Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Bioökonomie im Globalen Süden

Artikel-Nr.: DE20181015-Art.18-2018

Bioökonomie im Globalen Süden

Das Beispiel Malaysia

Vorab im Web - Das Konzept Bioökonomie hat in Expertenkreisen der EU, der USA oder Malaysias gegenwärtig Hochkonjunktur. In der Öffentlichkeit ist der Ansatz bisher weitgehend unbekannt. Dabei gilt Bioökonomie als eine Strategie zur Bewältigung gesellschaftlicher Krisen wie dem Klimawandel oder der anhaltenden internationalen Wirtschaftskrise. Die Länder des Globalen Südens betonen zudem das entwicklungspolitische Potenzial der Bioökonomie – zu Recht, fragt Janina Puder.

Hinter dem Begriff Bioökonomie verbergen sich im Allgemeinen ökonomische Strategien und politische Initiativen, die ein gemeinsames Anliegen teilen: die umfassende Kapitalisierung von biotechnologischem Wissen und biologischer Materie. Die Idee einer bio-basierten Wirtschaftsweise steht dabei – zumindest auf dem Papier – im Zeichen des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung.

● Ein (neues) grünes Paradigma

Für Schwellen- und Entwicklungsländer soll die von der OECD schon 2009 angestoßene und dominierte Debatte um Bioökonomie neue ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungsperspektiven aufzeigen. Zunächst könne so eine Form der Industrialisierung und wirtschaftlichen Diversifikation vorangetrieben werden, die nicht im Widerspruch, sondern komplementär zur meist zentralen Rolle des Agrarsektors in diesen Staaten steht. Darüber hinaus stelle sich Bioökonomie im Globalen Süden als eine Lösung zur Bearbeitung drängender gesellschaftlicher Probleme dar. So wird damit u.a. Hoffnung auf nachhaltiges Ressourcenmanagement, Energiesouveränität, Ernährungssicherheit, nachhaltiges Wirtschaftswachstum und einen höheren Lebensstandard gemacht.

Die Abkehr von fossilen Energieträgern hin zu einer Wirtschaftsform, die auf nachwachsenden Ressourcen basiert, gilt zudem als zentraler Schritt zur Begrenzung der globalen Klimaerwärmung. Ökosysteme und Umweltschutz sollen im Zuge dessen auch für private Akteure zu attraktiven Anlagemöglichkeiten und damit zu einem Motor für „grüne“ Innovation werden. Doch insbesondere in Ländern wie Argentinien oder Malaysia zeigt sich noch deutlicher, dass Bioökonomie in entsprechenden Policy-Papieren v.a. als Strategie verstanden wird, das Wachstum, die industrielle Entwicklung und die internationale Wettbewerbsfähigkeit voranzutreiben. Ökologische Nachhaltigkeit gerät hierbei in den Hintergrund.

● Bioökonomie in Malaysia

Das 2012 in Malaysia verabschiedete Bioeconomy Transformation Programme (BTP) kann hierfür exemplarisch herangezogen werden. Die „grüne“ Wirtschaftsweise soll entwicklungspolitischen Langzeitzielen wie der Armutsbekämpfung, der effizienteren Produktion und Verwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie dem industriellen „upgrading“ näherkommen. Zudem soll Bioökonomie dazu beitragen, Malaysia bis 2020 in ein high-income country zu verwandeln. Die Entwicklung des BTPs wurde dabei einer Gruppe von Technokraten übertragen, die in Tandem mit privaten Akteuren arbeiteten.

Die Programmatik des malaysischen Bioökonomie-Ansatzes offenbart die produktivistische Ausrichtung und die Fokussierung auf die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit von Schlüsselsektoren (z.B. der Agrarindustrie) statt des ökologisch nachhaltigen Umbaus derselben. Im Gespräch mit malaysischen Experten im Bereich Bioökonomie wurde wiederholt die Bedeutung der Entwicklung eigener Biotechnologien und die Verbesserung agrarindustrieller Produktions- und Verarbeitungsprozesse betont. Private Akteure investieren jedoch bisher kaum in die grüne Innovationsentwicklung. Der Fokus transnational agierender Agrarunternehmen liegt stärker auf der Erschließung von Ländereien zur agrarindustriellen Nutzung oder als Immobilienanlage.

● Mit Palmöl grün wachsen?

Für die malaysische Volkswirtschaft spielt die Palmölindustrie bereits heute eine wichtige Rolle. Der Agrarsektor machte 2016 einen Anteil von 8,1% am BIP Malaysias aus, wovon 43,1 % auf den Palmölsektor fielen. Als zweitgrößter Palmölproduzent weltweit will Malaysia das energetisch hochwertige Pflanzenöl u.a. zur Weiterberarbeitung zu Biokraftstoff und Lebensmitteln unter dem Schirm seines Bioökonomie-Programms noch effizienter und profitabler verarbeiten.

