Das Parlament ist kein Mitbestimmungsorgan, nein, es bestimmt allein, und es ist nicht vorgesehen, dass es nur marktkonform entscheiden darf. Ernsthaft zu prüfen ist, ob eine marktkonforme parlamentarische Mitbestimmung die verfassungsmäßige Ordnung in Frage stellt? Denn schließlich „haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“ – so der vierte Satz des Artikels 20.

Belege dafür, wie sehr die Wirtschaft bei der Staatsgewalt mitbestimmt, gibt es reichlich. Unternehmensverbände schreiben in den Ministerien Gesetzesvorlagen, Parlamentarier oder Staatssekretäre wechseln zu Unternehmen und zurück, nach umfangreichen Spenden an Parteien setzt sich die Regierung für das Interesse der Spender ein. Für Detailinformationen reicht ein Blick (beispielsweise) in die Veröffentlichungen von LobbyControl (3).

● Historische Erfahrungen

Die Auseinandersetzung darüber, wie sehr wirtschaftliche Macht die verfassungsmäßige Ordnung bedroht und was dagegen zu unternehmen ist, hat ihre Geschichte. Die Parteiprogramme der Nachkriegszeit informieren uns hierüber eingehend.

* Im Ahlener Wirtschaftsprogramm der nordrhein-westfälischen CDU von 1947 heißt es zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat in der Weimarer Republik: „Die zu dem engen Kreis der Vertreter der Großbanken und der großen industriellen Unternehmungen gehörigen Personen hatten (...) eine zu große wirtschaftliche und damit zu große politische Macht. (...) Unternehmungen monopolartigen Charakters, Unternehmungen, die eine bestimmte Größe überschreiten müssen, verleihen eine wirtschaftliche und damit politische Macht, die die Freiheit im Staate gefährden kann.“ Deswegen sollten an solchen Unternehmen die Gebietskörperschaften und „Genossenschaften und die im Betreib tätigen Arbeitnehmer (…) beteiligt werden.“ (4)

* Ähnlich das Godesberger Programm der SPD von 1959: „Mit ihrer durch Kartelle und Verbände noch gesteigerten Macht gewinnen die führenden Männer der Großwirtschaft einen Einfluss auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Sie usurpieren Staatsgewalt. Wirtschaftliche Macht wird zu politischer Macht.“ Daher: „Wo mit anderen Mitteln eine gesunde Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht gewährleistet werden kann, ist Gemeineigentum zweckmäßig und notwendig.“

* Ähnlich das Berliner Programm von 1989: „Nicht wirtschaftliche Macht oder marktbeherrschende Unternehmen dürfen der Politik den Handlungsrahmen vorgeben, sondern demokratisch legitimierte Entscheidungen müssen im Interesse des Gemeinwohls Rahmen und Ziele des Handelns setzen.“ Gefordert wird auch hier Vergesellschaftung, die „zugleich demokratisches Element als auch wirtschaftpolitisches Instrument sein“ (5) soll.

● Erklärungsversuche: Ordoliberalismus…

Nach Erfahrungen mit wirtschaftlicher Macht, die Staatgewalt usurpiert, muss also nicht gesucht werden. Auch gibt es viel Empörung und Kritik. Was aber fehlt, ist eine allgemeine Erklärung für diesen Zustand. Sicherlich: Die Tatsachen müssen aufgedeckt, die Wirklichkeit muss abgebildet werden. Aber um diese Wirklichkeit sichtbar zu machen, ist Abstraktion, ist Theorie notwendig.

Kritische Geister berufen sich hier gerne auf Autoren der Sozialen Marktwirtschaft. Deren Lösung ist nicht Entmachtung durch Gemeineigentum, sondern Entmachtung durch Wettbewerb, durch vollständige Konkurrenz. (6) Müller-Armack fordert in diesem Zusammenhang eine „verfassungsmäßig zu verankernde Gewaltenteilung zwischen Staat und Wirtschaft“. Diese gewährleiste, dass „der Staat innerhalb seiner Sphäre so stark wie möglich ist, außerhalb seiner eigentlichen Aufgaben jedoch so wenig Macht wie möglich ausüben sollte.“ (7) Der Staat des Ordo-Liberalismus legt die Spielregeln auf dem Markt fest; er sorgt für vollständige Konkurrenz. Alles andere, so Vollbeschäftigung, gehört in die Sphäre der Wirtschaft. Der Staat des Ordo-Liberalismus ist kein Interventionsstaat.

Dieser, so etwa die Weimarer Republik, wird von Eucken heftig kritisiert. Die enge Verflechtung mit der Wirtschaft unterhöhle die Selbständigkeit der Willensbildung des Staates (das hört sich gut an für die Kritiker von wirtschaftlicher Macht), so dass dieser das „reine Staatsinteresse (was ist das?) zu Geltung zu bringen (...) nur selten imstande“ (8) sei. Demokraten sollten den Aufsatz Euckens zu Ende lesen. Denn: „Letzten Endes waren und sind es die Massen, unter deren wachsendem Druck (...) die überkommene staatliche Struktur maßgeblicher altkapitalistischer Länder zerstört, der Wirtschaftsstaat geschaffen, sowie ohne Ersatz das alte System aufgelöst“ wird.“ (9)

Die Wirtschaft, so das Godesberger Programm, usurpiert die Staatsgewalt, die doch im Sinne der Verfassung den von Eucken verdächtigten „Massen“ zusteht. Den Grund hierfür sehen die Ordoliberalen in der Konkurrenzform: Werden die Großbetriebe beseitigt oder doch wenigstens streng beaufsichtigt, ist die Frage gelöst. Das scheint der intellektuelle Stand der gegenwärtigen theoretischen Auseinandersetzung zu sein.

