Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Vom Acker bis zum Teller

Artikel-Nr.: DE20170127-Art.02-2017

Vom Acker bis zum Teller

Konzentration, Finanzialisierung und Big Data

Rechtzeitig zur alljährlichen Grünen Woche im Januar hat ein Konsortium aus BUND, Germanwatch, Oxfam, Heinrich-Böll- und Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie Le Monde Diplomatique einen Konzernatlas (s. Hinweis) vorgelegt. Er zeigt: Übernahmen wie von Monsanto durch Bayer oder die Aufteilung der Märkte von Kaiser’s/Tengelmann zwischen Rewe und Edeka sind nur die Spitze des Eisberges. Auf allen Stufen der Lieferkette finden Konzentrationsprozesse von enormer Dynamik statt, wie Ko-Autor Benjamin Luig analysiert.

Der Soziologe Philip McMichael beschreibt die Globalisierung des Agrar- und Ernährungssystems in drei Schüben. Nachdem jahrhundertelang der Transport von größeren Mengen an Agrarprodukten im Wesentlichen auf Handelswege über Wasser (Flüsse und Ozeane) begrenzt blieb (insbesondere Zuckerexporte aus der Karibik und Brasilien nach Europa), habe erst die Verbreitung der Eisenbahn das erste „Global Food Regime“ zwischen 1870 und 1914 eingeläutet: Sie erschloss die großen Prärien in Argentinien, Australien und Nordamerika, und wandelte sie zu Produktions- und Exportregionen von Getreide und Fleisch, die das industrialisierende und urbanisierende Westeuropa ernährten. Vor allem Chicago war damit Pionier von Fleischfabriken und Terminbörsen und verkörperte den „temperate grain-livestock complex“, der seitdem den internationalen Agrarhandel geprägt hat.

● Drei Globalisierungsschübe im Ernährungssystem

Nach einer Phase der Weltkriege und des Zusammenbruchs der kapitalistischen Weltwirtschaft sei das zweite internationale „Food Regime“ Mitte der 1940er bis Mitte der 1970er Jahre von Technologieschüben in der Agrochemie, einer Mechanisierung (Verbreitung des Traktors) und der wissenschaftlichen Pflanzen- und Tierzucht geprägt worden. Diese technischen Neuerungen führten insbesondere in den USA und Westeuropa zu rasant steigenden Erträgen.

Während das erste Food Regime geopolitisch von der Dominanz der britischen Empire-Logik geprägt war (die Siedlerkolonien füttern das industrialisierte Westeuropa), wurde das zweite Food Regime von der US-Logik dominiert, die „nationale Landwirtschaft zu schützen“. Die Folge: Subventionierte Überproduktion aus den USA und Europa prägen das globale Agrarsystem. Entwicklungsmodelle im globalen Süden setzten auf billige Nahrungsmittelimporte und Entwicklung der eigenen Großindustrie, ignorierten jedoch die „rückständige“ Landwirtschaft.

Seit den späten 1980er Jahren konstatiert McMichael nun eine dritte Phase der Globalisierung, das „Corporate Food Regime“. Die Landwirtschaft weltweit lasse sich nun nicht mehr anders verstehen als ein „transnational space of corporate agriculture and food relations integrated by commodity circuits”. Nicht einzelstaatliche Politik, sondern kapitaldominierte Governance von Lieferketten sei der entscheidende Faktor.

● Marktkonzentration

Werfen wir im Jahr 2017 einen Blick auf das globale Agrarsystem, so spricht einiges für McMichaels Beschreibung. Augenfällig ist zunächst die schiere Marktkonzentration auf allen Ebenen. Dies gilt insbesondere für den vorgelagerten Bereich, wo im Weltmaßstab jeweils eine Handvoll Konzerne die Märkte kontrolliert. Drei Akteure (Deere, CNH, AGCO) liefern mehr als 50% der Agrartechnik weltweit. Der globale Düngermarkt wird (von China abgesehen) durch vier große Konzerne (Yara, Agrium, Potash und Mosaic) kontrolliert. Nach der anstehenden Fusionswelle im Saatgut-Pestizidbereich könnten mit Bayer-Monsanto, DuPont-Dow und ChemChina-Syngenta drei Konzerne rund 60% jeweils des kommerziellen Saatgut- und des Pestizidmarkts beherrschen.

Komplexer ist das Bild im nachgelagerten Bereich der Landwirtschaft. Fünf große Rohstoffhändler teilen sich etwa 70% des internationalen Getreidehandels auf. Unter Nahrungsmittelherstellern sind Übernahmen der letzten Jahrzehnte vor allem Ausdruck von Restrukturierung. Abspaltungen und Neuzusammensetzungen von Konzernteilen gehören zusammen. Konzerne wie Nestlé und Unilever versuchen sich auf bekannte Trendmarken zu konzentrieren. Eine ungeheure Expansion, mit enormer Marktkonzentration auf einzelnen nationalen Märkten kennzeichnet den Lebensmitteleinzelhandel. Die Konzentration beschränkt sich nicht auf die einzelnen Stufen des Agrar- und Ernährungssystems. Kennzeichnend sind die starke Integration und Regulation von Lieferketten.

