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Die 2030-Agenda und das Entwicklungsjahr 2015

Artikel-Nr.: DE20151222-Art.35-2015

Die 2030-Agenda und das Entwicklungsjahr 2015

Eine kleine Bilanz

Ein seltenes Gefühl der Euphorie ging mit der Annahme der 2030-Agenda und der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) durch die UN-Vollversammlung im September 2015 in New York einher. Die Vielfalt der Ereignisse an der First Avenue und andernorts strahlten eine Partyatmosphäre aus. Und es waren nicht nur Regierungsdelegierte, sondern viele Aktivisten der Zivilgesellschaft, die die neue Agenda feierten, die transformativen Wandel für nachhaltige Entwicklung verspricht. Doch wird die Umsetzung wirklich reale Veränderung bringen, fragt Sakiko Fukuda-Parr.

Die SDGs kennzeichnen eine wichtige Wendemarke in der Entwicklungspolitik als internationales Projekt. Die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) stellten eine Entwicklungshilfe-Agenda dar, die von Entwicklungsagenturen vorangetrieben wurde, welche sich einer rückläufigen Unterstützung für die Entwicklungsbudgets in einer Welt nach dem Kalten Krieg gegenübersahen und in Kontroversen über Strukturanpassung verstrickt waren.

● Nicht nur ein Nord-Süd-, sondern ein globales Projekt

Wie ich in einem Papier zusammen mit David Hulme argumentiert habe, bot der moralische Imperativ zur Beendigung der Armut, der in den 1990er Jahren zur einer globalen Norm wurde, ein vereinigendes Anliegen und eine überzeugendere Erzählung und raison d’être.

Die SDGs auf der anderen Seite wuchsen aus dem Rio+20-Prozess, der eine Agenda der Veränderung der zunehmend ökologisch nicht-nachhaltigen und sozial ungleichen Entwicklung hervorbrachte. Der Erarbeitungsprozess bezog Regierungen, die Zivilgesellschaft, den privaten Sektor und nicht nur Berufsentwicklungspolitiker mit ein. Er war fest in den Händen nationaler Regierungen, wobei Länder mittleren Einkommens wie Kolumbien eine führende Rolle spielten.

Die SDGs sind im Endeffekt die universelle Anerkennung, dass Armut, Ungleichheit und ökologische Nachhaltigkeit sowohl in einem Land wie Großbritannien als auch Liberia eine vergleichbar große Herausforderung darstellen. Sie sind nicht nur ein Nord-Süd-Projekt, sondern vielmehr ein echtes globales Projekt, das vielfältige Akteure jenseits des Staates einbezieht.

● SDGs und MDGs im Vergleich

Die SDG-Agenda ist zweifellos eine Antwort auf einige wichtige Versäumnisse der MDGs:

* Erstens: Vereinfachung und Reduktionismus. Eine der oft gelobten Tugenden der MDGs war angeblich ihre Einfachheit, während die SDGs weithin – vor allem von entwicklungspolitischen Professionellen – als lächerlich aufgeblasen kritisiert werden. Doch Einfachheit bedeutete zugleich Vereinfachung. Die Ziele reduzierten die Bedeutung von ‚Entwicklung‘ auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse und setzten dies an die Stelle von struktureller Transformation zum Ausbau der produktiven Kapazitäten, zur Veränderung von Machtstrukturen und gesellschaftlichen Beziehungen, letztlich zur Erweiterung der menschlichen Freiheiten. Die SDGs sind nicht nur zahlreicher, sondern stellen eine ehrgeizigere Agenda des entwicklungspolitischen Kurswechsels und der notwendigen Reform jener Institutionen dar, die zentral für ihre Umsetzung sind.

* Zweitens: Unfaire Messlatte für arme Länder. In Bezugnahme auf den Kontext stellt die Erklärung fest, dass die Ziele ‚erstrebenswert und global definiert‘ sind, während die Regierungen ihre eigenen Ziele im Lichte ihrer nationalen Bedingungen aufstellen sollen. Im Gegensatz dazu wurde die Idee der Anpassung an die nationalen Bedingungen bei den MDGs von der Führung der Vereinten Nationen strikt abgelehnt. Die MDGs setzten für 2015 Standardziele für alle Länder, ungeachtet des Kontextes. Das Monitoring beurteilte alle Länder danach, ob sie dasselbe Ziel erreichten, ungeachtet des Ausgangspunkts. Natürlich tendierten Länder, die von einem niedrigeren Ausgangspunkt starteten, vor allem die am wenigsten entwickelten, in Afrika konzentrierten Länder, zur Verfehlung der Ziele und wurde somit als Fehlschläge bewertet. Doch gemessen am Tempo ihres Fortschritts, so haben Studien gezeigt, schnitten einige afrikanische Länder am besten ab.