● … oder staatsmonopolistischer Kapitalismus?

Die Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus war bei der Bearbeitung der Frage intellektuell anspruchsvoller. Ihre Thesen sind: Die Großunternehmen beherrschen maßgeblich Wirtschaft, Politik und Bewusstseinsindustrie (10) – und das nicht einzig im nationalern Rahmen. Das Finanzkapital gewinnt erheblich an Bedeutung dazu, so dass der Kapitalexport im Verhältnis zum Warenexport zunimmt.

Die Frage war nun, ob denn „die moderne Staatgewalt ist nur ein Ausschuss (ist), der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet" (so das Kommunistische Manifest), ob Staat und Großwirtschaft miteinander verschmolzen sind, oder ob der Staat ein eigenständiges wirtschaftliches und politisches Subjekt ist. Die Schlussfolgerung für die Theorie war: Indem der Staat zunehmend (mehr oder weniger geschickt) planvoll in den Wirtschaftsprozess im Interesse der Großunternehmen eingreift (die Bankenrettung ist ein aktuelles Beispiel), könnte er als demokratischer Staat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, den Gesamtprozess im Interesse des Volkes planen. Damit wäre der staatsmonopolistische Kapitalismus als ein Entwicklungsstand zu verstehen, der die Voraussetzung für Sozialismus geschaffen hat.

Zu klären ist hierbei, wie denn die Planung aussehen soll. Kleinunternehmen stehen der Idee nicht im Weg. Der entscheidende Punkt ist vielmehr, die vorhandene Planungskapazität der großen Unternehmen in ihrer Zusammenarbeit mit dem Staat in einem anderen Interesse zu nutzen. Der Ordo-Liberalismus dagegen greift diesen wesentlichen Gesichtspunkt der vorhandenen Fähigkeit zur Planung des Gesamtprozesses nicht auf. Das soll nicht sein. Stattdessen die – eher romantische – Vorstellung der vollständigen Konkurrenz oder, wenn diese Konkurrenzform Massenproduktion und daher niedrige Kosten nicht zulässt und überdies technischen Fortschritt erschwert, eine strenge Beaufsichtigung der Großwirtschaft.

Anmerkungen:
(1) Gauck hat möglicherweise aus diesem Grund 2012 auf reines Finanzsponsoring verzichtet und nur Sachspenden erbeten. Sein Staatssekretär Gill bittet aber später in einem Brief die Unternehmen, sich wieder stärker an der Finanzierung zu beteiligen.
(2) Im April 2009 hat das Kanzleramt auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch zu dem Vorgang Stellung genommen. Dort hieß es, Merkel habe den Geburtstag des Bank-Chefs „zum Anlass genommen", ein Abendessen mit Vertretern aus Wirtschaft und Gesellschaft auszurichten. (Spiegel online 24.8.2009)
(3) Zur Illustration eine Auswahl von Beiträgen von Christina Deckwirth in „Politik im Spiegel“ – LobbyControl: Neue Belege für Klaedens Kontokate zur Autolobby (10.9.2013), Autolobby: Rösler verzögert Akteneinsicht (14.9.2013), Großspenden der BMW-Aktionäre Quandt/Klatten: Schranken für Parteispenden sind dingend nötig (16.10.2013), Quandt und Metallarbeitgeber: Neue Großspende an die FDP (24.10.2013), Autolobby hat Effizienzlabel für Autos selbst geschrieben (30.10.2013), Koalitionsgespräche im Visier der Lobbyisten – Wie die Lobbyisten Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen nehmen (25.11.2013) Vattelfall: Meinungsmache für Braunkohle in der Lausitz (26.4.2014)
(4) Das Ahlener Wirtschaftsprogramm der CDU für Nordrhein-Westfalen vom 3. Februar 1947. In: R. Kunz, , H. Maier, Th. Stammen (Hrsg.), Programme der politischen Parteien in der Bundesrepublik, München 1979, S. 70
(5) Ausführlicher zum Wandel der SPD-Programme s. Herbert Schui, Der Wandel in der Wirtschaftsprogrammatik der SPD: Das Verblassen sozialdemokratischer Tradition, in: Gerechtere Verteilung wagen. Mit Demokratie gegen Wirtschaftsliberalismus, Hamburg 2009, S. 58 -71
(6) Franz Böhm, Kartellauflösung und Konzernentflechtung. In: Traugott Roser, Walter Oswalt, Entmachtung durch Wettbewerb, Walter Eucken Archiv, Reihe Zweite Aufklärung, Bd. 3, Berlin 2007, S.69
(7) Alfred Müller-Armack, Soziale Marktwirtschaft. In: Handbuch der Sozialwissenschaften (HdSW), Tübingen-Göttingen, 1956, S. 391
(8) Walter Eucken, Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus, Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 36 (1932), S. 303
(9) Ebenda, S. 307. Eucken beruft sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf Carl Schmitt. Schmitt schreibt: „Der heutige Staat (die Weimarer Republik, H.S.) ist total aus Schwäche und Widerstandslosigkeit, aus der Unfähigkeit heraus, dem Ansturm der Parteien und der organisierten Interessen standzuhalten.“ Carl Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf Weimar-Genf-Versailles 1923 – 1939. 1. Auflage Hamburg 1940, 2.Auflage Berlin 1988, S. 187
(10) Vgl. hierzu Herbert Schui, Politische Mythen und elitäre Menschenfeindlichkeit, Hamburg 2014

Posted: 21.8.2014

Empfohlene Zitierweise:
Herbert Schui, Wirtschaftslobbyismus und Demokratie. Stamokap revisited, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung
(W&E), Luxemburg, 21. August 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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