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COP 24: Klimapolitische Parallelwelten

Artikel-Nr.: DE20181203-Art.20-2018

COP 24: Klimapolitische Parallelwelten

Der Verkehr und die UN-Klimakonferenz in Katowice

Der Konsens ist fast schon erschreckend. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 beim sechsten Petersberger Klimadialog und wenig später die G7 in Elmau eine „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft“ forderten, war die Verwunderung noch groß. Rechtzeitig zur UN-Klimakonferenz in Katowice/Polen fordert nun der Weltklimarat in einem Sonderbericht (s. W&E 10/2018) die weit reichende Transformation der Wirtschaft. Achim Brunnengräber zeigt allerdings, dass wir entgegen aller Verheißungen von der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft noch weit entfernt sind.

Die EU-Kommission will bis 2050 die Sektoren Energie, Verkehr und Industrie so umbauen, dass sie das Weltklima nicht mehr belasten und die Überhitzung des Planeten gebremst werden kann. Das Ziel, das in 30 Jahren erreicht werden soll, ist löblich und richtig. Es sollte aber nicht den Blick auf die vergangenen 30 Jahre verdecken, in denen seit der Toronto-Konferenz von 1988 internationale Klimaverhandlungen stattgefunden haben. Was ist seither im Verkehrsbereich geschehen?

● Verkehr torpediert Klimaziele

Die Emissionen sind kontinuierlich angestiegen. Der weltweite Bestand an PKW ist alleine von 2005 bis 2018 von ca. 900.000 auf 1,5 Mrd. Autos gewachsen. In jüngster Zeit boomt bei den Verbrennungsmotoren vor allem der Markt mit den sog. Sport Utility Vehicles (SUV). Beim Genfer Autosalon 2018 zeigte sich deutlich, dass die „Neuheiten“ noch der alten PS-Welt verhaftet sind. Insgesamt soll sich der weltweite Bestand an Autos bis 2035 nach Schätzungen der International Energy Agency (IEA) in etwa verdoppeln.

Auch in Deutschland ist die Verkehrswende nicht zu erkennen. Die Umweltbelastung durch das klimaschädliche Kohlendioxid ist in 2017 um 6,4% gegenüber 2010 angestiegen. Die Treibhausgase werden u.a. von über 45 Mio. PKW verursacht, die in Deutschland zugelassen sind. Aber nicht nur der PKW-Bestand wächst kontinuierlich, auch die durchschnittliche Fahrleistung, das Gewicht und die Stärke der Motoren. Hier kommt der Rebound-Effekt zum Tragen: Ein geringerer Verbrauch durch effizientere Motoren wird durch schwere Wagen und elektronische Assistenzsysteme wieder aufgefressen.

Auch der Dieselskandal wirkt sich nachhaltig auf die deutsche Klimabilanz aus. In seiner Folge steigt der Verkauf von Benzinern, die eine schlechtere Klimabilanz aufweisen. Die durchschnittlichen Kohlendioxid-Emissionen bei Neuwagen sind daher in 2017 wieder angestiegen: auf 118,5 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Das ist noch weit entfernt von den 95 Gramm, die die Hersteller im Durchschnitt ihres Fahrzeugangebots nach EU-Vorgabe erreichen müssen. Der Verkehr torpediert also den Klimaschutz. Die Lösung wird in der Elektrifizierung des Verkehrs gesehen.

● Wettbewerbsfähigkeit an erster Stelle

Der Markt bei der Verstromung des Verkehrs wächst rasant, auch wenn sie noch ein Nischendasein führt. Der weltweite Bestand an PKW ist in den letzten fünf Jahren von 200.000 auf 3,2 Mio. in 2018 angestiegen. Davon sind in China 1,2 Mio. unterwegs, in den USA sind es 750.000 und in Deutschland knapp 93.000 Fahrzeuge. Das Autoland Deutschland liegt damit auf Platz 8 der E-Mobilitäts-Statistik.

Wie sich der Absatz von Autos mit Verbrennungs-, Hybrid-, Wasserstoff- oder Elektromotor in Zukunft entwickeln wird, ist schwer zu sagen. Er hängt von vielen Faktoren, wie industriepolitischen Entscheidungen, politischen Regulierungen, der Verfügbarkeit von Rohstoffen, kulturellen Veränderungen in der Automobilität und auch – und vielleicht vor allem – von der wachsenden Konkurrenz in der Automobilbranche ab. Nach einer Prognose der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) wird im Jahr 2030 jedes dritte in Europa zugelassene Auto elektrisch angetrieben sein und nach dem Electric Vehicle Outlook (EVO) 55% im Jahr 2040.

