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Vergesst G7!

Artikel-Nr.: DE20150216-Art.05-2015

Vergesst G7!

Alte Gefechte noch einmal kämpfen?

Nach acht Jahren kommt die Karawane der Weltwirtschaftsgipfel erneut nach Deutschland. Weltwirtschaftsgipfel? Nach dem Hinauswurf von Russland ist der Klub der (einstmals) wichtigsten kapitalistischen Industrienationen wieder unter sich. Doch die weltwirtschaftliche Konstellation hat sich seit dem Spektakel von Heiligendamm dramatisch geändert. Ein Teil der Szene tut indessen so, als sei die G7 nach wie vor der Nabel der Welt, kritisiert Rainer Falk.

Als der G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 seine Abschlussdeklaration vorstellte, fand sich darin nicht einmal eine Andeutung der kommenden Turbulenzen am globalen Finanzmarkt. Doch schon zwei Monate später war offenkundig, dass die Welt in einer veritablen Finanzkrise steckte. Im nächsten Jahr brachte die Krise das globale Finanzsystem an den Rand des Abgrunds, und die globale Finanzkrise verwandelte sich in eine Große Rezession. Im November 2008 wurde die vom deutschen Finanzminister Eichel nach der Asienkrise gegründete Gruppe der 20 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs einberufen. Seither war die G20 das „erste Forum unserer wirtschaftlichen Koordinierung“, so das Gipfelkommuniqué von Pittsburgh 2009 – die alte G8 traf sich zwar weiter, war aber weitgehend Geschichte, allenfalls noch ein „Gremium der Vorbesprechung“ für G20 (Merkel).

● Entwicklungspolitische Wiederauferstehung?

Liest man die Sonder-Webseite des Bundesministeriums für wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zum G7-Gipfel, gewinnt man allerdings den Eindruck, da werde eine entwicklungspolitische Supershow stattfinden, wenn sich die sieben Staats- und Regierungschefs (der USA, Kanadas, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Japans, Italien und der Europäischen Union) am 7./8. Juni auf Schloss Elmau in Oberbayern treffen. Da sollen die G7 im Post-2015-Prozess „mit eigenem Beispiel vorangehen“, die sozialen und ökologischen Standards in Lieferketten transnationaler Konzerne sollen unter die Lupe genommen werden, globale Impfaktionen (GAVI) sollen gestärkt werden, ebenso die wirtschaftliche Rolle der Frauen, die Ernährungssicherheit, und nicht zuletzt sollen die Länder bei der Nutzung ihrer Rohstoffe unterstützt werden. Doch ist im Zusammenhang mit dem G7-Gipfel – im Gegensatz zu früher – nicht einmal ein gesondertes Treffen der Entwicklungsminister der G7-Länder vorgesehen.

Nüchterner klingt das alles schon, wenn man auf die Website der Bundesregierung zu G7 geht. Da kommen die og. Themen zwar auch alle vor, im Zentrum stehen jedoch eindeutig die Weltwirtschaft und vor allem die Außen- und Sicherheitspolitik. „Angesichts zahlreicher politischer Krisenherde auf der Welt“, so heißt es, „bleibt das gemeinsame außen- und sicherheitspolitische Engagement der G7 äußerst wichtig. Im Fokus der Beratungen stehen aktuelle internationale Herausforderungen. Dazu zählen zur Zeit die Krise in der Ukraine, die Bekämpfung der Terrormiliz ISIS und Maßnahmen gegen die Ebola-Epidemie.“ Und zur Weltwirtschaft wird vor allem Wachstum gepredigt, nachhaltiges Wachstum zwar, aber eben Wachstum: „Die G7 wird sich deshalb weiterhin gemeinsam für langfristig stabile Rahmenbedingungen einsetzen, die ein dynamisches, nachhaltiges Wirtschaftswachstum fördern. Stabile Finanzen, offene Weltmärkte und ein funktionierender Arbeitsmarkt spielen hierbei Schlüsselrollen. Die G7-Staaten treten gemeinsam dafür ein, den internationalen Handel weiter zu stärken.“

● „Westliche Wertegemeinschaft“

Nach dem Rauswurf Russlands – womit die einzige nennenswerte Erweiterung, die es in der Geschichte der G7 je gegeben hat, beendet wurde – kann die Bundesregierung die G7 jetzt wieder ohne rot zu werden als „westliche Wertegemeinschaft“ feiern. Dazu gehört auch die Veranstaltung von „Katzentischen“ mit den „afrikanischen Partnern“ und „der Zivilgesellschaft“. Dieser „Outreach“ nimmt sich aus wie weiland in Heiligendamm, nur dass die Rolle der G7 seither drastisch abgenommen hat (Der neue globale Kontext; W&E 10/2014). Lediglich das für Elmau geplante Sicherheitsaufgebot steht dem von Heiligendamm offensichtlich in nichts nach.

