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Die Weltwirtschaft 2018: Stabile Instabilität

Artikel-Nr.: DE20180115-Art.01-2018

Die Weltwirtschaft 2018: Stabile Instabilität

Zwischen Nachfrageboom und Schuldenrekorden

Vorab im Web - Die Lage der Weltwirtschaft wird zum Jahresbeginn 2018 überwiegend in rosigen Farben gezeichnet: Steigendes Wirtschaftswachstum, sinkende Arbeitslosigkeit, niedrige Inflation und Börsenrekorde stimmen Unternehmen und viele Wirtschaftsbeobachter optimistisch. Fast fühlt man sich an die Jahre vor 2007 erinnert, als die große Mehrheit der Konjunkturbeobachter davon ausging, dass Wirtschaftskrisen nurmehr von historischem Interesse wären. Das könnte sich aber rasch ändern, meint Jörg Goldberg.

Ein Blick ins erste Kapitel des Flagship-Reports der Weltbank, der „Global Economic Prospects“ (GEP) vom Januar 2018 (s. Hinweis), scheint den positiven Eindruck zu bestätigen. Die Konjunkturindikatoren zeigen aufwärts, die Wachstumsbilanz von 2017 fällt überraschend positiv aus. Die Weltwirtschaft expandierte rascher als erwartet, und zwar auf einer breiten Grundlage: Erstmalig seit der Finanzmarktkrise von 2008 verzeichneten alle Weltregionen positive Wachstumsimpulse.


● Nachfragewachstum und Produktionspotential

Die Weltbank bezeichnet den „zyklischen Aufschwung“ von 2017 als „nachfragegetrieben“. Ein wichtiger Faktor war dabei die Stabilisierung der Rohstoffpreise und die Überwindung des Einbruchs 2014/16 an den Rohölmärkten. Am Jahresanfang 2018 überstiegen die Ölpreise (mit 70 US-Dollar/Barrel) wieder den langjährigen Durchschnitt. Die akuten Krisen der Rohstoffexporteure Brasilien und Russland konnten überwunden werden. Der globale Wachstumsschub ist überwiegend den rohstoffexportierenden Schwellen- und Entwicklungsländern zu verdanken, die für eine erneute Belebung des Welthandels gesorgt haben.

Trotz dieser positiven Entwicklung bleibt die Weltbank aber skeptisch und betitelt den GEP-Report mit „Breiter Aufschwung – aber wie lange?“ Die Weltwirtschaft nähert sich, so der Bericht, einem kritischen Punkt: Während die Nachfrage expandiert, schwächt sich das Wachstum des globalen Produktionspotentials tendenziell weiter ab. Dafür werden drei mittel- bzw. langfristige Trends verantwortlich gemacht:

* Am wichtigsten ist die globale Investitionsschwäche, die in den „fortgeschrittenen Ländern“ angefangen hat und dort besonders ausgeprägt ist. Die Investitionsquoten sind überall massiv zurückgegangen, während die Gewinnquoten gestiegen, die Lohnquoten gesunken sind und die Unternehmen sich Jahr für Jahr über sinkende Steuern freuen.

* Ein weiterer negativer Einflussfaktor ist die nachlassende Produktivitätszunahme.

* Schließlich wird auch auf den demographischen Wandel verwiesen, die Alterung vieler Gesellschaften.

Vor allem die beiden ersten Faktoren überraschen, war doch die Abkehr von der keynesianischen Politik der Nachfragesteuerung und des Wohlfahrtsstaats in den 1980er Jahren mit der Notwendigkeit begründet worden, die Angebotsseite, also Investitionen und Produktivität, zu stimulieren. Daher wurde die neoliberale Wende vielfach auch als Angebotspolitik bezeichnet. Und nun müssen wir von einer „gedämpften Zunahme von Produktivität und Wachstumspotentialen“ (GEP, xv) als Herausforderung lesen?

Die heutigen wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Weltbank klingen vernünftig: Mehr Infrastrukturinvestitionen, Förderung von Bildung und Gesundheit, Stärkung der Erwerbsbeteiligung. Leider vergisst sie zu erwähnen, dass die von ihr in der Vergangenheit angepriesenen Maßnahmen wie fiskalische Austerität, Absenkung von Löhnen und Gehältern und Förderung prekärer Beschäftigungsverhältnisse über „flexible“ Arbeitsmärkte mitverantwortlich waren für die beklagte negative Potentialentwicklung und den Mangel an „wellbeing“ (GEP, xi).