● Regulierung im Interesse der Konzerne

Das Corporate Food Regime seit den 1980er Jahren basiert auf drei Megatrends. Der erste liegt in der „neuen Disziplinierung der globalen Nahrungsmittelwirtschaft“ (Tony Weis). Insbesondere mit Gründung der WTO und zugehöriger Abkommen, aber auch durch inzwischen 420 bilaterale Handelsabkommen sowie 2900 bilaterale Investitionsschutzabkommen und der unilateralen Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen haben Staaten den regulativen Rahmen geschaffen, der Fusionen horizontal (also Aufkauf direkter Konkurrenten) und vertikal (Zulieferer und Abnehmer) lohnend macht. Monopole und Oligopole auf nationaler Ebene werden von vielen Regierungen billigend in Kauf genommen, in der Hoffnung, auf „dem globalen Markt“ mitspielen zu können.

● Big Data

Die Koordination von Lieferketten vom Acker bis zur Theke wird wesentlich durch Innovationen in der Logistik ermöglicht: Der erste Barcode-Scanner wurde in Lebensmittelmärkten in den USA in den 1970er Jahren eingeführt und fand sich dort im Jahr 1990 in jedem größeren Lebensmittelhandel. Dies ermöglichte eine drastische Ausweitung der eigenen Produktpalette. Computergestützte Inventur und elektronischer Datenaustausch waren die Grundlage dafür, dass große Supermarktkonzerne die Rolle eines „Türstehers“ zwischen Produzenten und Konsumenten übernahmen. Aktuell verändert die Digitalisierung den Lebensmitteleinzelhandel.

Noch drastischere Auswirkungen aber hat sie im vorgelagerten Bereich: „Genome Editing“ ermöglicht es Konzernen, ganze DNA-Codes von Kulturpflanzen und Tieren im Labor digital umzuschreiben. Damit kann Kulturpflanzen beispielsweise Dürreresistenz eingebaut werden. Bereits 2010 gab es 262 Patentfamilien mit mehr als 1600 Patentschriften, um Klimagene als geistiges Eigentum festzuschreiben. Zwei Drittel davon gehörten Monsanto, DuPont und BASF.

Big Data revolutioniert ebenso die Agrartechnik: Digitale Farmmanagement-Systeme ermöglichen es, noch während der Bearbeitung Daten über Bodenqualität, optimale Aussaat etc. hochzuladen. Damit eröffnet sich ein völlig neuer Markt und eine Zusammenarbeit in der digitalen Datenübertragung zwischen Agrochemie und Agrartechnikkonzernen.

● Finanzialisierung

Der dritte große Trend besteht in der zunehmend dominierenden Rolle des Finanzkapitals im Ernährungssystem. Am Chicago Board of Trade stieg der Anteil der reinen Spekulation am Terminhandel mit Getreide von 12% Mitte der 1990er Jahre auf schätzungsweise 70% heute. Die großen Rohstoffhändler wie Cargill nutzen ihr Wissen über erwartete Ernten, Wetterdaten und Währungsschwankungen nicht nur für das eigene „Risk Hedging“, sondern sind längst zu bedeutenden Anbietern von Finanzdienstleistungen geworden. Große Fondsgesellschaften wie die DWS der Deutschen Bank managen eine Reihe von Agrarfonds. Insbesondere seit der Finanzkrise 2008 investieren Fonds auch zunehmend in Land.

Doch auch die Ernährungswirtschaft selbst ist in erheblichem Maße finanzialisiert, und ihre Konzentration wird von Finanzfonds vorangetrieben. Drei Megafusionen im Jahr 2015 umfassten insgesamt ein Volumen von sagenhaften 347 Mrd. US Dollar. Zwei dieser drei Megafusionen, die Übernahme im Brauereisektor von SAB Miller durch AB Inbev und der Zusammenschluss von Heinz und Kraft, wurden von der Investmentgesellschaft 3G-Capital vorangetrieben, unter der Maßgabe drastischer Rationalisierungsziele. Die Inbev-SABMiller-Fusion kostete 5500 Arbeitsplätze, mit der Kraft-Heinz-Fusion wurde jeder fünfte der 41 Standorte in den USA und Kanada geschlossen.

Konzentration, Big Data, Finanzialisierung – diese großen Trends sollten nicht zuletzt in entwicklungspolitischen Kreisen viel stärker diskutiert werden. Wenig deutet darauf hin, dass sie sich auf die schwächsten Akteure im Ernährungssystem, ArbeiterInnen und BäuerInnen, positiv auswirken. Im Gegenteil, seit den 1980er Jahren ist insbesondere in der Agrarproduktion und der nahrungsmittelverarbeitenden Industrie eine verstärkte Prekarisierung festzustellen, und die Kluft zwischen einer sehr kleinen Zahl kapitalstarker bäuerlicher Betriebe in diesen Lieferketten und der Mehrheit von Produzenten, für die solche Sprünge finanziell und logistisch nicht machbar sind, wächst rasant.

Benjamin Luig arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Ernährungssouveränität.

Hinweis:
* Konzernatlas. Daten und Fakten über die Agrar- und Lebensmittelindustrie, 52 S., Berlin 2017. Bezug: über die Websites der beteiligten Organisationen, z.B. www.rosalux.de/konzernatlas

Empfohlene Zitierweise:
Benjamin Luig, Globales System vom Acker bis zum Teller. Konzentration, Finanzialisierung, Big Data, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 27. Januar 2017 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.