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Deutsche ODA endlich auf dem Weg zu 0,7%?

Artikel-Nr.: DE20150421-Art.11-2015

Deutsche ODA endlich auf dem Weg zu 0,7%?

Morgenröte oder Glühwürmchen?

Vorab im Web - In den vergangenen Wochen gab es zwei wichtige Meldungen zur deutschen Entwicklungsfinanzierung, die Optimisten wohl als Morgenröte am Ende des Tunnels zum 0,7%-Ziel erscheinen, die aber auch von einem besonders stark leuchtenden Glühwürmchen handeln könnten, das sich in den Tunnel nur verirrt hat. In welcher Bandbreite sich die künftige deutsche Entwicklungsfinanzierung bewegen könnte, versucht Ludger Reuke*) abzuschätzen.Meldung 1: Am 18. März 2015 wurde der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2016 beschlossen, der im Einzelplan 23 (BMZ-Haushalt) für das Jahr 2016 eine Erhöhung um 862 Mio. € oder 13,2% gegenüber dem Soll von 2015 vorsieht. Dabei wurden auch die Eckwerte für die Folgejahre bis 2019 festgelegt.

● Erster Lichtblick

Zwar hatte es 2008 auf 2007 mit 641 Mio. oder 14,26% schon einmal einen ähnlich hohen Anstieg gegeben, aber nach den dunklen Niebel-Jahren (zuletzt 2013 sogar minus 1,35%) und den mickrigen, gerade mal 1,02 bzw. 1,01% Steigerungen in den ersten zwei von der Großen Koalition zu verantwortenden Haushalten ist dieser Entwurf ein erster Lichtblick für die Entwicklungsfinanzierung.

Die respektable Erhöhung um 862 Mio. € für 2016 liegt allerdings nicht unerheblich unter den je 1,2 Mrd. € für 2012 und die drei Folgejahre, die während der Haushaltsberatungen Ende 2011 im Aufruf „Das Versprechen einhalten“ zunächst nur im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AWZ) gefordert, dann aber von 372 Abgeordneten aus allen Fraktionen (das waren 60% aller MdB) unterzeichnet wurde. Sie liegt auch noch unter den je 1 Mrd. € für 2014 und die drei Folgejahre, die im ersten Entwurf zur Koalitionsvereinbarung im Herbst von Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitikern aus Union und SPD als angemessen angesehen wurden.

Dennoch kann Entwicklungsminister Müller auf die Erhöhung durchaus stolz sein, weist doch auch der für 2016 ins Auge gefasste prozentuale Anstieg des Einzelplans 23 am Gesamthaushalt auf den bisherigen Höchststand von 2,36% deutlich nach oben.

Dieser Erfolg würde allerdings zunichte gemacht, wenn es in den folgenden Jahren bei den vorgesehenen Eckwerten bliebe, die für 2017 nur einen sehr geringen und für die beiden Folgejahre gar keinen weiteren Anstieg vorsehen. Gelänge es dagegen dem Entwicklungsminister, den Finanzminister und den Haushaltsausschuss von der Notwendigkeit weiterer ähnlich hoher Steigerungen in den Haushalten 2017 bis 2019 zu überzeugen, wäre das Prädikat „nachhaltig“ endlich einmal gerechtfertigt. Und da sich Einzelplan 23 in den vergangenen Jahrzehnten fast immer auf 55-65% der ODA-Leistungen belief, würde auch die im Koalitionsabkommen von 2013 erneut versprochene „Annäherung“ an das 0,7%-Ziel endlich in Angriff genommen. (Der Einzelplan 23 ist zwar in seiner Gesamtsumme nicht zu 100% „ODA-anrechenbar“, und er ist auch nur ein Summand der Gesamt-ODA, aber der höchste und langfristig wichtigste. Weitere in der Höhe wichtige Summanden: die Leistungen für Not- und Katastrophenhilfe im Auswärtigen Amt (ca. 1 Mrd. €), Beiträge zum EU-Entwicklungsetat, errechnete Beiträge der Bundesländer und v.a.m.)

