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Die ‚Neue Seidenstraßen-Initiative'

Artikel-Nr.: DE20170802-Art.16-2017

Die ‚Neue Seidenstraßen-Initiative'

Chinas Anlauf zu globaler Präsenz

Vorab im Web - Noch ist die ‚Neue Seidenstraßen-Initiative’ nicht viel mehr als eine Große Erzählung. Doch der Versuch der Regierung in Beijing, Chinas Auslandsinvestitionen zu koordinieren und für das eigene Wachstum und für eine „Erneuerung Chinas“, so Staats- und Parteichef Xi Jinping, zu nutzen, hat inzwischen eine Dynamik in Gang gesetzt, die sich nicht nur in einer wachsenden Diskussion über Intentionen und Auswirkungen niederschlägt, sondern auch eine Verschiebung globaler ökonomischer und politischer Machtkonstellationen einläuten könnte. Ein Beitrag von Uwe Hoering.

Spätestens seit der Finanzkrise 2007/2008 versucht China intensiv, seine Auslandsinvestitionen auszuweiten, seine Versorgung mit wichtigen Rohstoffen zu sichern und sich neue Märkte zu erschließen, unter anderem für die erheblichen Überkapazitäten in der Bau- und der Stahlindustrie. Nachdem die Expansionspotentiale im Binnenmarkt auslaufen, erfolgt eine grenzüberschreitende Ausweitung, an der die weiteren Wachstumsraten und damit die Machterhaltung der Regierung hängen. Hilfreich dabei die erheblichen Devisenreserven, die systematische staatliche Unterstützung für Chinas Konzerne, aber auch die wirtschaftlich prekäre Situation in vielen Ländern Osteuropas, Zentralasiens, der Peripherie der EU sowie in Afrika und Lateinamerika.

● ‚Belt and Road‘

2013 wurden diese Bestrebungen mit der offiziell als ‚Belt and Road’ bezeichneten Initiative zum Ausbau der physischen Infrastruktur zwischen China und Europa intensiviert: Die ‚Road’ bezeichnet eine Kette von Häfen in Südostasien, dem Indischen Ozean, Ostafrika und Südeuropa, beispielsweise Piräus, und deren Modernisierung und Kontrolle durch chinesische Konzerne wie COSCO (China Ocean Shipping Corporation). Diese ‚Maritime Seidenstraße’ und der Ausbau der Handelsflotte könnten zu einem Gegengewicht gegen die Dominanz westlicher Reedereien und Versicherungskonzerne werden.

Parallel dazu erfolgt der Aus- und Neubau eines verzweigten Netzes von Bahnstrecken, Fernstraßen und Pipelines zwischen China und Europa, das den ‚Belt’ der Initiative darstellt und gleichzeitig eine Alternative zum Seeweg eröffnen würde für den Zugang zu Märkten und zu Ressourcen in Zentralasien. Verknüpft werden Land- und Seewege durch Querverbindungen wie zwischen dem Hafen Gwadar in Pakistan und der westchinesischen Provinz Xinjiang, die eine Drehscheibe auf dem Landweg ist, oder zwischen Kyaukpyu in Myanmar und der südwestlichen Provinz Yunnan, einer weiteren Drehscheibe für Südostasien.

Dieser grobe Plan, der bislang weder in seinen Details feststeht, noch viel mehr als ein Konglomerat bestehender Bahnstrecken und Investitionen, Absprachen und Ideen darstellt, bildet das Gerüst für die weitere Expansion des Handels zwischen China und den übrigen Ländern Eurasiens und Afrikas, aber auch für die Ausweitung von Investitionen in Industrien, Agrarbetriebe, Dienstleistungen und Energieversorgung in mehreren sogenannten Wirtschaftskorridoren wie dem China-Pakistan Economic Corridor (CPEC).

● Neues System von Entwicklungsbanken

Im Unterschied zu seinem (staats-)kapitalistischen Entwicklungsmodell kann die chinesische Regierung die Umsetzung dieser Pläne allerdings nicht auf eigene Faust betreiben. Proteste in Kasachstan, Sri Lanka und Myanmar gegen chinesische Investitionen und nationale Eigeninteressen von Regierungen signalisieren Widerstandspotential: Dem versucht Beijing mit einer diplomatischen Charme-Offensive und viel PR über die wechselseitigen Vorteile und eine gleichberechtige, offene Partnerschaft zu begegnen. Und mit Lockmitteln.

Eines dieser Lockmittel: Die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), die Anfang 2016 ihre Geschäftstätigkeit aufnahm und mindestens 100 Mrd. US-Dollar in Aussicht stellt. Sehr zum Unmut der USA drängten sich viele Länder danach, AIIB-Mitglieder zu werden. Das gilt nicht nur für asiatische, pazifische und einige afrikanische Länder, sondern auch für europäische Länder, darunter Deutschland als viertgrößter Anteilseigner. Welchen Einfluss sie allerdings auf die Projekte und deren soziale und ökologische Standards haben können, ist angesichts der intransparenten Verfahrensweisen und der Sperrminorität, die sich China gesichert hat, ungewiss.

