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UN-Gipfel der Entwicklungspartnerschaft?

Artikel-Nr.: DE20150925-Art.24-2015

UN-Gipfel der Entwicklungspartnerschaft?

Die Realität hinter den Phrasen

Nur im Web - Jetzt also ist es so weit: In New York wurden die 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) mit ihren 169 Unterzielen im Rahmen der 2030-Entwicklungsagenda für die nächsten 15 Jahre feierlich verabschiedet. Die neue Strategie wurde in einem so breiten Prozess erarbeitet, dass es kaum jemanden gibt, der sie nicht begrüßen würde. Von Umsetzungsfragen und Kontrollindikatoren abgesehen, standen die Beschlüsse seit über vier Wochen fest. Doch in die Harmonie mischt sich viel Heuchelei, schreibt Rainer Falk.

Beginnen wir mit einigen intelligenteren Interventionen aus dem arrivierten Beratungsestablishment der Entwicklungspolitik. Beispiel 1: Auf der Website der Stiftung Wissenschaft & Politik (SWP) schreibt Marianne Beisheim, die 2030-Agenda sei „mehr als eine Liste frommer Wünsche“. Als erstes Argument führt sie an, die Ziele gelten diesmal „für alle Länder, nicht wie bisher nur für die Entwicklungsländer. Dahinter steht der Anspruch, Armutsbekämpfung nicht mehr isoliert anzugehen. Stattdessen sollen Lebensstile weltweit in Richtung Nachhaltigkeit transformiert und menschenwürdige Lebensstandards für alle realisiert werden“.

● Humanitäre Tragödien

Wirklich? Der "Lebensstil" der sog. Dritten Welt wird derzeit eher umgekehrt in den Norden transportiert. Soeben hat die Europäische Union im Verein mit der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in Griechenland die größte humanitäre Tragödie in Europa angerichtet, und im Zeichen einer noch drakonischeren Strukturanpassung geht dieser Weg weiter (Wiederauferstehung der Strukturanpassung in Europa).

Beispiel 2: In einem kürzlichen Kommentar schrieben Silke Weinlich und Max-Otto Baumann vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), der 2030-Prozess habe der Welt neuen multilateralen Schwung gebracht, den es jetzt zu nutzen gelte. Wirklich? In einer brandneuen Studie schreiben Barbara Adams und Jens Martens genau das Gegenteil: Hinter der 2030-Kulisse geraten die Vereinten Nationen in Gefahr, in eine neue Ära des selektiven Multilateralismus zu rutschen, die gekennzeichnet ist von einer dramatischen Unterfinanzierung globaler öffentlicher Güter und einem wachsenden Einfluss privater Wirtschaftsinteressen.

Beispiel 3: Allenthalben wird betont, dass im Zuge der 2030-Agenda eine globale Wiese neuer „Partnerschaften“ erblühen wird, die den Zielen letztlich zum Durchbruch verhelfen wird. In ihrem neuen Development Cooperation Report schwadroniert die OECD in höchsten Tönen von diesen Partnerschaften, die meistens die Privatindustrie mit an Bord holen, ohne auch nur einen Ton über die Partnerschaft zwischen Nord und Süd zu verlieren, die als „globale Partnerschaft für machhaltige Entwicklung“ eigentlich auch durch die 2030-Agenda – allenfalls ergänzt um die sog. Stakeholder-Partnerschaften – revitalisiert werden sollte. In Wirklichkeit droht die UN-Strategie unter 2030 immer mehr in marktfixierte Einzelpartnerschaften zu zerfleddern.

● Schindluder-Partnerschaften

Mit keinem Konzept ist in der Geschichte der internationalen Entwicklungspolitik so viel Schindluder getrieben worden wie mit dem „Konzept“ der Partnerschaft. Die jüngste Addis Abeba Action Agenda (W&E 07-08/2015), die eigentlich die Umsetzungsmittel für die SDGs bereitstellen sollte, hat gerade mal – wohlwollend interpretiert – die bereits in Bezug auf die auslaufenden Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) gegebenen Verpflichtungen bekräftigt. Und die Realisierung dieser Verpflichtungen ist, wie Jomo Kwame Sundaram und Rob Vos in einer Bilanz schreiben, vorsichtig formuliert „enttäuschend“.

Die erbärmlichen Resultate der westlichen Partnerschaftsverpflichtungen lassen sich selbst in den jährlichen MDG-GAP-Reports nachlesen, obwohl doch der Mainstream in den Vereinten Nationen ansonsten alles tut, um die MDGs als große Erfolgsstory zu präsentieren. Von dem berühmten Versprechen, 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNEs) für Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) bereitzustellen, ist danach weniger als die Hälfte realisiert worden. An die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) sollten 0,15% des BNEs der Geber fließen; 2014 waren es gerade mal 0,10%, also ein Drittel weniger als versprochen. Auf dem Gleneagles-Gipfel beschlossen die damaligen G8, die jährliche ODA nach Afrika von 25 auf 64 Mrd. Dollar zu erhöhen – heute besteht immer noch eine Lücke von 72% zwischen Zusage und Lieferung!

● Von der Quantität zur Qualität?

