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Lahmende, brüchige und ungleiche Weltwirtschaft

Artikel-Nr.: DE20150122-Art.02-2015

Lahmende, brüchige und ungleiche Weltwirtschaft

Ökonomische Perspektiven für 2015

Die wohlmeinende entwicklungspolitische Community mag in diesem „Entscheidungsjahr 2015“ zu einem neuen Höhenflug ansetzen. Für die reale Entwicklung der Weltwirtschaft gilt das nicht. In seltener Eintracht zeichnen die internationalen ökonomischen Institute – vom IWF bis zur UNO, von der Weltbank bis zur ILO – ein düsteres Bild für das Neue Jahr, in dem die Risiken und Gefahren nach wie vor stärker sind als die Lichtblicke. Ein Überblick von Rainer Falk.

In der Halbierung der Ölpreise während der letzten Monate sieht so mancher Ökonom ein unerwartetes kleines Konjunkturprogramm für die Weltwirtschaft. Doch in der jüngsten Aktualisierung seines World Economic Outlook (s. Hinweis) prognostiziert der Internationale Währungsfonds, dass selbst die wachstumsfördernden Effekte der Verbilligung des Öls nicht ausreichen werden, um die anhaltenden Negativfaktoren der internationalen Konjunktur aufzuwiegen.

Zu diesen Negativ- oder Risikofaktoren zählen die Nachwirkungen der globalen Finanzkrise und die steigende Volatilität auf den Finanzmärkten, die schwächelnden Investitionen, die deutliche Drosselung des Wachstums in den Schwellenländern, die neuen geopolitischen Risiken, und natürlich stehen den positiven Effekten des Ölpreisabsturzes für die Ölverbraucher auch direkt negative Effekte für die ölexportierenden Länder gegenüber. Was den ökonomischen Prognosen in ihrer ökologischen Blindheit allerdings überhaupt keine Erwähnung wert ist: Die dramatische Verbilligung des Erdöls schwächt die Anreize zur zügigen Reduzierung der Treibhausgase enorm – ebenso wie die Anreize zur Abkehr von fossilen Brennstoffen und zur Entwicklung und Förderung sauberer Energiealternativen. Für die Klimapolitik, für die Ende 2015 in Paris ein neuer Höhepunkt geplant ist, also keine berauschende Perspektive.

Dauerhafte Verlangsamung des Wachstums

Doch bleiben wir zunächst bei den Konjunkturdaten im engeren Sinne. Hier liegen die Prognosen recht eng beieinander: Während der IWF für die Weltwirtschaft als Ganzes 2015 3,5% Wachstum voraussagt, rechnet die UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (UN-DESA) nur mit 3,1%. Die Weltbank vermutet sogar nur 3%. Die Internationale Arbeitsorganisation wartet mit der düsteren Vorhersage auf, dass die globale Arbeitslosigkeit auch in den nächsten Jahren weiter steigen wird, da die Weltwirtschaft in eine neue Phase eingetreten ist, in der sich niedrigeres Wachstum, zunehmende soziale Ungleichheit und politische Turbulenzen miteinander verbinden.


Natürlich verhüllen solche Globalzahlen, die gegenüber früheren Prognosen allesamt nach unten korrigiert wurden, wie regional ungleich die Konjunkturen verlaufen. Einziger Lichtblick sind derzeit die USA, wo das Wachstum zuletzt auf 3% angezogen hat, die wohl 2015 noch übertroffen werden dürften. Dem stehen in der Eurozone eine faktische Stagnation und eine drohende (oder schon reale) Deflation gegenüber, während Japan im dritten Quartal letzten Jahres in eine technische Rezession gefallen ist.

● Mäßigung der Expansion der Schwellenländer

Schwerer jedoch wiegt, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung in den Emerging Economies markant und anhaltend verschlechtert hat. Dies zeigt sich an der Verlangsamung des durchschnittlichen Wachstums auf voraussichtlich 4,3% (in 2015). Zwar bleibt vor allem Ostasien ein starker Treiber der Weltkonjunktur. Doch vorbei sind offensichtlich die Zeiten, als das Wachstum der Schwellen- und Entwicklungsländer regelmäßig doppelt so hoch wie das der alten Industrieländer war und die durchschnittliche Wachstumsrate der Weltwirtschaft meistens bei 5% und mehr lag.

Chinas Wachstum scheint sich jetzt bei 7% oder weniger einzupendeln (mit gravierenden Auswirkungen für das restliche aufstrebende Asien). Rohstoffexporteure wie die meisten Länder Lateinamerikas müssen deutliche Abstriche hinnehmen – für die Region Lateinamerika und Karibik werden jetzt nur noch 1,3% prognostiziert. Und Russland stürzt durch die Kombination niedriger Öl- und Gaspreise mit den westlichen Sanktionen in eine tiefe Rezession ab, wobei die Projektionen bei -3% (IWF) bis -5% (EBRD) liegen. Nur Subsahara-Afrika soll auch 2015 noch bei seinem überdurchschnittlichen Wachstumstempo von rund 5% bleiben – erstaunlicherweise trotz Ebola und schwächerer Entwicklung in den beiden größten Ökonomien Südafrika und Nigeria.