Viele staatliche Maßnahmen wie Forschungsprogramme, die Einrichtung von Modellregionen oder Kaufprämien für E-Mobile unterstützen diesen Entwicklungspfad. Auch die Europäische Kommission hat sich der Elektrifizierung verschrieben. Allerdings will sie auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Autobauer schützen und mit ihrem clean mobility-Paket („Saubere Energie für alle Europäer“) die fossilen Verbrennungsmotoren klimafreundlicher machen.

Ebenso wie die EU-Kommission hält sich auch die deutsche Bundesregierung alle Technologieoptionen offen, um „ihre“ Automobilindustrie im globalen Konkurrenzkampf zu unterstützen. In Deutschland sind nach Angaben des Branchenverbandes VDA über 800.000 Frauen und Männer in der Autoindustrie tätig (Bormann et al. 2018, S. 9). Der politische Einsatz auf nationaler Ebene gegen das Dieselfahrverbot oder auf europäischer Ebene gegen zu hohe Grenzwerte hat also auch arbeitsmarktpolitische Gründe. Der Einsatz wird von der Automobilbranche begrüßt. Bei der Jahreshauptversammlung 2018 hat Daimler-Chef Dieter Zetsche den Diesel als Zukunftstechnologie bezeichnet. „Der Hightech-Diesel ist im Antriebsmix der Zukunft nicht das Problem, sondern ein wichtiger Teil der Lösung“. Er sagte weiter, „mehr Elektroautos sind gut für die CO2-Bilanz. Aber nicht so gut für unsere Konzernbilanz – jedenfalls vorübergehend“.

Die deutlichsten Impulse für eine Elektrifizierung des Verkehrs werden von einem internationalen Umfeld kommen, auf dem sich bereits zahlreiche Autobauer bzw. Start Up-Unternehmen wie BYD Auto Company Limited, Tesla, die Geely-Group, Rimac-Automobili, Alcraft Motor, Lucid Motors, Elextra EV oder e.GO tummeln. Sie sehen die E-Mobilität als Chance für den Markteintritt. Aber auch große Multis wie Apple und Google arbeiten an selbstfahrenden Autos und der Verstromung der Mobilität. Bei der Produktion von Batteriezellen sind Unternehmen wie CATL, BYD, Wanxiang und Lishen aus China, LG Chem, Samsung und SK Innovations aus Südkorea oder Panasonic Sanyo aus Japan fast konkurrenzlos. Die deutschen Autokonzerne haben den Aufholprozess zwar längst gestartet, ihr Kernsegment wird aber noch lange Zeit der Verbrennungsmotor bleiben. Darüber hinaus wird sich mit dem Bau von E-Autos aber nicht nur die Wertschöpfungskette grundsätzlich verändern, es entstehen auch neue Probleme.

● Ressourcenfluch durch E-Autos

Schon der Rohstoffbedarf für die Herstellung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ist enorm, für E-Autos ist er noch höher. Eine Verkehrswende zu mehr E-Autos wird daher nicht nur für eine steigende Nachfrage nach diesen Rohstoffen sorgen und die Konkurrenz um den Zugang und die Verfügbarkeit zu diesen erhöhen; sie wird auch mit erheblichen Emissionen in den Förderländern einhergehen. Hinzu kommen noch weitere Probleme: dort, so zeigen zahlreiche Studien, ist die Rohstoffförderung mit Kinderarbeit, Menschenrechtsverletzungen, kriegerische Auseinandersetzungen und Umweltverschmutzungen verbunden.

Für den Abbau von Seltenen Erden etwa, die in den Permanentmagneten für E-Autos zum Einsatz kommen, müssen große Mengen an Energie und Chemikalien eingesetzt werden. Die Seltenerderze sind radioaktiv mit Uran und Thorium belastet, die nach dem Abbau entsorgt werden müssen. Während diese Umweltschäden in den Abbauregionen skandalisiert werden, preisen die Autokonzerne in Hochglanzbroschüren ein nachhaltiges Image des E-Autos an.

Mit der Förderung der E-Mobilität wird der Verkehr in den Zentren klimaverträglich, die sozial-ökologischen Folgen der dafür notwendigen Rohstoffextraktion aber werden externalisiert. Und wie wir wissen, sind die Menschen im Globalen Süden auch von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen. Strategien zur E-Mobilität, die solche Zusammenhänge nicht berücksichtigen, werden zum doppelten Beschleuniger einer „Externalisierungsgesellschaft“, in der die Einen auf Kosten der Anderen leben (Lessenich 2017). Ansätze für eine entsprechende Rohstoffpolitik, in die Nachhaltigkeitskonzepte sowie Sozial- und Umweltstandards integriert sind, liegen durchaus vor. Das Problem ist, dass es sich hierbei um soft law, um weiches Recht handelt, das keine harten Sanktionen kennt, oft missachtet wird und bei der Welthandelsorganisation WTO auch nicht einklagbar ist (Brunnengräber und Haas 2018).