Nicht viel besser schneidet die Verbesserung der „Qualität“ der Entwicklungszusammenarbeit ab, die allenthalben als Ausgleich für die mangelnde Einlösung der quantitativen Versprechen gepriesen wurde. Gewisse Fortschritte wurden zwar in den 1990er Jahre bei der Aufhebung der Lieferbindung der Entwicklungshilfe erzielt. Diese kamen jedoch im neuen Millennium wieder zum Stillstand, in dem der lieferungebundene Hilfeanteil gerade mal von 80 auf 83% wuchs (von 2000 bis 2013). Nur wenig Fortschritte gab es bei der Erhöhung der Budgethilfe und der Rückführung der Projektitis. Bis heute folgt somit ein hoher Anteil der ODA den Geberprioritäten und begrenzt die politischen Spielräume und eine effektive Ownership auf Empfängerseite.

Dass die Schuldeninitiative für die hochverschuldeten Entwicklungsländer (HIPC) ein Erfolg war, kann nicht bestritten werden. Leider wird Schuldenerleichterung jedoch immer noch als ODA angerechnet, so dass eine Doppelzählung zugunsten der Industrieländer erfolgt – einmal wenn sie die Kredite vergeben und dann, wenn sie sie erlassen. Immerhin sind die Verschuldungsquotienten der Entwicklungsländer insgesamt gesunken, wenngleich sie im Gefolge der Finanzkrise 2008 wieder anstiegen und eine Reihe von Ländern erneut auf dem Weg zu gefährlich hohen Verschuldungsniveaus ist. Ein unabhängiges Staateninsolvenzverfahren verweigern die meisten Industrieländer noch immer, wie die Auseinandersetzungen kurz vor dem 2030-Gipfel in der UNO gezeigt haben.

● Handelsdiskriminierung und Verweigerung günstiger Medikamente

Ein besonders trauriges Kapitel ist die unter den MDGs proklamierte Handelspartnerschaft mit dem Süden geblieben, was vielleicht nur noch dadurch übertroffen wird, dass auch unter den neuen SDGs eine krude und undifferenzierte Liberalisierung des Nord-Süd-Handels fortgeschrieben wird. Auf dem LDC-Gipfel 2001 in Brüssel verpflichtete sich die internationale Gemeinschaft, den LDCs künftig einen 100%igen zoll- und quotenfreien Zugang zu ihren Märkten einzuräumen. In der Praxis wuchs dieser Zugang von 75% 2000 bis 90% 2010, um bis 2014 wieder auf 84% zu fallen. Garantierten Marktzugang genießen nur 80% der Produktlinien der LDCs, womit gerade die Produktlinien ausgeschlossen werden, die die LDCs am erfolgreichsten exportieren könnten.

Ein noch düsteres Kapitel ist die Sicherung des Zugangs zu erschwingbaren Generika-Medikamenten für Entwicklungsländer. Zwischen 2007 und 2014 hatten nur 58% öffentlicher und 67% privater Gesundheitseinrichtungen im Süden Zugang zu solchen Medikamenten. Gemessen an internationalen Referenzpreisen waren diese Medikamente in Ländern mit niedrigeren mittleren Einkommen 5,7 mal und in Ländern mit niedrigen Einkommen 3 mal teurer.

● Neoliberale Barrieren

Doch wer gedacht hätte, diese Versäumnisse, die die bisherige Partnerschaftsrhetorik Lügen strafen, würden den Druck zur Bereitstellung der erforderlichen „means of implementation“ erhöhen, sieht sich getäuscht. Hinzu kommt: Dem wohlklingenden Ansatz der Nachhaltigen Entwicklungsziele steht nicht zuletzt die nach wie vor tonangebende neoliberale Wirtschafts- und Politikagenda entgegen. Diese hat schon nach dem Erdgipfel von 1992 die Nachhaltigkeitsagenda durchkreuzt. Und diese lässt auch heute keinen Raum für eine Neubestimmung der Rolle des Staates und des öffentlichen Sektors oder einen neuen Fiskalpakt, wie sie in einem aktuellen Papier des UN-Forschungsinstituts für Soziale Entwicklung (UNRISD) gefordert werden.

Wo UNRISD in Bezug auf die SDGs schreibt „From Inspiration to Action“, heißt es beim IWF seit neuestem „From Ambition to Reality“. Alle reklamieren jetzt wieder Politiken zur Unterstützung einer „neuen“ Nachhaltigkeitsagenda für sich. Doch wo alle dafür sind, sind Beliebigkeit und Rosinenpickerei nicht weit. Transformation, wie eines der Catchwords der aktuellen Debatte heißt, sieht anders aus.

Wohl gibt es genügend Argumente für ein „grundlegendes Umdenken“ und eine „neue ökonomische Rationalität“ – doch solange die neoliberalen Barrieren und Machtverhältnisse nicht gekippt werden, bleibt auch die Debatte über neue Ziele nachhaltiger Entwicklung allenfalls ein Terrain oder auch nur eine Spielwiese, auf der sich viele wieder einmal wohlfühlen, aber regelmäßig auch viele verzweifeln.

Posted: 25.9.2015

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, UN-Gipfel der Entwicklungspartnerschaft? Die Realität hinter den Phrasen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25. September 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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