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Die Tabus der internationalen Klimaverhandlungen

Artikel-Nr.: DE20151123-Art.31-2015

Die Tabus der internationalen Klimaverhandlungen

Konferenz in Paris wird 2-Grad-Ziel verfehlen

Nicht „Climate Governance“, sondern „Climate Conflicts“ prägen seit langem die UN-Klimaverhandlungen. Das wäre gar nicht so tragisch, wenn darauf aufbauend kluge Verhandlungsergebnisse erstritten werden könnten. Aber die Musik zur Klimapolitik spielt auf ganz anderen Bühnen: Programmhinweise zu den mehr als ungünstigen Rahmenbedingungen der COP21 werden tunlichst vermieden. Sie könnten die schönen Bilder der „Wende, die machbar ist“, des „Durchbruchs“ oder des „neuen Kapitels“, das in den Verhandlungen aufgeschlagen werden soll, zu sehr trüben. Sie können aber erklären, so argumentiert Achim Brunnengräber, warum auch die 21. Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen (UN) in Paris nicht die notwendigen Weichen wird stellen können.

Der VW-Abgas-Skandal hat sich zum VW-Klima-Skandal ausgeweitet. Nach dem ersten großen Paukenschlag sickern weitere Nachrichten durch, dass bei mehr und mehr Pkw die vermeintlich klimafreundlichen Verbrauchsangaben falsch und folglich auch die CO2-Emissionen, die in die Atmosphäre geblasen werden, höher als vom VW-Konzern angegeben sind. Die Deutsche Bank ist in den millionenschweren Steuerbetrug mit Emissionszertifikaten verstrickt, was den Emissionshandel, den größten Misserfolg der Klimadiplomatie, zusätzlich diskreditiert. Nach Prüfung der Statistiken kommen Wissenschaftler zu dem Schluss, dass auch in China getrickst worden ist. Dort könnten die Emissionen 20% höher sein als bisher angenommen. Unlautere Machenschaften wurden auch beim Mechanismus für saubere Entwicklung (CDM) aufgedeckt. Über 20% der Projekte tragen entweder nicht zum Klimaschutz bei, erfüllen nicht das Kriterium der Zusätzlichkeit oder setzten perverse Anreize, die im Ergebnis sogar zu höheren Emissionen führen.

Harte Interessen

Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Von Regierungen, internationalen Gremien und Transnationalen Unternehmen werden Entscheidungen getroffen, die so gar nicht in das Bild eines anspruchsvollen Klimaschutzes passen wollen. Auch einige kriminelle Energie wird aufgebracht, um gegen allzu hohe Standards, anspruchsvolle Klimaschutzziele oder das Austrocknen der fossilen Energiewirtschaft vorzugehen. Mit gutgemeinten Verhandlungen einer internationalen Klimagemeinschaft ist diesem von Interessen geleiteten und durchaus geplanten Vorgehen nicht beizukommen. Die anfangs stärker durch Dialog und Kooperation von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren geprägten UN-Verhandlungen stehen auch deshalb vor einem Scherbenhaufen, der größer ist, als es alleine die diplomatischen Mühen der Verhandlungen vermuten lassen.

Die Verhandlungen müssen sich in einem von Interessen geleiteten und geostrategisch immer schwierigeren Umfeld beweisen. Die globale Problemsicht einer globalen Gemeinschaft auf die Atmosphäre als öffentlichem Gut, die immer schon eine diskursive Konstruktion war und mehr dem Wunschdenken als der Wahrheit entsprach, bricht sich an den klimarelevanten Schreckensmeldungen über politisches und privatwirtschaftliches Fehlverhalten von Akteuren, denen die eigene Nase näher ist als der Schutz eines fernen Gemeinschaftsgutes. Dadurch zeigt sich immer mehr, dass sich die Klimaverhandlungen zu sehr mit den schädlichen Emissionen und im Laufe der Zeit zu sehr mit sich selbst beschäftigt haben. Das politische Umfeld aber wurde ignoriert. In der Analyse des Scheiterns des Kyoto-Protokolls wird dagegen deutlich, dass die eigentlichen harten ökonomischen Interessen, die in den gesamten Kohlenstoffzyklus von der Extraktion der fossilen Ressourcen bis zu den Emissionen eingeschrieben sind, dazu führten, dass die Instrumente weitgehend wirkungslos bleiben mussten.

