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Grüner Ausweg aus der globalen Krise?

Artikel-Nr.: DE20151029-Art.29-2015

Grüner Ausweg aus der globalen Krise?

Zur Kritik der Grünen Ökonomie

Was unter einer Grünen Ökonomie zu verstehen ist, ist nicht definiert und damit offen für unterschiedliche bis widersprüchliche Interpretationen. Die ursprüngliche Idee einer „Grünen Ökonomie“ ist eher schwammig. Gleichwohl hat sich um den Begriff inzwischen eine Diskursstruktur aufgebaut und verfestigt, die Wirkung zeigt. Mit einem neuen Buch „Kritik der Grünen Ökonomie“ (s. Hinweis) mischen sich Thomas Fatheuer, Lili Fuhr und Barbara Unmüßig in die Debatte ein. W&E präsentiert vorab Auszüge.

Bis zum Jahr 2008 wurde der Begriff wenig gebraucht, und wenn doch, dann eher im Umkreis grüner Bewegungen und Parteien. So hatte bereits 1999 die Ökonomieprofessorin und heutige Europaabgeordnete der britischen Green Party, Molly Scott Cato, ein Buch unter dem Titel Green Economics veröffentlicht. Für Cato sind Grüne Ökonomien „untrennbar mit sozialer Gerechtigkeit verbunden… Green Economics stammt von Umweltaktivisten und grünen Politikern, weil sie eine Notwendigkeit dafür sahen. Es ist von unten gewachsen und kommt von denen, die in der Praxis und weniger in der Theorie eine nachhaltige Ökonomie aufbauen.“

● Ehe zwischen Umwelt und Wachstum

Aber bald entfernte sich das Konzept von solch basisbewegten Ursprüngen. Populär wird zunächst der Begriff „Green New Deal“ im Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008. Grünes Wachstum sollte eine Antwort sowohl auf die ökonomische Krise wie auf die globalen Umweltherausforderungen liefern. Im Jahr 2009 lancierte das Umweltprogramm der UN, UNEP, die Initiative für einen „Global Green New Deal“. Achim Steiner, der Exekutivdirektor von UNEP, wird zu einem eloquenten und engagierten Fürsprecher des Konzepts. Im selben Jahr bekannte sich US-Präsident Barack Obama zu einem „Green New Deal“, und in Deutschland schaffte es dieser Begriff in das Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen. Die Idee vom „Green New Deal“ beruft sich auf historische Erfahrungen in den USA aus den 30er- und 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts und damit auf eine neo-keynesianische Tradition, die in der Steigerung der – zur Not auch mit Schulden finanzierten – Regierungsausgaben eine adäquate Antwort auf Wirtschaftskrisen sieht. Damit gingen Vorschläge für ein „Ergrünen“ der Ökonomie und das Festhalten an der zentralen Bedeutung des Wirtschaftswachstums eine Ehe ein, die sich als dauerhaft erweisen sollte.

Im Vor- und Umfeld der Rio+20-Konferenz im Jahr 2012 entwickelten dann drei wichtige Akteure „Green Economy“-Konzepte: UNEP, Weltbank und OECD. Grüne Ökonomie ist also weniger als neuer wirtschaftstheoretischer Ansatz entwickelt worden, sondern eher als Versuch, globale Umweltpolitik zwanzig Jahre nach der Rio-Konferenz 1992 neu zu fundieren.