Weitere Milliarden sollen durch zahlreiche Fonds, darunter ein eigener Silk Road Fonds, die staatlichen Banken und die BRICS-Bank bereitgestellt werden. Und die AIIB sucht die Kooperation mit bestehenden Internationalen Finanzinstitutionen wie Weltbank, der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) und der europäischen EIB.

● Konnektivität gen Osten

Mit Geld und guten Worten lockt sie zudem weitere private Investoren, sich an der Initiative, deren Volumen in den kommenden Jahren auf 900 Mrd. US-Dollar und mehr veranschlagt wurde, zu beteiligen. Besonders für europäische Unternehmen könnte die stärkere ‚Konnektivität’ gen Osten sowohl für den Handel als auch für eigene Investitionen durchaus positive Perspektiven bieten. Zahlreiche Projekte, die unter dem Markennamen ‚Seidenstraßen’ laufen, werden bereits von US-amerikanischen und Investoren aus anderen Ländern durchgeführt.

Vor allem aber benötigt Beijing die Kooperation nationaler Regierungen. Dafür setzt sie sowohl auf bilaterale Abkommen als auch auf regionale Bündnisse wie die Shanghai Cooperation Organisation (SCO). Eine Schlüsselrolle auf dem Landweg zwischen Europa und Asien spielt dabei Russland, das einerseits mit Organisationen wie der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) eigene Machtinteressen in der Region verfolgt, andererseits aber auf Chinas Geld und Wirtschaftskraft angewiesen ist, während Beijing wiederum darauf setzt, dass Russland in der Region für wirtschaftlich förderliche Stabilität sorgen kann. So bahnt sich eine Arbeitsteilung an mit „China als der Bank, Russland als die Kanone“, so Alexander Gabuev vom Carnegie Moscow Center.

● Geopolitische Aspekte

Weitgehend unstrittig ist, dass bei dem Vorstoß auch geopolitische Motive eine Rolle spielen, auch wenn das offiziell immer wieder abgestritten wird. So entstand die Initiative in der Amtszeit Obamas, dessen Transpazifische Partnerschaft (TPP) als Teil einer Einhegungs-Strategie Chinas betrachtet werden kann. Trumps Rückzug, so die Einschätzungen, spielt jetzt China in die Hände. Implikationen hat die Initiative auch für den Konflikt im Südchinesischen Meer, bei dem Beijing im Streit mit nahezu allen Anrainerstaaten liegt, die gleichzeitig in die Seidenstraßen-Initiative eingebunden werden sollen. Und mit seinem ersten ausländischen Marinestützpunkt in Dschibuti, zunächst als Basis für den Kampf gegen Piraten gerechtfertigt, stärkt China seine Möglichkeiten, wichtige Handelsrouten wie den Suez-Kanal und den Golf von Aden gegebenenfalls auch militärisch absichern zu können.

Das Gruppenfoto beim großen Seidenstraßen-Gipfel Mitte Mai 2017 in Beijing, dem ‚Belt &Road Forum on International Cooperation’, zeigte denn auch, wie weit China inzwischen mit dieser Partnersuche gekommen ist: Delegationen aus über 100 Ländern nahmen teil, darunter mehr als ein Dutzend Staats- und Regierungschefs wie Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, Nursultan Nasarbayew, Rodrigo Duterte und Hun Sen – Putin meist an der Seite von Xi Jinping. Aufschlussreich aber auch, wer fehlte, etwa Indiens Premierminister Narendra Modi, der Beijing vorwarf, „die Souveränität anderer Nationen auszuhöhlen“, und misstrauisch Chinas Vormarsch im Indischen Ozean und in Südasien, besonders auch die enge Kooperation mit Pakistan, beobachtet. Auch aus Europa waren vornehmlich Regierungen der Peripherie prominent vertreten. Sie können sich von der Initiative wirtschaftliche Impulse und ein Gegengewicht gegen Brüssel erhoffen, das sich seinerseits noch abwartend verhält und bislang keine gemeinsame Position, geschweige denn Antwort auf die Initiative gefunden hat.

Aber auch in vielen Ländern, die in Beijing vertreten waren, werden inzwischen jene Stimmen lauter, die trotz der hochfliegenden Versprechungen auf ein „neues ‚Goldenes Zeitalter’ der Globalisierung“ Sorgen vor einer weiter wachsenden wirtschaftlichen Dominanz, politischen Einflussnahme und zukünftigen geopolitischen Muskelspielen Chinas artikulieren.

Hinweis:
* Wohin führen die Neuen Seidenstraßen? China-Programm der Stiftung Asienhaus, August 2017. Info unter: www.eu-china.net/one-belt-one-road/

Posted: 1.8.2017

Empfohlene Zitierweise:
Uwe Hoering, Die 'Neue Seidenstraßen-Initiative'. Chinas Anlauf zu globaler Präsenz, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 8. August 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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