● Neue Kräfteverhältnisse

Zugleich finden deutliche Verschiebungen der Kräfteverhältnisse statt. Starke global player, darunter vor allem die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China, die vordere Plätze unter den top ten der weltweiten Treibhausgasemittenten einnehmen, verteidigen ihren Entwicklungs- und Wachstumspfad. Dafür bauen sie auf die Kohleverstromung oder die Atomenergie. Die Überwindung der Energiearmut im ländlichen Raum oder von Engpässen in der urbanen Energieversorgung ist wichtiger als kurzfristige und verbindliche Zielmargen beim Klimaschutz.

Im Übrigen haben auch die EU und Deutschland ihre Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz längst aufgegeben. Mit der Kohlepolitik von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wird die nationale Energiewende ausgebremst, in Zuge dessen verliert auch die internationale Klimapolitik der deutschen Bundesregierung an Glaubwürdigkeit. Innereuropäische Streitigkeiten haben darüber hinaus dazu geführt, dass die EU keine ambitionierten Vorschläge mehr unterbreitet, sondern sich immer mehr den gedämpften Erwartungen und Realitäten im Verhandlungspoker unter 195 Ländern anpasst.

● Scheinbarer Paradigmenwechsel

Der Scherbenhaufen der Klimadiplomatie ist nicht nur durch ungünstige Rahmenbedingungen entstanden, er beruht zudem auf den top down-Verfahren, mittels derer von Regierungen die Klimarahmenkonvention (FCCC) und das Kyoto-Protokoll im Rahmen der UN geschaffen wurden. Auf Grund der marktwirtschaftlichen Flexibilität der Klimainstrumente wurden erst die vielen Schlupflöscher für Klimasünder eröffnet, die schließlich dazu führten, dass die Instrumente – allen voran der Emissionshandel – ihre Wirkung in hohem Bogen verfehlten und ein schleichender Zerfallsprozess einsetzte.

Die USA haben das Kyoto-Protokoll nie ratifiziert. Im Dezember 2011 gab Kanada seinen Ausstieg aus dem völkerrechtlich verbindlichen Kyoto-Protokoll bekannt. Auch Russland, Neuseeland und Japan haben sich daraus verabschiedet. Damit ist die absurde Situation eingetreten, dass die Länder, die dem Kyoto-Protokoll die Treue hielten, lediglich 15% der globalen Emissionen auf sich vereinigen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Rede vom Scheitern der Klimadiplomatie durchaus seine Berechtigung hat und die Suche nach einem Ausweg angegangen wurde.

Bei den UN-Verhandlungen der letzten Jahre wurden Forderungen nach einem Weniger an Komplexität und einem Mehr an dezentralen Lösungsansätzen immer lauter. Diese Forderungen wurde schließlich aufgegriffen und mit dem neuen Ansatz, den freiwilligen Beiträgen auf der Basis von nationalen Klimaschutzmaßnahmen (INDCs: intended nationally determined contributions), auch umgesetzt. Ohne diesen Paradigmenwechsel zum bottom up-Ansatz wäre eine breite Beteiligung an den Verhandlungen nicht mehr möglich gewesen. Das könnte für den Klimaschutz gut sein. Die internationale Handlungsebene lenkte bisher die Aufmerksamkeit von konkreten nationalen wie subnationalen Handlungsansätzen ab und ermöglicht die Verschiebung der Verantwortung auf die marktwirtschaftlichen Kyoto-Instrumente, den europäischen Emissionshandel oder generell auf die internationale Ebene, was sich als two level game beschreiben lässt. Nationale Regierungen warten auf die Ergebnisse der internationalen Verhandlungen, die aber stets sehr mühsam und langsam geführt werden.

