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Menschliche Entwicklung für Alle?

Artikel-Nr.: DE20170326-Art.07-2017

Menschliche Entwicklung für Alle?

Neuer Human Development Report

Vorab im Web - Während der globale materielle Reichtum zunimmt, wachsen die sozialen Gegensätze innerhalb der Länder. Dies führt zum Verlust gesellschaftlichen Zusammenhalts und zunehmender Gewalt. Der erst jetzt erschienene „Bericht über die menschliche Entwicklung 2016“ greift das brennende Thema auf. Leider stehen die hier diskutierten Vorschläge für eine universelle menschliche Entwicklung und die aktuelle politische Praxis in starkem Gegensatz zueinander, schreibt Jörg Goldberg.

Die Veröffentlichung skizziert zunächst durchaus eindrucksvolle Erfolge beim Kampf gegen extreme Armut, Hunger und Elend. Sie zeigt aber gleichzeitig, dass diese Erfolge ungleich verteilt sind, dass viele Gruppen nicht oder kaum partizipieren, dass die Kluft wächst. „Menschliche Entwicklung für Alle“, lautet der Titel und die Forderung des Berichts.

Benachteiligung und ihre Ursachen

Die ersten zwei Kapitel schildern die verschiedenen Dimensionen der Ungleichheit und gehen auf die besonders benachteiligten Gruppen ein: Frauen und Mädchen, ethnische und sexuelle Minderheiten, indigene Völker, Behinderte und Migranten, aber auch Bewohner ländlicher Regionen. Dies ist die Mehrheit der Weltbevölkerung, d.h. Diskriminierung ist kein Minderheitenproblem.

Was sind die Ursachen, warum generieren wirtschaftliches Wachstum und Ausbau sozialer Dienste immer wieder Ungleichheiten? Der Bericht zählt eine Reihe von Diskriminierungsmechanismen auf, gewichtet diese aber nicht. So stehen unterschiedslos Faktoren wie diskriminierende soziale Normen und Nationalismus neben dem Verhalten von Eliten und fehlender Verhandlungsmacht der Benachteiligten (49) – siehe Abbildung.

Hindernisse des Univeralismus


Es wäre sicher falsch, alle Formen von sozialer Benachteiligung auf ökonomische Faktoren zu reduzieren – wenn der Bericht aber beklagt, dass der Anteil der reichsten ein Prozent der Bevölkerung am globalen Reichtum von 32% im Jahre 2000 auf 46% 2011 angestiegen ist (77), so illustriert dies eine zentrale Machtverschiebung in den Gesellschaften. Die Hälfte der seit 2000 verzeichneten Einkommensverbesserungen konnte sich jenes ein Prozent sichern, während umgekehrt die Hälfte der Menschheit am Einkommenswachstum faktisch nicht partizipiert hat.

Zwar ist einerseits zu konstatieren, dass die extreme Armut global zurückgegangen ist – vor allem dank des wirtschaftlichen Aufstiegs in Asien. Andererseits ist Armut nicht mehr nur ein Problem der Entwicklungsländer. „Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass 2012 mehr als 300 Millionen Menschen in den entwickelten Ländern in Armut lebten.“ (30) Einkommensungleichheit ist auch nach Ansicht des Berichts ein zentrales Element bei der Produktion von Diskriminierung, steht sie doch „in Verbindung mit Ungleichheit bei Bildung und Gesundheitsversorgung und ungleichem politischen Einfluss und Beteiligung.“ Die „Eliten beherrschen die Institutionen“ (80), sie bestimmen die gesellschaftlichen Regeln. Ungleichheit und die Konzentration von Macht treiben einen „vicious circle“, einen Teufelskreis, an.

● Politik für universelle menschliche Entwicklung

Leider wird versäumt, dem Zusammenhang zwischen der Machtkonzentration bei Wenigen (was gleichzeitig Ohnmacht der Benachteiligten bedeutet) und den verschiedenen Mechanismen der Benachteiligung nachzugehen. Daher bewegen sich die vielen durchaus interessanten und wichtigen Vorschläge zur Sicherung einer „Entwicklung für Alle“ überwiegend auf technischem Niveau.

