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Ein neuer IWF in Argentinien?

Artikel-Nr.: DE20180819-Art.13-2018

Ein neuer IWF in Argentinien?

Nach 20 Jahren ist er wieder da

Vorab im Web - Die Argentinier erleben dieser Tage ihr Déjà-vu: Als Teil eines Anpassungspakets, das an einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) geknüpft ist, kündigt die Regierung massive Entlassungen und einen Einstellungsstopp an. Tausende öffentlich Beschäftigter werden erneut gezwungen, die bittere Pille der Austerität zu schlucken, die das neue IWF-Programm mit erhöhter zielgruppengenauer Sozialhilfe zusammenbringen will. Eine Analyse von Bodo Ellmers, Maria Romero und Gino Brunswijck.

Für viele Argentinier bringen die Finanzkrise, die das Land im Griff hält, und die Rückkehr des Fonds schlechte Erinnerungen an 2001 zurück. Damals hatten IWF-geleitete Politiken den schlimmsten ökonomischen Niedergang in der argentinischen Geschichte ausgelöst. Ein Cocktail aus Austeritätsmaßnahmen trug zwischen 1998 und 2002 zu einem Rückgang der Wirtschaftsaktivität um 20% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei. Sie behinderten darüber hinaus die Fähigkeit der Regierung zur Bereitstellen wesentlicher Dienstleistungen; die Arbeitslosigkeit schnellte auf über 20% hoch, während die Reallöhne um 18% fielen; und die Armut traf über die Hälfte aller ArgentinierInnen. Am meisten betroffen waren die Kinder, bei denen sieben von zehn unter die Armutslinie fielen.

● Aktueller Finanzausblick

Um die Unzufriedenheit des Volkes zu besänftigen, heben die Regierung und der IWF hervor, dass der Fonds seine Methoden dieses Mal geändert habe. Gleichwohl verweist ein Vergleich zwischen dem früheren und dem gegenwärtigen Abkommen auf Business as usual, wobei die traditionelle Austerität mit ein paar kosmetischen Feinheiten garniert wird.

Die finanziellen Aussichten Argentiniens sind düster, da sich die finanziellen Bedingungen verändern. Die anziehende Geldpolitik in den Industrieländern erhöht den Abwärtsdruck auf den Peso gerade in dem Moment, in dem ausländische Investoren argentinische Anlagewerte abstoßen. Die argentinische Zentralbank versuchte, den Peso durch die Anhebung der Zinssätze auf kolossale 40% und massiven Verkauf ihrer ausländischen Reserven (bis zu 7,7 Mrd. im Laufe einiger Monate) zu stabilisieren. Um die Reserven zu erhöhen, verhandelt die Regierung über eine Ausweitung des laufenden Währungsswaps mit China. Dennoch bleibt die Inflation hoch, während der Peso weiter abwertet.

● Argentiniens Schuldenkrise

Die Saat für den derzeitigen Schuldenaufbau wurde im Gefolge der Krise von 2001 gelegt. Die Mehrheit der Gläubiger des Landes stimmte einem Schuldenschnitt zu, was die Solvenz des Landes wieder herstellte. Allerdings hielt eine Gruppe von Geierfonds an ihren argentinischen Schuldtiteln fest. Schließlich urteilte ein US-Gericht zugunsten der Geierfonds, was bedeutete, dass die argentinische Regierung diese auszahlen musste. Ohne einen globalen Schuldenerleichterungsmechanismus war es diesen Geierfonds möglich, astronomische Profite einzusacken.

Argentiniens neue Regierung spielte mit und nahm das nötige Geld durch die Ausgabe neuer Schuldtitel auf. Das war nur der Beginn eines neuen Kreditbooms. Private Gläubiger ermöglichten diesen Boom, indem sie großzügig in Argentiniens sehr ertragreiche Anlagen investierten. Während Argentiniens öffentliche und externe Schulden fast eine Dekade lang niedrig und stabil waren, wuchsen sie seit 2015 mit den steigenden Schuldendienstkosten stark an. Dieser Schuldenaufbau ist die Ursache, die dem IWF-Kredit von 50 Mrd. US-Dollar zugrunde liegt.

