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TNCs: Auf dem Weg zum Ende der Straflosigkeit?

Artikel-Nr.: DE20171110-Art.20-2017

TNCs: Auf dem Weg zum Ende der Straflosigkeit?

Zur Kontrolle transnationaler Unternehmen

Es gibt bis heute keine umfassende Einklagbarkeit von Menschenrechten gegenüber transnationalen Unternehmen. 2014 setzte nun der Menschenrechtsrat in Genf, mit einer knappen Mehrheit von 20 Stimmen und gegen Staaten wie die USA, die EU-Mitglieder und Japan, eine Arbeitsgruppe ein mit dem Mandat, ein „internationales Instrument zur Regulierung der Aktivitäten Transnationaler Konzerne und anderer Wirtschaftsunternehmen nach den internationalen Menschenrechtsbestimmungen auszuarbeiten“. Jean Feyder skizziert den aktuellen Stand des Prozesses.

Die Bestrebungen der UNO, die Aktivitäten der Konzerne zu regulieren, sind nicht neu. Bereits Anfang der 1970er Jahre kam es zur Einrichtung des United Nations Center on Transnational Corporations (UNCTC), das die Machbarkeit eines globalen Abkommens über einen Verhaltenskodex für TNCs prüfen sollte. Diese Bestrebungen wurden Anfang der 1980er Jahre mit dem unter Ronald Reagan und Margaret Thatcher einsetzenden Prozess der Neoliberalisierung gestoppt. 1993 wurde das UNCTC aufgelöst.

● Elemente für ein rechtlich bindendes Instrument

2003 wurden der damaligen UN-Kommission für Menschenrechte von einer Arbeitsgruppe ausgearbeitete UN-Normen für TNCs vorgelegt, die auf den Respekt, die Erfüllung und Förderung der Menschenrechte verpflichtet werden sollten. Wenn auch von einer breiten Allianz von NGOs begrüsst, war dieser zweite Versuch angesichts eines politischen Abwehrsturms seitens globaler Unternehmerverbände und Regierungen hauptsächlich westlicher Staaten wenig effektiv.

Zwischen dem 23. und 28. Oktober 2017 kam die jetzt eingesetzte Arbeitsgruppe (offizielle Bezeichnung: „open-ended intergovernmental working group on transnational corporations and other business enterprises with respect to human rights“) unter dem Vorsitz Ekuadors zu ihrer dritten Sitzung in Genf zusammen. Auf der Tagesordnung stand ein von der Präsidentschaft vorgelegter Text mit „Elementen“ für ein rechtlich verbindliches internationales Instrument. Im Laufe dieser Woche wurden die verschiedenen Kapitel des Textes untersucht: allgemeiner Rahmen, Anwendungsbereich, allgemeine Verpflichtungen, Präventionsmaßnahmen, rechtliche Verantwortung, Gerichtszugang, effizienter Klageprozess und Garantien zur Nichtwiederholung, Zuständigkeitsbereich, Durchführungsmechanismus, Beförderung und Überwachung, allgemeine Bestimmungen.

So wird vorgesehen, dass Konzerne sich nicht länger ihrer menschenrechtlichen Verantwortung entziehen können und sich für Verstöße verantworten müssen, auch dann, wenn sie im Ausland tätig sind oder es sich um Tochterunternehmen oder abhängige Zulieferfirmen handelt. Der Text schlägt auch Maßnahmen vor, die eine internationale Zusammenarbeit der Staaten während der Ermittlung, der Strafverfolgung und der Durchführung der Urteile im Falle von Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen gewährleisten sollen.

● Primat der Menschenrechte gegenüber Handels- und Investitionsabkommen

Der Textvorschlag sieht auch das Primat der Menschenrechte gegenüber Handels- und Investitionsabkommen vor und verpflichtet die Staaten, eine Impaktstudie über Menschenrechte vor dem Abschluss neuer Handels- und Investitionsabkommen vorzunehmen. Des Weiteren sollen die Staaten dafür sorgen, dass internationale Institutionen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die Welthandelsorganisation, bei der Durchführung ihrer Aktivitäten die Menschenrechte und auch die Arbeitsrechte achten. Mehrere Staaten wie auch Vertreter des Internationalen Gewerkschaftsbunds (ITUC bzw. IGB) und der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) begrüßten diese Textvorschläge ausdrücklich.

Somit soll also ein bedeutendes Ungleichgewicht in der bestehenden internationalen Ordnung ausgeräumt werden. Denn solche Verpflichtungen gibt es im Moment für diese internationalen Institutionen nicht. Sie kommen auch nicht in den zahlreichen Handels- und Investitionsabkommen vor. Im Gegenteil, hier werden den transnationalen Unternehmen neue Rechte zuerkannt, besonders über die Streitschlichtungsmechanismen, die diesen Unternehmen die Möglichkeit bieten, Staaten zu verklagen, wenn sie der Ansicht sind, Gewinne seien ihnen wegen neuen Gesetzgebungen entgangen. Staaten werden solche Klagemöglichkeiten nicht eingeräumt. Auch Privatpersonen, die von denselben Unternehmen in ihren grundlegenden Rechten verletzt wurden, bleiben schutzlos. Profitinteressen wird ein klarer Vorrang gegenüber Menschenrechten eingeräumt.