● Wachstum zu Lasten der LDCs

Meldung 2: Am 8. April 2015 veröffentlichte der Entwicklungshilfe-Ausschuss (DAC) der OECD die vorläufigen Zahlen der Öffentlichen Entwicklungsfinanzierung (ODA) für 2014. Dabei stieg die deutsche ODA-Quote, der Anteil der ODA am Bruttonationaleinkommen (BNE) von 0,38 (2013) auf 0,41% (2014).

Das ist überraschend, denn der wichtigste Bestandteil der ODA-Leistungen, der Einzelplan 23 des Bundeshaushalts, stieg 2014 nur um gerade mal 1,02%. Die og. DAC/OECD-Mitteilung liefert die Erklärung: “ODA rose ... in Germany ... due especially to an increase in bilateral lending to middle income countries.” Deutschland hatte also verstärkt fortgeführt, was die DAC Peer Review bereits 2010 (und später erneut 2015) deutlich kritisiert hatte: Die Konzentration der deutschen Unterstützung auf Länder mit mittlerem Einkommen, zum Nachteil der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs). Die Schwerpunktverlagerung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit von der Armutsbekämpfung zur (Außen-)Wirtschaftsförderung unter Niebel hat sich also noch einmal ausgewirkt – und setzt sich wohl auch 2015 fort.

● Mögliche Korridore für die künftige ODA-Höhe

Beide Mitteilungen haben starke Auswirkungen auf die künftige Entwicklungspolitik, insbesondere die ODA-Quote. Bei der Vielzahl der Variablen wäre der Versuch, exakte Voraussagen zu treffen, zum Scheitern verurteilt. Exakte Zahlen liegen zu 2014 vor, zum Einzelplan 23 auch die Planzahlen für 2015 und 2016. Für alle anderen ODA-Leistungen wird angenommen, dass sie im Schnitt gleich bleiben. Eine Zahl für die Entwicklung des BNE anzugeben, ist hoch spekulativ (haben doch z.B. die führenden Wirtschaftsinstitute gerade ihre Prognose für das BIP 2015 von 1,2 auf 2,1% heraufgesetzt).

Von den hier vorgestellten vier Varianten wird in zweien vorausgesetzt, dass sich das BNE in den Jahren bis 2019 nicht verändert (unwahrscheinlich, aber wichtige Randgröße, weil „gut“ für die ODA-Quote), die beiden anderen Varianten nehmen eine jährliche Zunahme um 2,4% an; das war laut Statistischem Bundesamt die durchschnittliche Erhöhung in den letzten drei Jahren. Beim Einzelplan 23 gilt in zwei Varianten, es würde ab 2017 nur eine kümmerliche Erhöhung nach Maßgabe der Eckwerte geben, in den anderen wird angenommen, die für 2016 geplante Erhöhung von 862 Mio. € würde sich bis 2019 Jahr für Jahr fortsetzen. Daraus ergäbe sich in absoluten Zahlen ein beeindruckender Anstieg bis 2019 auf ca. 15,7 Mrd. € (Grafik 1). Wie niedrig aber der Ausgangspunkt 2014 im Vergleich zum Ziel ist, zeigt Grafik 2. Denn im günstigsten Fall (Variante A) würden 2019 gerade mal 0,53% erreicht, im ungünstigsten (Variante D) gäbe es sogar einen Rückgang auf 0,39%.

Posted: 21.4.2015

Empfohlene Zitierweise:
Ludger Reuke, Deutsche ODA endlich auf dem Weg zu 0,7%? Morgenröte oder Glühwürmchen?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 21. April 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

Hinweis:
* Die genauen und detaillierten Berechnungen finden sich im Anhang (???042ae6a48810dfb01???).

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