Stern-Report als Wende

Die Suche nach einem neuen Leitbild war sicherlich durch die allgemeine Wahrnehmung begünstigt worden, dass der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ weitgehend inhaltsleer und verbraucht wirkte. Der Begriff „Entwicklung“ lenkte zudem die Aufmerksamkeit stark auf die sog. „Entwicklungsländer“. Der neue Begriff Grüne Ökonomie sollte endlich alle Länder in ihrer Verantwortung ansprechen. Auch hatte sich die Rolle der Ökonomie in der Wahrnehmung vieler Akteure verändert. Der Stern-Review galt und gilt vielen als fast kopernikanische Wende in der Klimafrage. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Sir Nicolas Stern, hatte 2006 im Auftrag der britischen Regierung eine Studie veröffentlicht, die zeigen sollte, dass eine entschlossene und rasche Klimapolitik auch ökonomisch Sinn ergäbe, denn gerade das Nichthandeln würde teurer werden. Diese ökonomische Betrachtung des Klimawandels sollte einen immensen Beitrag zum Mainstreaming der Klimapolitik leisten. Tatsächlich schaffte diese den Sprung aus der Umweltecke in das Herz der Ökonomie. Gleichzeitig ermöglichte Sterns Analyse auch die Betrachtung, dass Umweltpolitik eine Chance für neue Investitionen sein könnte – Investitionen, die mehr Kosten einsparen als sie verursachen wurden.

Dies ist im Grunde die entscheidende konzeptionelle Neuerung, die in der Grünen Ökonomie zu einem umfassenderen Ansatz ausgebaut wurde und wird: Die ökonomische Rationalität spricht nicht mehr gegen Umwelt- und Klimapolitik, nein, sie begünstigt sie. Das ist kein kleines Versprechen. (…)

Für das Verständnis der Grünen Ökonomie ist aber noch eine andere Entwicklung der letzten Jahrzehnte wichtig. Der zähe Verhandlungsprozess
insbesondere im Rahmen der Klimakonvention hat dazu beigetragen, dass die Hoffnung auf ein internationales Klimaregime, das global akzeptierte und ambitionierte Grenzwerte für Klimagase festlegt, schwindet. Auch die zweite Konvention, die auf dem Erdgipfel 1992 verabschiedet wurde, die Konvention zum Schutz und Erhalt biologischer Vielfalt, enttäuscht. (…)

● Konzepte von UNEP, Weltbank und OECD

Vor diesem Hintergrund lancierten UNEP, Weltbank und OECD ihre Green-Economy-Konzepte. Insbesondere UNEP machte sich dafür stark, die Rio+20-Konferenz zu nutzen, eine Grüne Ökonomie als neues globales Leitbild zu etablieren, um das inzwischen zu stark zerfaserte Leitbild einer „nachhaltigen Entwicklung“ zu ersetzen oder wenigstens zu ergänzen. Das ist nicht ganz gelungen, die Grüne Ökonomie hat sich 2012 auf der Konferenz in Brasilien nicht zu einer globalen Love-Affair entwickelt; vielmehr stehen gerade Akteure aus dem Süden, von Regierungs- wie Nichtregierungsseite, der Grünen Ökonomie skeptisch bis ablehnend gegenüber. (…)

Die von UNEP, OECD und Weltbank vorgelegten Entwürfe sind komplex und unterscheiden sich in einigen Punkten. So betont UNEP besonders stark die Dimension der sozialen Gerechtigkeit. Aber dennoch sind allen Ansätzen einige Grundtendenzen gemeinsam. Die Botschaft ist: Grüne Ökonomie und Wachstum gehören zusammen; sie ist in Herz und DNA der Grünen Ökonomie eingeschrieben. Auch das Konzept von UNEP, das vielleicht den differenziertesten Ansatz der Grünen Ökonomie entwickelt hat, verspricht, dass dieses nicht nur Wachstum erzeuge, sondern sogar ein stärkeres Wachstum des BIP. Die Grüne Ökonomie könne zu einem „new engine of growth“ werden. Rachel Kyte, die Vizepräsidentin der Weltbank, ist kategorisch: “To talk about anything other than how to grow is a non-starter.”

Solche Formulierungen machen auch klar, dass die Grüne Ökonomie weniger als theoretisches Konzept zu diskutieren ist, sondern eher als pragmatisch konzipierter Politikansatz. Die zentrale Stellung des Wachstumsversprechens unterscheidet das Konzept der Grünen Ökonomie von anderen Ansätzen, macht es abgrenzbar, insbesondere gegenüber allen Ansätzen, die Wachstum problematisieren. (…)

● Vorrang für Ökonomie und Innovation?