Dass die G7-Regierungen die Tradition ihrer Positionierungstreffen fortführen, wäre eigentlich keiner großen Aufregung wert. Es fragt sich nur, ob dies alles das Ausmaß rechtfertigt, indem derzeit ein großer Teil der Szene – von arrivierten NGOs bis zum äußeren Rand der nimmer müden Gipfelstürmer – seine Energien für (bzw. gegen) das Ereignis bündelt. Während sich die einen vor allem auf das Thema Ernährungssicherheit kaprizieren, das die G8 seit 2009 für sich entdeckt hat, rufen andere schon wieder „Stoppt G7 in Elmau“, als wäre so etwas jemals realistisch gewesen.

Die Deutsche Welthungerhilfe hat z.B. im Rahmen ihres internationalen Netzwerks ein „Berliner Memorandum“ vorgelegt, in dem von den G7 ein konsequentes Engagement zur Hungerbekämpfung gefordert wird. Darin wird die G8 für ihre „beeindruckende Entschlossenheit“ gelobt, mit der sie 2009 auf die Welternährungskrise reagiert habe. Dieses Engagement drohe zu erlahmen. Die Verantwortung für die weltweite Ernährungssicherung dürfe nicht Agrarkonzernen überlassen werden, wie es in der New Alliance for Food Security and Nutrition der Fall ist. Genau diese New Alliance ist jedoch der Kern der Initiative der G7/G8 zur Nahrungsmittelsicherheit.

Eine andere Großorganisation (Brot für die Welt) hat für Ende Februar zu einer Großveranstaltung unter dem Thema „Vorreiter, Ideengeber, Mitläufer oder Bremer? Deutschlands Rolle im Super-Entwicklungsjahr 2015“ aufgerufen. Dort sollen u.a. Entwicklungsminister Müller, der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), Dirk Messner, und Brot-Chefin Cornelia Füllkrug-Weitzel den Dialog mit sich selbst und einigen Partnern aus dem Süden führen. Nach Messmer müsse in Elmau deutlich werden, „was die G7-Staaten tun wollen, damit die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) in ihren eigenen Staaten verankert werden“.

● Entwicklungspolitik als Feigenblatt

Dagegen wäre nichts einzuwenden. Doch nichts spricht dafür, dass sich seit dem Gipfel von Heiligendamm irgendetwas an der Feigenblatt-Funktion der Entwicklungspolitik geändert hat. Auch Entwicklungsminister Müller erfüllt im Wesentlichen diese Feigenblatt-Rolle: Die Bundeskanzlerin will Elmau für die Beschleunigung der TTIP-Verhandlungen nutzen – Müller hat soeben eine Studie vorgestellt, die Entwarnung für den Süden gibt (s. W&E-Infospiegel in dieser Ausgabe) und redet munter weiter von fairem Handel. Wirtschaftsminister Gabriel will zurück zur Kohle – Müller schwadroniert über klimapolitisches Umdenken in Deutschland. Und unter Beteiligung von Innenminister De Maiziere verweigert die EU die Mittel für die Seenotrettung im Mittelmeer, während Müller Großherzigkeit gegenüber Flüchtlingen predigt.
Wer an dieser Doppelzüngigkeit etwas ändern will, sollte sich nicht weiter an einem Gremium wie den G7 abarbeiten, welches seit mindestens acht Jahren auf dem absteigenden Ast ist. Deswegen: Vergesst G7!

Statt das entwicklungspolitische Mäntelchen der G7 zu pflegen, sollten wir lieber dahin schauen, wo die entwicklungspolitischen Themen wirklich hingehören oder wo tatsächlich Weichen gestellt werden: Die Ernährungssicherheit gehört in die FAO, das Thema Seuchenbekämpfung und -vorbeugung in die WHO. Die G7 mögen sich in Elmau zum Post-2015-Prozess und zur Klimapolitik irgendwie positionieren – die Entscheidungen jedoch fallen in der UN-Vollversammlung und unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen.

● „G20-Moment“

Die G20 arbeitet längst an einem entwicklungspolitischen Konzept, das den Kräften des Südens zu weiterem Aufstieg verhelfen soll. Die Präsidentschaft dieser Gruppe liegt in diesem Jahr bei der Türkei, die als zentrale Devise „Inclusiveness, Implementation und Investment for Growth“ ausgegeben hat. Das zielt auch auf die Einbeziehung von Ländern mit niedrigerem Entwicklungsstand in den G20-Prozess – der trotz vieler Unzulänglichkeiten den G7-Prozess längst überlagert und verdrängt hat. Und 2016 liegt die G20-Präsidentschaft bei China. Was wohl ist ein G7-Treffen in Bayern gegen diesen „G20-Moment“ der Chinesen?

Posted: 18.2.2015

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Vergesst G7! Alte Gefechte noch einmal kämpfen?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 18. Februar 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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