● Börsenboom und Niedrigzinsen

Die Entwicklung der Finanzmärkte – insbesondere die Folgen der Niedrigzinspolitik – werden von der Weltbank zwar zu den „downside risks“ der Prognosen gezählt, worauf im aktuellen GEP-Report aber nur am Rande eingegangen wird. Wie das Institute of International Finance (IIF) im Januar berichtete, beliefen sich die globalen Schulden (Staaten, Unternehmen, Haushalte) 2017 auf den Rekordwert von 233 Billionen US-Dollar, mehr als das Dreifache der weltweiten Wirtschaftsleistung. Dabei gibt es vor allem zwei Risikofelder:

* Erstens ist die Schuldenlast für viele Unternehmen, Haushalte und auch einige Staaten nur so lange tragbar, wie die Zinsen auf dem aktuellen, extrem niedrigen Niveau bleiben. Diese dürften aber inzwischen den Tiefpunkt überschritten haben; die Notenbanken, an der Spitze die US-amerikanische FED, versuchen teilweise, sich von den Niedrigzinsen zu verabschieden. Hier mangelt es jedoch an Abstimmung, wie ein Vergleich zwischen FED und europäischer EZB zeigt. In der Folge kann es zu Konflikten kommen mit Auswirkungen auf die Wechselkurse und rasch bzw. ungleichmäßig steigende Zinsbelastungen. Ein deutlicher Zinsanstieg würde dazu führen, dass viele private und öffentliche Schulden nicht mehr bedient werden können.

* Zweitens sind viele Schwellen- und Entwicklungsländer – auch bedingt durch niedrigere Rohstoffpreise und negative Leistungsbilanzen – zunehmend von kurzfristigen Kapitalzuflüssen abhängig geworden. Ein Beispiel dafür ist Südafrika, das nach Auskunft der Weltbank besonders stark von ausländischen Portofolio-Investitionen abhängt (GEP, 141). Eine Umkehr der Zahlungsflüsse im Zuge steigender Zinsen in den USA würde das Land dazu zwingen, seinerseits die Zinsen zu erhöhen und so die Wirtschaft abzuwürgen. Auch Wechselkursverschiebungen könnten zur Umkehr von Kapitalflüssen führen. Dies ist eine Gefahr in fast allen Großregionen außerhalb des ‚Westens‘.

● Das Spiel des Narren

Im Kern geht es darum, dass die Politik des billigen Geldes, die als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 eingeführt worden war und die bis heute die Märkte stimuliert, die Hypertrophie der Finanzmärkte vergrößert hat: Die niedrigen Zinsen haben nicht etwa Kapital in die Realwirtschaft gelenkt, sondern die Finanzinvestitionen angetrieben. Diese Fehlallokation von Kapital ist eine der Gründe für die Schwäche der Realinvestitionen. Auf den Finanzmärkten waren und sind höhere und raschere Profite zu machen als durch den Kauf von Maschinen und Anlagen.

Natürlich weiß jeder, dass viele Wertpapier- und Immobilienmärkte stark überbewertet sind – aber solange die Rally geht, muss man mitmachen. Dies meint der – beim ehemaligen indisch/australischen Banker Satyajit Das entlehnte – Titel „Stabile Instabilität“. Das und andere Beobachter der Finanzmärkte verweisen auf die Tatsache, dass eine Veränderung in der Bewertung von Risiken das Gebäude von Schulden und Krediten rasch zum Einsturz bringen kann. Eine Umkehr in der Risikobewertung aber kann durch vergleichsweise geringfügige Anlässe ausgelöst werden: Die wirtschaftlichen ‚Fundamentaldaten‘ sind nämlich – worauf auch das Fragezeichen im Titel des aktuellen GEP-Reports hindeutet – keineswegs so positiv, wie die Konjunkturoptimisten meinen. Niedrige Investitionsquoten, stagnierende Produktivität, ein hoher Anteil prekärer Beschäftigung, langsame Lohnentwicklung, wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit und chronische Handelsungleichgewichte sind fundamentale Risiken, die rasch – z.B. in Folge der Zuspitzung einer der vielen geopolitischen Risiken – in den Vordergrund treten könnten. Dann würde die Finanzspekulation, „das Spiel des Narren, der hofft, einen noch größeren Narren zu finden“ (James Montier, Asset Manager, lt. NZZ v. 11.1.2018), ein erwartetes Ende finden.

Hinweis:
* The World Bank: Global Economic Prospects. Broad-Based Upturn, but for How Long?, 264 pp, The World Bank Group: Washington D.C., January 2018. Bezug: über worldbank.org

Posted: 15.1.2018

Empfohlene Zitierweise:
Jörg Goldberg, Die Weltwirtschaft 2018: Stabile Instabilität, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Januar 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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