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Aus der Niederlage Griechenlands lernen

Artikel-Nr.: DE20150715-Art.19-2015

Aus der Niederlage Griechenlands lernen

Plan B vorbereiten

Das neue „Rettungspaket“ für Griechenland ist eine Niederlage für Syriza. In der Sache hat sich bis auf wenige Nuancen der Austeritätskurs durchgesetzt. Eine Wende wird es nicht geben, das Gewürge geht weiter. Dennoch verdient Syriza Bewunderung dafür, sich der deutschen Dampfwalze entgegengestellt zu haben. Daher ist es auch selbstverständlich, dass jeder politisch anständige Mensch weiterhin solidarisch mit Griechenland ist, schreibt Peter Wahl.

Aber letztlich entscheiden über solche Konfrontationen die machtpolitischen Kräfteverhältnisse. Die sind ihrerseits die Resultante aus einem komplexen Geflecht von ökonomischen, politischen, psychologischen, von internen und externen Faktoren, über die keiner der Akteure die volle Verfügungsgewalt hat. Und diese Kräfteverhältnisse standen von Anfang an sehr zuungunsten von Griechenland.

● Plan B

Das schwerste Handicap Syrizas war es, dass sie keinen Plan B hatte - besser gesagt: nicht haben konnte. Die Festlegung auf den Verbleib im Euro und deren Verankerung bei der Mehrheit der Griechen hat von Anfang an eine Pfadabhängigkeit für denkbare Verhandlungsergebnisse vorgegeben. Hinzu kam ein höllischer Zeitdruck, der den Aufbau substantieller Gegenmachtposition unmöglich machte.

Ohne eine Auffangmöglichkeit jenseits des Euro wäre ein chaotischer Grexit schlimmer als das erneute Diktat. Dass die meisten Griechen und die Regierung Angst vor dem Sprung ins Ungewisse haben ist verständlich und zu respektieren
Allerdings sollten jetzt die Lehren aus der Niederlage gezogen werden und für die unvermeidliche nächste Runde ein solider Plan B und dessen demokratische Legitimierung vorbereitet werden.

Dazu braucht Griechenland internationale Unterstützung. Allerdings besteht Solidarität nicht in blumigen Erklärungen oder markigen Manifesten, sondern in der Verschiebung der Kräfteverhältnisse im europapolitischen Diskurs auch und gerade bei uns. Das bedeutet als erstes: Abschied von den europapolitischen Illusionen der Linken und der Fetischisierung des Euro.

● Diese EU ist nicht reformierbar

Die EU ist in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit nicht reformierbar. Die Verträge und das institutionelle Arrangement haben einen neoliberalen Konstitutionalismus und Herrschaftsstrukturen etabliert, die eine strukturelle Unmöglichkeit emanzipatorischer Veränderung zur Folge hat, zumindest wenn man sich an die Regeln hält. Die Hoffnung, diese EU sozial und demokratisch reformieren zu können, sollte daher ad acta gelegt werden, es sei denn jemand ist so naiv zu glauben, die Verträge mit linken Mehrheiten gleichzeitig in 28 Mitgliedsländern mit der erforderlichen Einstimmigkeit ändern zu können.

● Bruch mit den Verträgen

Emanzipatorische Veränderung ist nur durch den Bruch mit den Verträgen möglich. Dies ist für ein kleines Land wie Griechenland oder selbst eine Gruppe von Ländern machtpolitisch aussichtslos, solange die Großen auf neoliberalem Kurs bleiben - und auf den immer wieder vergebens beschworenen Aufbruch von unten kein Verlass ist. Es muss eine kritische Masse zusammenkommen. Da Frankreich und Italien zumindest bisher der Mut dazu fehlt und ein bis auf die Knochen neoliberales Großbritannien ohnehin mit einem Bein draußen ist, bleibt einem Land wie Griechenland nur die Chance, sich eine Auffangposition jenseits des Euro aufzubauen. Nur dadurch entkommt es der disziplinierenden Herrschaft des Währungssystems und kann demokratische Spielräume zurückgewinnen.

Dazu gehört auch, sich Partner außerhalb der EU zu suchen. Denn es ist klar, dass mit der Dauerkrise jede Regierung über kurz oder lang aus dem Sattel fliegt. Und bei einer linken Regierung kommen natürlich noch Strategien des Regime Change nach allen Regeln der Kunst dazu.

● Spielräume durch Partner jenseits der EU

Als Partner kommen die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und deren neue Institutionen wie die BRICS-Bank oder der BRICS- Reservefonds in Frage, die als Alternativen zu IWF und Weltbank konzipiert sind. Aber auch das braucht Zeit, und die Bereitschaft dieser potentiellen Partner, sich in diesem Fall nicht nur die Wut Brüssels, sondern auch aus Washington zuzuziehen. Aber es zeigt sich hier am Einzelfall, wie nützlich es ist, dass die Transformation des internationalen Systems hin zu einer multipolaren Ordnung begonnen hat. Das schafft nicht nur Griechenland neue Spielräume.

Dabei sollte man sich nicht von der Ideologie der europäischen Werte kirre machen lassen. Wenn es denn so etwas wie europäische Werte gibt, dann werden sie gerade durch die EU entsorgt.

● Finalitätsfrage auf den Tisch – Fetischisierung der Währung beenden

Auch muss die Linke sich der Frage nach der Finalität der europäischen Integration stellen. Der föderale und supranationale Großstaat in Form der Vereinigten Staaten von Europa ist bestenfalls Utopie und vermutlich eine schlechte. Das emanzipatorische Potential, das nach dem Zweiten Weltkrieg darin einmal enthalten war, hat sich erschöpft. Die Mehrheit der Europäer will das nicht und schon gar nicht mit den Deutschen oder gar unter deren Führung.

Die Alternative dazu ist keineswegs, wie es das Horrornarrativ der Europhilen gern behauptet, die Rückkehr zum Nationalstaat des vergangen Jahrhunderts.
Stattdessen wäre eine Flexibilisierung nach innen, d.h. selektive Desintegration - z.B. bei der Währung - und selektive Integration – z.B. bei der Energiewende und in Infrastrukturfragen - anzustreben. Gleichzeitig sollte eine Öffnung nach außen stattfinden, nicht als traditionelle EU-Erweiterungspolitik, sondern als Kooperation auf Augenhöhe mit anderen Regionen, wie Nordafrika, Nahost oder Eurasien.

Einer der ersten Schritte wäre es dann, sich von der Fetischisierung des Euro zu verabschieden und ernsthaft Alternativen zu prüfen, die von linken Ökonomen wie Lapavitsas, Lordon, Sapir und jetzt auch von Lafontaine vertreten werden, und ggf. die (macht)politischen Voraussetzungen für ihre Verwirklichung zu schaffen.

Freilich würde mit alle dem auch die Vorstellung von einer Supermacht EU hinfällig. Aber das ist auch gut so.

Posted: 15.7.2015

Empfohlene Zitierweise:
Peter Wahl, Aus der Niederlage Griechenlands lernen. Plan B vorbereiten, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Juli 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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