Der Hauptteil des Berichts, Kapitel drei bis sechs, entwickelt politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Ungleichheit und Diskriminierung. Dabei steht die nationale Ebene im Vordergrund. Es werden vier Politikfelder angesprochen: Erstens soll die Gesamtpolitik darauf achten, dass die Ergebnisse allen Gruppen gleichmäßig zugutekommen. Dies beinhaltet eine auf Vollbeschäftigung gerichtete Beschäftigungspolitik, Bildung und Gesundheit für Alle, und zwar ohne Qualitätsunterschiede. Auch das bedingungslose Grundeinkommen wird diskutiert. Zweitens gibt es Gruppen, wie z.B. Behinderte, die spezielle Bedürfnisse haben, was gezielte Maßnahmen erfordert. Quotenregelungen für Frauen und positive Diskriminierung von Benachteiligten gehören in diesen Zusammenhang. Drittens müssen diese Maßnahmen nachhaltig und krisenfest sein. In diesem Zusammenhang wird nicht nur für ein breites System sozialer Sicherheit plädiert, sondern auch die Rolle von Umweltschutz und Klimapolitik erwähnt. Denn „benachteiligte und marginalisierte Gruppen sind die Hauptopfer“ von Klimawandel und Naturkatastrophen (123). Viertens soll den Benachteiligten eine Stimme gegeben werden, sie müssen gestärkt werden, damit sie ihre Interessen zur Geltung bringen können. An diesem Punkt zeigt sich die zentrale Schwäche des Berichts: Zwar werden in diesem Kontext Menschenrechte, Rechenschaftspflicht der Herrschenden und Zugangsrechte zur Justiz eingefordert, es wird aber nicht untersucht, unter welchen Bedingungen benachteiligte Gruppen sich organisieren und handeln können.

● Reform der Migrationsordnung

Obwohl der politische Akzent auf der nationalen Ebene liegt, wird gleichzeitig eine umfassende Reform der multilateralen und internationalen Institutionen und Organisationen gefordert. Dazu gehören einmal die globalen Märkte für Waren, Dienstleistungen und Kapital: Es wird eine umfassende politische Regulierung dieser Märkte gefordert und gegen die Tendenz Stellung genommen, unter dem Vorwand des Schutzes von Investorenrechten und geistigem Eigentum politische Entscheidungsbefugnisse auszuhebeln.

Besonders aktuell sind die Ausführungen zur Arbeitsmigration, die hinter die Globalisierung von Waren, Dienstleistungen und Kapital zurückgefallen sei. „Da Migration Teil der globalen Wirtschaft ist, sollte diese ebenfalls global geregelt werden, als Gegenstück zu fairem Handel und zu Investitionsregeln. Dadurch soll gesichert werden, dass Arbeiter nicht national diskriminiert werden.“ (149) Migration ist eine globale Angelegenheit, die durch globale Regeln unter Beteiligung Aller geordnet werden muss. Es kann also nicht den reichen Immigrationsländern allein überlassen bleiben, die Regeln der Migration festzulegen.

● Macht und Interessen als Leerstelle

Dass wachsende Ungleichheit auch mit Interessen und der Macht, diese durchzusetzen, zusammenhängt wird zwar an einigen Stellen angedeutet, ohne dass daraus aber politische Konsequenzen gezogen werden. Es scheint, als sei eigentlich jeder an „menschlicher Entwicklung für Alle“ interessiert. Obwohl die benachteiligten Gruppen die Mehrheit der Menschheit darstellen, heißt es in den Schlussfolgerungen: „Jene, die schwächer sind oder die zurückfallen, benötigen Unterstützung von anderen – Individuen, Gemeinschaften, dem Staat…“ (169).

Dass den Autoren die Dimension von Interessen, Machtkonflikten und politischem Kampf völlig abgeht, wird schon auf der Titelseite deutlich, wo es heißt: „Jene, die zurückfallen, brauchen die helfende Hand derjenigen, die vorne liegen.“ Dass jene, die „vorne liegen“, dieselben sind, die sich immer größere Teile des von allen erarbeiteten Reichtums aneignen und ihre politische Macht entsprechend einsetzen, wird übersehen. Der Bericht entwickelt viele sinnvolle Maßnahmen, deren Umsetzung in der Tat eine politische Wende hin zu mehr Gerechtigkeit bringen würde. Er vergisst lediglich zu erwähnen, dass sie gegen jene erkämpft werden müssen, die von der Ungleichheit profitieren.

Hinweis:
* United Nations Development Programme: Human Development Report 2016: Human Development for Everyone, New York 2017. Bezug: über www.hdr.undep.org
Poested: 26.3.2017

Empfohlene Zitierweise:
Jörg Goldberg, Menschliche Entwicklung für Alle? Neuer Human Development Report, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 26. März 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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