Das zweite konstituierende Element für das Konzept der Grünen Ökonomie ist die schon in der Begriffsfindung implizierte These, dass die entscheidende Herausforderung keine politische, sondern eine ökonomische sei. „Economics first“ lautet die Botschaft, es komme darauf an, die Ökonomie „hinzubekommen“. Die durch den Stern-Report äußerst populär gewordene These, der Klimawandel sei das größte Marktversagen in der Geschichte, hat folgende Pointe: Wenn dem so ist, dann ist die entscheidende Herausforderung, dieses Marktversagen zu korrigieren und zwar mit mehr Markt. Damit geht der Horizont weit über eine effizientere, ressourcenschonende Wirtschaft hinaus. Die Herausforderung, Wirtschaft und Ökologie mit Wachstum zu versöhnen, erfordert eine weitgehende, systemische Transformation. „To get the economies right“ ist keine banale Aufgabe. Dabei hat die ökonomische Erfassung von Natur als Naturkapital einen fundamentalen Stellenwert. Gerade dies ist aber auch der grundsätzliche Punkt der zum Teil sehr heftigen Kritik am Konzept der Grünen Ökonomie.

Eine weitere Säule der Grünen Ökonomie ist die Entwicklung von Strategien und Technologien zur besseren Nutzung natürlicher Ressourcen. Innovation ist damit eine zentrale Hoffnung und verbindet das Konzept eng mit Ansätzen der Bioökonomie. Die Forschungsagenda der Bundesregierung zur Grünen Ökonomie betont diese Verbindung ausdrücklich: „Indem die Bioökonomie biologische Vorgänge und Ressourcen einsetzt, weiterentwickelt und damit leistungsfähiger macht, werden Technologie, Ökonomie und Ökologie systemisch und nachhaltig verbunden – in Übereinstimmung mit den Zielen und Leitlinien einer Green Economy.“

Der Umstieg von fossilen Energieträgern auf Biomasse, die Anwendung neuer Biotechnologien und die Einbeziehung von „Ökosystemdienstleistungen“ in die Ökonomie sind zentrale Anliegen der Bioökonomie. Das Vertrauen auf technologische Lösungen (Stichwort „Techno-Fix“) ist zentrales Element der Bioökonomie.

Entscheidend ist die Strategie der Transformation

Auch die Transformationsagenda der Grünen Ökonomie fußt zum einen auf einer Neuorientierung der Wirtschaft unter Einbezug von Natur und zum anderen im Vertrauen auf technologische Losungen. Ohne die Wunderkraft der Innovation sind die Versprechen auf Grünes Wachstum nicht einlösbar.

Die hier genannten Aspekte sind die entscheidenden Stellschrauben der verschiedenen Ansätze der Grünen Ökonomie. In der Grünen Ökonomie gibt es eine Reihe positiver Elemente, und einige zentrale Herausforderungen werden richtig benannt: die Überwindung des fossilen Zeitalters und die Dringlichkeit einer emissionsarmen und ressourcenschonenden Zukunft. Aber entscheidend ist die Frage, ob Grüne Ökonomie die richtigen Strategien entwickelt. Nach der Erkenntnis, „Business as usual“ ist keine Option, beginnt erst die Auseinandersetzung um das „Wie“ der notwendigen sozialen und ökologischen Transformation – und die Frage, für wen sie besonders dringlich ist. (…)

Hinweis:
* Thomas Fatheuer/Lili Fuhr/Barbara Unmüßig, Kritik der Grünen Ökonomie, hg. von der Heinrich-Böll-Stiftung, 192 S., oekom verlag, München 2015. Bezug: Buchhandel. Der hier wiedergegebene Text folgt – gekürzt – dem 5. Kapitel des Buches; dort auch alle Einzelquellennachweise.
Posted: 21.10.2015

Empfohlene Zitierweise:
Thomas Fatheuer/Lili Fuhr/Barbara Unmüßig, Ausweg aus der globalen Krise? Zur Kritik der Grünen Ökonomie, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 29. Oktober 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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