* Drittens: Fehlendes Ungleichheitsziel. Obwohl inzwischen eine der drängendsten Herausforderung in fast allen Ländern, war Ungleichheit kein Element der MDGs. Das verstärkte den Eindruck, dass jene Ziele eine Agenda zur Bereitstellung sozialer Sicherheitsnetze darstellten, gleichsam als Antwort auf ein wirtschaftliches Modell, das Ungleichheiten verschärfte und immer noch verschärft. Die Debatte um die Aufnahme von SDG 10 – das auf die Reduzierung der Ungleichheit innerhalb und zwischen Ländern zielt – war eine der härtesten politischen Schlachten. Seine zehn Unterziele betreffen zwangsläufig auch die Notwendigkeit institutioneller Veränderungen der ökonomischen Governance.

● Risiken im Prozess der Umsetzung

Doch damit diese Texte in der Wirklichkeit zu einer ‚Kurskorrektur‘ führen, muss dafür gesorgt werden, dass die hart erkämpften Erfolge im Prozess der Umsetzung nicht wieder verloren gehen. Es gibt offensichtlich Risiken, dass die komplexe und ehrgeizige Agenda der 17 Ziele verwässert und vereinfacht wird. Eine private Initiative zur Werbung für die SDGs – „Global Goals“ – hat sie bereits simplifiziert, indem sie ihre Titel abgekürzt und im Prozess neu interpretiert hat. Wie Barbara Adams hervorhebt, geht das ‚Konzept der Nachhaltigen Entwicklung‘ vollständig verloren, wenn Begriffe wie ‚gerecht‘, ‚inklusiv‘ und ‚nachhaltig‘ entfernt und durch ‚verantwortlich‘ und ‚stark‘ ersetzt werden.

Ein anderes Risiko ist Selektivität. Es führt zur Vernachlässigung von Zielen und Unterzielen, die strukturelle Fragen betreffen. Es wird weithin angenommen, dass die MDGs eine mobilisierende Rolle gespielt haben, doch nicht alle Ziele und Unterziele waren gleich. Einige wie Beschäftigung und Hunger fanden kaum Aufmerksamkeit, bis 2008 die Finanzkrise und die Rezession zuschlugen. Welche der 17 Ziele und 169 Unterziele der neuen SDGs werden Aufmerksamkeit erregen, Anstrengungen mobilisieren und Ressourcen generieren? Werden Ziel 10 zur Reduzierung der Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern oder Ziel 5a zur Sicherung der Rechtsansprüche von Frauen auf Land die nötige politische Aufmerksamkeit erhalten?

Ein weiteres Risiko besteht darin, wie weit die Erlaubnis zur nationalen Anpassung gehen wird, zumal dies unter bestimmten Umständen eine klare Einladung zur Verwässerung der SDGs sein kann. In dieser Hinsicht ist die Umsetzung des Ungleichheitsziels eine besondere Herausforderung, da dies eines der wenigen Ziele ist, die einen deutlichen Kurswechsel gegenüber den Trends der letzten Dekade verlangen, einschließlich einer Abkehr vom ökonomischen Modell, das in der letzten Dekade verfolgt wurde.

Um es zusammenzufassen: Die SDGs sind ein politisch verhandelter Konsens, dem kein Durchsetzungsmechanismus eigen ist. Diese Last fällt jetzt der Zivilgesellschaft zu. Sie muss dafür sorgen, dass die SDGs zur Kurskorrektur werden.

Sakiko Fukuda-Parr ist Professor of International Affairs an der New School in New York. Ihr Beitrag erschien zuerst im Political Economy Blog der Universität von Sheffield.

Posted: 22.12.2015

Empfohlene Zitierweise:
Sakiko Fukuda-Parr, Die 2030-Agenda und das Entwicklungsjahr 2013. Eine kleine Bilanz, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 22. Dezember 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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