So sollen z.B. Reststoffe aus der Palmölproduktion über Recyclingverfahren künftig besser in den Produktionsprozess reintegriert werden – alles im Namen der Nachhaltigkeit und des grünen Wachstums. Jedoch dominiert in Malaysia ebenso wie im benachbarten Indonesien weiterhin der Anbau von Palmöl in Monokulturen. Diese sind langfristig weder ökologisch noch sozial nachhaltig. Die Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft, die z.B. auf Mischkulturen zugunsten des Umweltschutzes und einer erhöhten sozio-ökonomischen Resilienz der Produzenten setzt, sieht das BTP hingegen nicht vor.

● Globale und soziale Herausforderungen

Zwar finden ökologische und soziale Ziele wie die Verbesserung der CO2-Bilanz, der Schutz komplexer Ökosysteme sowie die Schaffung neuer Arbeitsplätze in dem Rahmenwerk des BTPs Erwähnung; in der Ausgestaltung der malaysischen Bioökonomie bleiben sie jedoch marginalisiert oder gänzlich unberücksichtigt. Das Motto lautet: „Agriculture today is not only about farming – it’s a business.” Entsprechende Anforderungen werden an große ebenso wie an kleine Agrarbetriebe gestellt: modern, industriell organisiert und am Weltmarkt orientiert.

Die prekäre Lage der Arbeits- und Lebensumstände der WanderarbeiterInnen, die den Großteil der physisch schweren Arbeit auf den Plantagen verrichten, wird sich durch das Bioökonomie-Programm aller Voraussicht nach nicht verbessern. Zwar preist es die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen an, jedoch bleibt unklar, wo genau die zwischen 2012-2016 geschaffenen 25.397 Arbeitsplätze zu finden sind. Zum Vergleich: 2006 waren etwa 500.000 registrierte und schätzungsweise ebenso viele illegal immigrierte ArbeiterInnen auf malaysischen Plantagen in sog. dirty, dangerous und degrading Jobs beschäftigt – Tendenz steigend. Diese WanderarbeiterInnen, die u.a. aus Indonesien, Indien oder von den Philippinen stammen und mit ihren Familien z.T. bereits in der zweiten oder dritten Generation auf malaysischen Palmölplantagen arbeiten, haben von der Bioökonomie-Initiative Malaysias entsprechend wenig zu erwarten. Dabei bleibt die billige Arbeitskraft dieser ArbeiterInnen auch in Zukunft eine wichtige Voraussetzung für die globale Wettbewerbsfähigkeit malaysischen Palmöls.

● Ökologische Modernisierung

Die aktuelle Debatte um Bioökonomie zeigt, dass sowohl im Globalen Norden als auch im Globalen Süden soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele in der politischen Praxis zu Nebenschauplätzen degradiert werden – und das auch aufgrund der Marginalisierung zivilgesellschaftlicher Akteure im Prozess der politischen Ausgestaltung der jeweiligen Strategien. Steht in den alten Industrieländern Marktbeherrschung mittels komplexer Technologieentwicklung und Wissensgenerierung im biotechnologischen Bereich im Zentrum, geht es im Globalen Süden stärker um die Verbesserung der eigenen Position in der globalen Wertschöpfungskette. Neue Märkte schaffen und dominieren unter den Vorzeichen verbesserter Produktionsabläufe und der Entwicklung innovativer biobasierter Produkte lautet das Ziel des malaysischen BTPs. Eine öffentliche Diskussion über mögliche soziale und ökologische Negativkonsequenzen sucht man hier vergeblich.

Im Angesicht der multiplen Krise der kapitalistischen Gesellschaften betreten politische Entscheidungsträger mit dem Konzept der Bioökonomie somit kein neues Terrain, sondern wandeln vielmehr auf bekannten Pfaden. Ökologische Modernisierung wird im malaysischen Bioökonomie-Programm als ein Weg hin zur industriellen Modernisierung der eigenen Volkswirtschaft verstanden. Ein Umbau der Wirtschaft unter umweltfreundlichen und sozialen Nachhaltigkeitsaspekten ist dadurch nicht in Sicht. Bioökonomie erscheint dabei als „grünes“ Feigenblatt eines industriellen Entwicklungspfades, der Wachstum über Umweltschutz stellt. Das expansive, ausbeuterische Verhältnis der kapitalistischen Produktionsweise zur Natur bleibt damit auch in Zukunft weiter bestehen.

Janina Puder, MA, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der BMBF-Nachwuchsgruppe „Bioökonomie und soziale Ungleichheiten“ am Institut für Soziologie der Universität Jena.

Posted: 15.10.2018

Empfohlene Zitierweise:
Janina Puder: Bioökonomie im Globalen Süden. Das Beispiel Malaysia, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Oktober 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.