● Klimaschutz schöngerechnet

Der Blick auf die deutsche und die europäische Verkehrspolitik verdeutlicht zweierlei: Erstens, neben der Verkündung des Dekarbonisierungsziels hat die deutsche wie die europäische Politik keine steuernde Kraft hin zu einer Verkehrs- und umfassenden Mobilitätswende entfaltet. Weiterhin wird am Individualverkehr mit all seinen negativen Konsequenzen für Mensch und Klima festgehalten, anstatt dass intermodale und an der Nachhaltigkeit orientierte Verkehrssysteme entwickelt werden. Zweitens, die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie mit all ihren Zulieferbetrieben wiegt auf nationaler und europäischer Ebene mehr als der Klimaschutz, über den regelmäßig von Kyoto über Paris bis Katowice verhandelt wird. Das clean mobility-Paket der EU ist, wie das jüngste EU-Strategiepapier zur Dekarbonisierung, eine unverbindliche politische Verlautbarung, die von der Realität – sprich steigenden klimaschädlichen Emissionen – schnell wieder eingeholt wird.

Wie aber soll das Ziel einer dekarbonisierten Wirtschaft nun trotzdem erreicht werden, wenn der motorisierte Antrieb unserer Mobilität nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird und auch die E-Mobilität mit erheblichen sozialökologischen Nachteilen vor allem im Globalen Süden verbunden ist?

● Scheinlösungen

Hier kommt die UN-Diplomatie ins Spiel, die ihre „Erfolge“ immer besser verkaufen kann. Auffallend und überaus bedeutsam sind in diesem Zusammenhang die beiden Kunstworte, die in die Klimapolitik spätestens seit dem Pariser Klimaabkommen Einzug gehalten haben: Wo früher – etwa in den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll von 1997 – noch von der Reduktion von Treibhausgasen die Rede war, wird heute von Klimaneutralität und Negativemissionen gesprochen. Im Kern geht es darum, dass die Emissionen, die nicht vermieden werden können, eingefangen oder an anderer Stelle durch Klimaschutzmaßnahmen kompensiert werden.

Solche politischen Ansätze haben es in sich: Geoengineering wie das weiträumige Versprühen von Aerosolen in der Atmosphäre, das Verbringen von Treibhausgasen in die Tiefsee, das Pflanzen von Bäumen auf monokulturellen Großplantagen oder das auch vom IPCC – neben dem Atomstrom – berücksichtigte Carbon Capture and Storage (CCS) werden zu zentralen Instrumenten der internationalen Klimaschutzbemühungen. Die Kernbotschaft und Gefahr dahinter: wenn der CO2-Ausstoss durch Aufforstungsprojekte kompensiert oder die Emissionen in der Tiefsee versenkt werden, können wir den Verbrennungsmotor noch etwas länger nutzen. Wenn das E-Auto mit Kohlestrom angetrieben wird, bleibt es dennoch sauber, sofern die dabei entstehenden Emissionen mittels CCS in die Erdkruste gepresst werden.

Im großtechnischen Umfang ist das alle noch Zukunftsmusik. In der Klimapolitik sind Klimaneutralität und Negativemissionen jedoch heute schon die Rettungsanker, die uns vor dem Klimawandel bewahren sollen. Mit einer intermodalen Mobilitätswende hat das wenig zu tun. Der Pfad der fossilen Energiewirtschaft wird politisch-technologisch dermaßen dekarbonisiert, dass wir es am Ende gar nicht merken.

Literatur:
* Bormann, René/Fink, Philipp/Holzapfel, Helmut (2018): Die Zukunft der deutschen Automobilindustrie. Transformation by Disaster oder by Design? Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik (WISO-Diskurs, 03/2018)
* Brunnengräber, Achim; Haas, Tobias (2018): Vom Regen in die Traufe: die sozial-ökologischen Schattenseiten der E-Mobilität. In: GAIA (27/3, 2018), S. 273–275
* Lessenich, Stephan (2017): Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. 4. Auflage. München: Hanser Berlin

Dr. Achim Brunnengräber ist Privatdozent an der FU Berlin. Der Kommentar entstand am Forschungszentrum für Umweltpolitik der FU Berlin im Rahmen des Projekts „Die politische Ökonomie der E-Mobilität“, das von der
Fritz Thyssen Stiftung gefördert wird.
Posted: 3.12.2018

Empfohlene Zitierweise:
Achim Brunnengräber: COP 24: Klimapolitische Parallelwelten. Der Verkehr und die UN-Klimakonferenz in Katowice, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 3. Dezember 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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