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Halbherzige Reform der IWF-Kreditvergabe

Artikel-Nr.: DE20160225-Art.06-2016

Halbherzige Reform der IWF-Kreditvergabe

Ausstieg aus den Bailouts?

Vorab im Web - Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat am 29. Januar 2016 eine Reform seiner Vergaberichtlinien für außerordentliche Kredite angenommen. Der wichtigste Schritt ist die Abschaffung der sog. systemischen Ausnahmeklausel („systemic exemption clause“), die dem IWF die Teilnahme an dem Mega-Bailout für private Gläubiger in Griechenland ermöglichte. Ihre Abschaffung war eine Gegenleistung für die lange überfällige Zustimmung zur IWF-Stimmrechtsreform durch den US-Kongress kurz vor Weihnachten. Von Bodo Ellmers.

Durch den Rückgriff auf die erwähnte Ausnahmeklausel wurde erreicht, dass Griechenland heute vor allem gegenüber öffentlichen Gläubigern verschuldet ist, während Banken und andere Gläubiger ihr Geld zum großen Teil retten konnten. Dennoch ist die jüngste Reform keine Garantie dafür, dass öffentlich finanzierte Bailouts nicht mehr stattfinden werden. Die Aufgabe wird lediglich vom IWF auf andere öffentliche Gläubiger übertragen. In Europa ist das der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM).

● Regeln der Reichen zum Vorteil der Banken

Der enorme von der Troika finanzierte Bailout (bzw. das Rettungspaket) für die privaten Gläubiger Griechenlands rief starke Empörung hervor: Die europäischen BürgerInnen beklagten, dass sie für die großen Kreditpakete haften müssen, mit denen die EU und ihre neuen Finanzierungsinstrumente – inzwischen also der ESM – den Bailout finanzierten. Die Griechen klagten über die harschen Bedingungen, die die Gläubiger – in dem verzweifelten Versuch, sie für die untragbaren Schulden zahlen zu lassen – an diese Kredite knüpften. Die IWF-Mitglieder aus Schwellen- und Entwicklungsländern, deren Banken nicht in Griechenland engagiert waren und deshalb keine Vorteile von dem Bailout hatten, beklagten, dass ein großer Batzen von IWF-Mitteln zum Vorteil reicher Länder genutzt wurde und die IWF-Regeln zu diesem Zweck hingebogen wurden.

Die systemic exemption clause war 2010 eingeführt worden, als klar wurde, dass Griechenland entweder seine Zahlungsunfähigkeit erklären müsste (weitgehend gegenüber von privaten Investoren gehaltenen Anleihen) oder vom IWF Rettungskredite zur Finanzierung seines Schuldendienstes bekommen müsste, und zwar weit hinaus über das, was Griechenlands IWF-Quote erlaubte. Da die griechische Schuldenlast zu dieser Zeit bereits als nicht-nachhaltig eingeschätzt wurde, hätten die IWF-Regeln verlangt, die Verschuldung bei privaten Gläubigern zu reduzieren und privaten und bilateralen öffentlichen Gläubigern einen „Haircut“ zu verpassen, bevor der IWF hätte Kredite geben können.
Gleichwohl argumentierten viele, dass eine Schuldenrestrukturierung mitten in der Finanzkrise das europäische und (vielleicht) das globale Bankensystem hätte destabilisieren können. So führte der IWF die „systemische Ausnahmeklausel“ ein, die IWF-Kredite in außergewöhnlicher Höhe möglich machte, ohne zunächst eine Restrukturierung der Schulden gegenüber privaten Gläubigern durchzusetzen.

● Politische Gründe entscheidend

Offensichtlich spielten bei dieser Entscheidung politische Gründe, in Kombination mit der unausgewogenen Governance-Struktur des IWF, eine Schlüsselrolle. Die in Griechenland am meisten exponierten Banken waren französisch, deutsch und britisch, kamen also aus drei von fünf Ländern, die den höchsten Stimmrechtsanteil im IWF halten. Damals war der Franzose Dominique Strauss-Kahn, der bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich kandidieren wollte, Geschäftsführender Direktor des IWF. Die USA, die einzige Vetomacht im IWF, waren indirekt betroffen, da US-Banken europäische Bankkredite mit Kreditausfall-Swaps versichert hatten.

IWF-Mitglieder aus Schwellen- und Entwicklungsländern protestierten frühzeitig gegen die systemische Ausnahmeklausel, da es sich dabei im wesentlichen um eine Regel handelte, die reiche Länder für reiche Länder – oder genauer: für deren Banken und Gläubiger – gemacht hatten: Wenige Entwicklungsländer und deren Banken würden jemals als so wichtig angesehen werden, als dass ihretwegen eine systemische Ausnahme eingeführt werden würde. Angesichts des IWF-Governance-Modells, das die reicheren Länder bevorzugt, hätten die Exekutivdirektoren aus der Entwicklungswelt auch zu wenig Macht, selbst wenn sie eine existierende Klausel zu ihrem Vorteil aktivieren wollten.

Jetzt hat der IWF also endlich auf die Kritik reagiert und die Ausnahmeklausel abgeschafft, die auch innerhalb der Belegschaft des Fonds umstritten war. Er hat damit auch anerkannt, dass die Klausel das Problem – die untragbare Schuldenlast – nicht löste, sondern eine Lösung hinauszögerte. Darüber hinaus kommt es zu ‚moral hazards‘, wenn die privaten Gläubiger davon ausgehen können, dass sie immer gerettet werden.