Allerdings zeigt sich schon jetzt, dass die im Rahmen der INDCs verkündeten Klimaschutzziele nicht ausreichen werden, das international anerkannte Ziel zu erreichen, den Temperaturanstieg auf 2 Grad zu begrenzen. Das ist nur logisch: Während sich top down-Prozesse dem kleinsten gemeinsamen Nenner treffen, orientiert sich die nationale Klimapolitik an einem möglichst realistischen Entwicklungspfad, der sich nur im Einzelfall als ambitioniert erweisen dürfte, grundsätzlich werden die Klimaziele mit den nationalen, energiepolitischen Prioritäten abgeglichen – und bleiben schon deshalb schwach. Mit dem Paradigmenwechsel gerät die Klimadiplomatie folglich vom Regen in die Traufe.

● Fortschreitende Karbonisierung

Entgegengesetzt zu allen Hoffnungen auf Dekarbonisierung, werden sich Wachstum und Emissionszunahme auf lange Frist hin nicht entkoppeln lassen. Die USA werden gerne als Erfolgsfall behandelt, weil dort die Kohleverstromung auf Grund des Fracking-Booms im Gassektor und damit die CO2-Emissionen zurückgehen. Die US-amerikanische Kohle bleibt aber nicht in der Erde, sie wird gefördert und exportiert; und verschmutz durch ihre Verbrennung in anderen Ländern die Atmosphäre. China will 2030 seinen Höchststand der CO2-Emissionen erreichen; daran werden aber erhebliche Zweifel geäußert. Indien baut seine Kohleverstromung schon allein wegen der vorherrschenden Energiearmut deutlich aus und lehnt jede Einmischung in die nationale Energiepolitik ab. Auch Russland ist weit davon entfernt, Klimaschutz zu einem wichtigen nationalen Interesse zu erklären. Diese wenigen Länder haben jedoch einen hohen Anteile an den globalen Emissionen und müssten deshalb mit ambitionierten Zielen auf die diplomatische Bühne treten, wenn der Klimaschutz erfolgreich sein soll.

Bisher war das aber nicht der Fall: Nach Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) nahm die Versorgung mit Primärenergie zwischen 1973 und 2011 von 6.115 auf 13.113 Millionen Tonnen Öläquivalent zu. Das entspricht einer Steigerung von insgesamt 114,4% bzw. 2,0% pro Jahr. Der Anteil der neuen erneuerbaren Energien (Geothermie, Solar-, Wind- und Meeresenergie) hat sich in diesem Zeitraum lediglich von 0,1 auf 1,0% erhöht. Da weltweit die Nachfrage nach Energie noch bis mindestens bis 2040 deutlich ansteigen wird, so die Prognosen des World Energy Outlook 2014, wird – sofern kein drastischer Pfadwechsel erfolgt – der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch relativ gering bleiben.

Die politischen Präferenzen, die diesen Trend begünstigen, sind klar abgesteckt. Die Unterstützung der Produktion fossiler Brennstoffe durch die G20-Länder wird in einer Studie des Overseas Development Institute (ODI) und Oilchange Internationale mit jährlich 452 Mrd. US-Dollar beziffert. Das ist fast viermal so viel wie die gesamte globale Subventionierung erneuerbarer Energien, die sich auf 121 Mrd. US-Dollar beläuft.

● Klimakämpfe von unten

Die kriminellen Machenschaften, das fatale Scheitern der marktwirtschaftlichen Instrumente, die wenig klimafreundlichen Trends im Energiebereich über die nächsten Jahrzehnte oder die Subventionierung der fossilen Energien sind nicht dazu angetan, die sich jährlich wiederholenden Parolen, die diesmal auf der Bühne von Paris ausgerufen werden, in ein gutes Licht zu rücken. Diese Themen werden tabuisiert. Stattdessen wird – wie so oft vor und während der Klimaverhandlungen – die letzte Chance, der Durchbruch, die Wende oder die Weichenstellung zur Bekämpfung der Klimakatastrophe verkündet. Dagegen steht die billige Versorgung mit fossilen Energien und damit dem Schmierstoff, mit dem die nationale Wettbewerbsfähigkeit, die Konkurrenzfähigkeit auf einem global umkämpften Markt und auch die nationale Kriegsmaschinerie immer wieder neu abgesichert werden muss. Diese strukturelle Blindstelle der Klimadiplomatie wird von zivilgesellschaftlichen Kräften auf alternativen Bühnen überwunden und immer deutlicher kritisiert.