Zum Abschluss der Arbeiten fand auch eine Anhörung zur Situation der Opfer statt. Zu mehreren Punkten kamen Professoren, Rechtsexperten, Juristen und Sonderberichterstatter zu Wort. Der Hohe Kommissar für Menschenrechte wie auch Vertreter anderer UN-Organisationen wie der UNCTAD, der ILO sowie auch des South Centres unterstützten den Neuanlauf zur menschenrechtlichen Regulierung der TNCs.

● Industrieländer wenig konstruktiv

101 Staaten nahmen an dem Treffen teil. Auffallend war die völlige Abwesenheit der USA und Kanadas. Während die Entwicklungsstaaten insgesamt für das Vorgehen eintraten und sich positiv zu den Textvorschlägen äußerten, waren westliche Staaten zurückhaltend und kritisch. Die Europäische Union spielte eine wenig konstruktive Rolle. Sie verwies schon am ersten Tag, vor der Annahme des Programms, auf das Fehlen jeden Hinweises im Text der Präsidentschaft auf die Einbeziehung auch nationaler Unternehmen, die ebenfalls Verantwortung für die Verletzung von Menschenrechten zu übernehmen hätten. Viele sahen darin ein reines Obstruktionsmanöver. Die Spanierin Lola Sanchez unterstützte die Arbeiten der Gruppe im Namen des Europarlamentes. 25 EU-Parlamentarier hatten schon im Vorfeld dieser Sitzung die EU aufgefordert, sich konstruktiv an den Arbeiten zu beteiligen.

Die EU und andere westliche Staaten kritisierten das Vorgehen mit dem Argument, ein verbindliches Instrument sei eigentlich nicht notwendig. Die bestehenden, 2011 vom UN-Sonderbeauftragten John Ruggie vorgelegten und vom Menschenrechtsrat angenommenen Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte würden genügen. Notfalls müssten sie noch gewissenhafter angewandt werden. Viele Redner stellten jedoch klar, diese Empfehlungen seien zwar sehr nützlich, doch seien sie nicht rechtsverbindlich, und ihre Auswirkungen wären recht bescheiden.

Diese Leitprinzipien hinderten die französische Nationalversammlung im März dieses Jahres jedenfalls nicht daran, ein Gesetz über die „Sorgfaltspflicht der Unternehmen“ anzunehmen, das diese dazu verpflichtet, eine Impaktstudie für jedes neue Projekt vorzulegen, die die Auswirkungen auf die Umwelt sowie auf die betroffenen Bevölkerungen zu untersuchen hat. Dominique Potier, französischer Abgeordneter, erklärte das von ihm eingebrachte Gesetz vor der Arbeitsgruppe. Die ekuadorianische Präsidentschaft und mehrere andere Staaten griffen diese Initiative auf und lobten ihren beispielhaften Charakter.

● Starke zivilgesellschaftliche Mobilisierung

Die Treffen der Menschenrechtsgruppe werden von einer recht starken, beeindruckenden Mobilisierung der organisierten Zivilgesellschaft begleitet. Über 200 Delegierte aus mehr als 80 Ländern vertraten die Zivilgesellschaft. 700 NGOs haben in diesem Prozess ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht. Viele von ihnen traten gemeinsam mit einem Wortführer auf. So nahm CIDSE im Nahmen katholischer NGOs Stellung zu den verschiedenen Punkten. Dies taten auch Organisationen wie FIAN International, das Centre Europe - Tiers Monde (CETIM), Friends of the Earth, das südsafrikanische Legal Resources Centre, La Via Campesina, Franciscans International und die Internationale Juristenkommission (ICJ).

Unter Anführung der NGO-Koalitionen „Treaty Alliance“ und „Global Campaign“ fanden auch zahlreiche informelle Sitzungen dieser NGOs vor und während dieser Woche statt. Bei einer dieser Sitzungen stellten CETIM und das Transnational Institute für die „Global Campaign“ einen fertigen „Treaty on Transnational Corporations and their Supply Chain with regard to Human Right“ vor. Er wurde der Präsidentschaft Ekuadors bereits zugestellt.

In Deutschland wird das Vorgehen von einer »Treaty Alliance Deutschland« unterstützt, einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, zu denen u.a. kirchliche, Umweltschutz- und entwicklungspolitische Organisationen gehören (www.cora-netz.de). Sie hat die Vertragsvorschläge als gute Verhandlungsgrundlage begrüßt.

Am Rande der Arbeitsgruppe fand auch ein internationales Parlamentariertreffen statt. 268 Parlamentarier aus der ganzen Welt – darunter 48 aus 5 Gruppen des Europaparlaments – haben dem Prozess ihre Unterstützung zugesagt.

Abgelehnt wurde die Idee eines rechtlich bindenden Instrumentes von der Internationalen Handelskammer und der Internationalen Organisation der Arbeitgeber. IGB/ITUC-Vertreter kritisierten diese Haltung. - Die vierte Sitzung der Arbeitsgruppe soll 2018 auf der Basis eines vom Vorsitz vorgelegten Vertragsentwurfes stattfinden.

Jean Feyder war Botschafter Luxemburgs, zuletzt bei den in Genf ansässigen internationalen Organisationen. Er vertrat die Association Solidarité Tièrs Monde (ASTM), Luxemburg, bei dem Treffen der Menschenrechtsgruppe in Genf.

Posted: 10.11.2017

Empfohlene Zitierweise:
Jean Feyder, TNCs: Auf dem Weg zum Ende der Straflosigkeit? Zur Kontrolle transnationaler Unternehmen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 10. November 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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