Die jetzige Reform bedeutet jedoch nicht, dass künftig keine großen Bailouts der Gläubiger mehr stattfinden. Das Hauptmotiv des IWF scheint darin zu bestehen, das Risiko zu verringern, dass ein Krisenland seine IWF-Kredite nicht mehr zurückzahlen kann. Griechenland war im Juni 2015, bevor die Eurogruppe das dritte Rettungspaket bewilligte, schon ziemlich nahe dran, die Zahlungsunfähigkeit gegenüber dem IWF zu erklären. Letztlich wurde das Geld dann dazu verwendet, die fälligen Zahlungen an den IWF zu refinanzieren, das heißt den IWF ‚rauszuhauen‘ (‚to bail out‘).

Die Vorstandsmitglieder des IWF haben jetzt entschieden, dass sich der IWF aus der gegenwärtigen Bail-out-Praxis verabschiedet. Gleichwohl haben sie auch beschlossen, dass ein Land mit nicht-tragfähiger Schuldenlast weiterhin von einem außerordentlichen Zugang zu IWF-Krediten profitieren kann, und zwar ohne eine vorherige Schuldenrestrukturierung, und dies solange andere öffentliche Gläubiger ausreichend konzessionäre Kredite bereitstellen, um die Schulden tragbar zu machen. Klarer ausgedrückt: Wenn andere öffentliche Gläubiger die Rettung privater Gläubiger finanzieren, ist der IWF weiterhin bereit, großzügig Geld zur Verfügung zu stellen. Dieser Ansatz wird in Europa bereits praktiziert, wo die Rettung der Banken durch den ESM finanziert wird.

● Zurück ans Reißbrett

Die jüngste Reform sollte als Ablenkung von den grundlegenden Problemen eingeschätzt werden, die mit dem Management öffentlicher Schuldenkrisen verbunden sind. Sie ist Teil der Zweite-Wahl-Strategie des IWF, die notwendig wurde, als 2013 einige Vorstandsmitglieder ihr Veto gegen die Pläne der Belegschaft einlegten, Regeln für ein Rahmenwerk zur Lösung von Schuldenkrisen zu schaffen.

Was darauf folgte, ist eine Reihe scheibchenweiser Reformen. Insbesondere ist da das Problem, das ein Schuldnerland, wenn es einmal seine Schuldenlast reduzieren muss, keine Chance hat, dies schnell zu tun und die Lasten fair und verbindlich auf seine diversen Gläubiger zu verteilen. Da auch der IWF dazu keine Chance hat, beschloss man stattdessen folgendes:
* Oktober 2014: Verabschiedung sog. erweiterter Collective Action Clauses (CACs), die die International Capital Market Association in einem undurchsichtigen Prozess entwickelt hatte und die öffentliche Schuldner mit der Ausgabe neuer Anleihen verknüpfen sollen.
* Dezember 2015: Änderung der Politik im Falle von Zahlungsrückständen, um den IWF in die Lage zu versetzen, weiter an Länder Geld zu leihen, deren öffentliche Gläubiger sich weigern, an einer Schuldenrestrukturierung teilzunehmen. Dies geschah jüngst im Fall der ukrainischen Schulden gegenüber Russland.
* Schließlich – als Teil des Reformpakets vom 29. Januar – die Einführung einer ‚Reprofilierung‘ der Schulden (d.h. der Verlängerung der Fälligkeiten, die eine zeitweise Aussetzung der Schuldenzahlungen erlaubt) als eines vorläufigen ‚dritten Wegs‘ zwischen Schuldenreduzierung und einem vollen Bailout der Gläubiger.

Selbst zusammengenommen, können diese Reformen keine rasche und umfassende Lösung einer Schuldenkrise sicherstellen. Die erwähnten CACs gelten nur für neue Anleihen, während die meisten Länder ein gemischtes Schuldenportfolio haben, das neben Anleihen auch Kredite von privaten und öffentlichen Gläubigern enthält. Es gibt keinen Weg, die öffentlichen Gläubiger zur Teilnahme daran zu zwingen. Die Reform zu Zahlungsrückständen versetzt den IWF in die Lage, Kredite zu vergeben, was auf mehr und nicht weniger Schulden überschuldeter Länder hinausläuft. Die Abschaffung der systemischen Ausnahmeklausel schützt die Ressourcen des IWF, aber nicht die der Schuldnerländer und ihrer Bürger. Und während der neue Schulden-Reprofilierungsansatz einem Schuldnerland mehr Spielraum zum Atmen einräumen könnte, schafft er Anreize für Regierungen und ihre Gläubiger, einen unvermeidbaren Haircut hinauszuschieben bzw. eine nachhaltige Lösung von Schuldenkrisen zu verzögern. Es führt kein Weg um eine grundlegendere Reform in Richtung eines neuen Mechanismus zur Lösung von Schuldenkrisen herum. Reformvorschlage in diesem Sinne gibt es zur Genüge. Was fehlt, ist der politische Wille sie umzusetzen.

Bodo Ellmers ist Mitarbeiter des Eurodad-Netzwerks, auf dessen Homepage der Beitrag im englischen Original publiziert wurde.

Posted: 25.2.2016

Empfohlene Zitierweise:
Bodo Ellmers, Halbherzige Reform der IWF-Kreditvergabe. Kein Ausstieg aus den Bailouts?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25. Februar 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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