Neue und transnational vernetzte Organisationen und Bewegungen betreten die Bühne der Klimapolitik; alte Akteure ändern ihre Strategie. Auch aus der Kritik an deren strategischer Ausrichtung an der offiziellen Konferenzagenda heraus haben sich die neuen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bewegungen gebildet. Durch sie wurden neue Perspektiven auf den Klimawandel entwickelt, die Aspekte von Demokratie, das Ende des fossilen Energiesystems, dezentrale Strukturen, Gerechtigkeit und neue Lebensstilformen umfassen – Dimensionen, die in der marktwirtschaftlich ausgerichteten Klimapolitik in Vergessenheit geraten sind. Doch die magnetische Anziehungskraft der internationalen Klimakonferenzen ist groß, so dass Konferenz-NGOs und Protest-Bewegungen zur Klimakonferenz in Paris zumindest teilweise aufeinander zugegangen sind. Schließlich ist ein umfangreiches Aktions-Konzert entstanden, an dem sich die unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Akteure beteiligen.

Zugleich finden lokale Energiekämpfe von Umweltorganisationen, sozialen Bewegungen und engagierten BürgerInnen statt (z.B. in den vom Braunkohletagebau bedrohten Dörfern in der Lausitz, in den für Windkraftparks vorgesehenen Regionen, in Klimacamps oder den Kommunen, die ihre nachhaltige Energieversorgung in die eigene Hand nehmen). Auch die umweltpolitischen Kampagnen gegen die Gas- und Ölförderung in der Arktis und viele andere energiepolitische Formen der Skandalisierung sind Teil dieser Auseinandersetzungen. Die Klimapolitik franst also an allen Ecken und Enden aus, wird konflikthafter – und wird gerade dadurch breiter und Erfolg versprechender. Projekte zur dezentralen Energieversorgung inehmen erfolgreich und zügig Fahrt auf.

● Paris - ein neuer Anfang?

Doch gerade deshalb formieren sich erhebliche Widerstände der fossilen Industrie, die nicht selten von nationalen Regierungen unterstützt wird. Denn die Schwäche der internationalen Klimapolitik spiegelt sich nicht zuletzt in den machtvollen Interessengruppen aus der Kohle-, Gas- und Erdölindustrie. Diese wollen den Status quo solange aufrechterhalten, wie mit diesen Ressourcen weiterhin beträchtliche Profite erzielt werden können. Besondere Zeiten also für die UN-Klimaverhandlungen. Sie geraten von vielen Seiten erheblich unter Druck – und sie haben diesem Druck bereits nachgegeben: Das Pariser Abkommen (oder wie es auch genannt werden wird) wird flexible ausgestaltet (so dass sich vor allem die Industrie- und Schwellenländer damit arrangieren können), die Zielmarken für die Emissionen werden weit in der Zukunft liegen (im Gespräch sind die Jahre 2020, 2070 und 2100), es wird keine harten Sanktionen für die Nichterfüllung geben, und das Abkommen wird vor allem nicht dazu führen, das 2-Grad-Ziel zu erreichen.

Deshalb wird darauf hingewiesen, dass Paris nur ein Anfang, bestenfalls ein Etappenziel sein kann. Der klimapolitische Durchbruch wird dann im November 2016 bei der 22. Konferenz in Marrakesch, Marokko, erwartet. Ob es allerdings ein gutes Zeichen ist, dass die Klimadiplomatie der UN dorthin zurückkehrt, wo sie vor eineinhalb Jahrzehnten schon einmal war und das wenig ambitionierte „Übereinkommen von Marrakesch“ (2001) verabschiedet hat, muss sich erst noch zeigen.

Dr. Achim Brunnengräber ist Privatdozent am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin, Otto-Suhr-Institut. Jüngst erschien von ihm auch: Klima-Governance, in: Bauriedl, Sybille (Hg.): Wörterbuch Klimadebatte. Bielefeld: Transcript-Verlag, S. 117-126 (s. auch: https://klimadebatte.wordpress.com

Posted: 23.11.2015

Empfohlene Zitierweise:
Achim Brunnengräber, Die Tabus der internationalen Klimaverhandlungen. Konferenz in Paris wird 2-Grad-Ziel verfehlen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 23. November 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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