● Zunehmende finanzielle Verwundbarkeit

In einer neuen Studie (>>> Internationalization of Finance and Changing Vulnerabilities in Emerging and Developing Economies) zeigt der Chefökonom des Genfer South Centre, Yilmaz Akyüz, wie die Schwellen- und Entwicklungsländer im Gefolge (oder trotz?) der seit den 1980er Jahre vervielfältigten Krisen immer stärker in ein internationalen Finanzsystem integriert wurden, dessen Hauptmerkmal die Instabilität ist. Dabei spielten interne Politikentscheidungen ebenso eine Rolle wie ein hochgradig günstiges internationales finanzielles Umfeld, das den Zufluss billigen Geldes möglich machte. Die Krisenanfälligkeit für externe Schocks hat deshalb überall in der Entwicklungswelt deutlich zugenommen, und zwar unabhängig von der jeweiligen Zahlungsbilanzposition, dem Verschuldungsgrad, der Höhe ausländischer Investitionen oder der internationalen Reserveposition – auch wenn dies eine Rolle dabei spielt, auf welche Weise und Kanäle sich solche Schocks Bahn brechen.

Die große Frage ist nicht zuletzt, ob die in den letzten Jahren gängigen Abwehrpraktiken, wie der Übergang zu flexiblen Wechselkursen, die Akkumulation großer internationaler Devisenreserven oder die Kreditaufnahme in lokaler Währung, als Puffer ausreichen, um kommenden Erschütterungen zu begegnen. Nicht zuletzt deshalb schauen viele Schwellenländer heute so besorgt auf die Beendigung der lockeren Geldpolitik (QE) in den USA und die 2015 kommende Zinswende, die für alle diejenigen verheerend werden könnte, deren Schulden noch in US-Dollars denominiert sind oder die einer plötzlich Umkehr der Kapitalströme ausgesetzt sind. Die Ökonomen von UN-DESA bezeichnen dies sogar als das aktuelle Hauptrisiko für viele Schwellenländer.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass insgesamt nur schwer vorherzusehen ist, an welcher Stelle des instabilen Finanzsystems die nächsten Krisen aufbrechen werden. Wie schnell die Volatilität auf den Finanzmärkten auch im Gefolge der Zentralbankpolitiken zunehmen kann, hat nicht zuletzt die Aufhebung der Bindung des Schweizer Franken an den Euro gezeigt. Und der Kurs des Dollars hat heute schon kräftig zugelegt, seit Oktober 2014 um gut 6%. „Potentielle Auslöser“, schreibt deshalb auch der IWF, „könnten Überraschungen in den wichtigsten Ökonomien sein oder Überraschungen bei der währungspolitischen Normalisierung in den Vereinigten Staaten im Kontext einer anhaltend ungleichen globalen Expansion. Die aufstrebenden Marktwirtschaften sind besonders exponiert, da sie mit einer Umkehr der Kapitalströme konfrontiert werden könnten.“

● Geopolitische Gefahren und Ungleichheit

Im Wesentlichen ist die aktuelle Weltkonjunktur also lahm, brüchig und ungleich in ihrem Verlauf. Gemeinsam zeichnet die internationalen Agenturen auch eine neue Aufmerksamkeit für geopolitische Risiken aus, deren negativer Einfluss auf die weltwirtschaftliche Entwicklung im letzten Jahr drastisch zugenommen hat, an erster Stelle durch die Ukraine-Krise. Schon im letzten Dezember hat UN-DESA die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Eskalation der Ukraine-Krise abzuschätzen versucht. Ein solches Szenario hätte nicht nur ernsthafte wirtschaftliche Verluste in vielen GUS-Ländern im Bereich der ehemaligen Sowjetunion, sondern auch in anderen Teilen der Welt, vor allem in der Eurozone, wo 2015 mit einem Wachstumsrückgang von zusätzlichen 1,2% gerechnet werden müsste.

Weniger gleich verteilt ist die Aufmerksamkeit allerdings in Bezug auf die wachsenden soziale Ungleichheit, die im Gefolge der Finanzkrise noch einmal nach oben geschnellt ist. Zwar sehen auch IWF und Weltbank dies inzwischen als Wachstumsbelastung. In aller Deutlichkeit weist jedoch lediglich die ILO darauf hin, dass die Einkommensungleichheit auch in den nächsten Jahren weiter steigen wird, wenn keine politische Gegensteuerung stattfindet. Schon heute verdienen die reichsten 10% global 30 bis 40% des Einkommens, während für die ärmsten 10% lediglich 2 bis 7% abfällt. Die Hilfsorganisation Oxfam setzte zum Auftakt des diesjährigen Weltwirtschaftsforums in Davos noch einen drauf: Nach einer neuen Auftragsstudie (>>> Wealth. Having it all and wanting more) könnte das reichste Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 1 der Post-2015-Entwicklungsagenda, also 2016, schon die Hälfte des Weltvermögens besitzen.

Also „stehen die Sterne günstig“, wie das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik in Anlehnung an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in einer Wochenkolumne schrieb? Von wegen!

Hinweise:
* ILO: World Employment and Social Outlook – Trends 2015, Geneva, 20 Jan 2015. Bezug: über www.ilo.org
* IMF: World Economic Outlook Update, Washington DC, 19 Jan 2015. Bezug: über www.imf.org
* UN-DESA: World Economic Situation and Perspectives 2015, New York, 19 Jan 2015. Bezug: über www.un.org/en/development/desa/
* World Bank: Global Economic Prospects (GEP): Having Fiscal Space and Using It, 19 Jan 2015. Bezug: über www.worldbank.org

Rainer Falk ist Herausgeber von W&E.

Posted: 22.1.2015

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Lahmende, brüchige und ungleiche Weltwirtschaft. Ökonomische Perspektiven für 2015, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 22. Januar 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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