● Ein neuer IWF-Bailout für verantwortungslose Gläubiger

Der Kreditboom erreichte seinen Höhepunkt mit der Ausgabe von „Jahrhundertanleihen“ durch Argentinien im Juni 2017. Die Financial Times kommentierte: „Welcher normale Mensch leiht einem serienmäßigen Pleitier Geld für 100 Jahre?“ Die Konditionen waren aufgrund eines Jahresertrags von 7,125% und eines Einstiegsangebots von 90%, d.h. eines Preisnachlasses von 90 Cents pro Dollar, hochgradig attraktiv. Argentinien fand genügend gierige Investoren, die die Anleihen abnahmen. Vielleicht spekulierten diese auch darauf, dass sie irgendjemand raushauen würden, wenn Argentinien zahlungsunfähig würde. Sie hatten recht, denn genau das tat der IWF kaum ein Jahr später mit seinen 50-Mrd.-Dollar-Kredit.

● Ein neuer IWF?

Das 50 Mrd. Dollar schwere Beistandsabkommen (SBA) über drei Jahre – das größte in der IWF-Geschichte – ist ein immenser Kredit angesichts eines ausstehenden Schuldenstands von 221 Mrd. Dollar, und er wird wahrscheinlich vorrangig für den Schuldendienst und die Wiederauffüllung der internationalen Reserven verwendet. Beistandsabkommen werden typischerweise dazu genutzt, Länder mit kurzfristigen Zahlungsbilanzproblemen zu unterstützen. Während der IWF behauptet, die damit verbundene Konditionalität sei gestreamlined worden, ist die Anzahl der Kreditbedingungen im Vergleich zu dem Programm von 2000 angewachsen.

Der IWF verlangt ähnliche Politikvorschriften wie vor 20 Jahren, wobei der Fokus auf Austeritätsmaßnahmen liegt. Der Hauptunterschied zwischen dem SBA von 2000 und 2018 besteht in der Tatsache, dass ersteres Austerität durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen betrieb, während letzteres nur auf Ausgabenkürzungen abhebt. Dies ist keineswegs ein Kurswechsel des IWF, da beide Typen von Austerität auch in anderen Länderprogrammen praktiziert werden.

Der Typ von Ausgabenkürzungen weckt starke Erinnerungen an das SBA von 2000. 2018 fordert das Programm folgende Kürzungen:
* Budgetkürzungen auf Bundes- und Provinzebene;
* Reduzierung der Lohnkosten durch Einstellungsstopp und Entlassungen;
* Beseitigung von Subventionen für sensible Produkte wie Gas und Strom;
* Kürzung der Ausgaben für öffentliche Arbeiten; und
* Senkung der Transfers für öffentliche Unternehmen.

Lokale Analysten befürchten Folgeeffekte der Budgetkürzungen auf der Provinzebene, die zu zusätzlichen Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie der Versorgung mit Transportmitteln, Energie und Wasser führen könnten.

Noch schlimmer wird die Sache dadurch, dass der IWF nicht vorab – als Vorbedingung für die Auszahlung der Kredite – die Restrukturierung des laufenden Schuldenstands bei privaten Gläubigern fordert. Die IWF-Kredite stellen sicher, dass die privaten Gläubiger voll bedient werden, zumindest vorerst, da der Anteil des Haushalts, der für die Kosten des Schuldendienstes gebraucht wird, durch den IWF geschützt wird. Das bedeutet, dass die gesamte Anpassungslast dem argentinischen Volk aufgebürdet wird, das von Arbeitsplatzverlusten, Pensionskürzungen, Steuerbelastungen und schlechterer öffentlicher Daseinsvorsorge betroffen sein wird.

● Freier Weg für den Privatsektor

Argentinien treibt verstärkt die Privatisierung voran. Vor allem haben Öffentlich-Private Partnerschaften (PPPs) im Infrastrukturbereich zugenommen, seit 2016 ein PPP-Gesetz verabschiedet wurde. Seither hat das Land mehrere PPP-Projekte in der Pipeline, darunter im Bildungs- und Gesundheitswesen, z.B. der Bau von sechs Krankenhäusern. Darüber hinaus möchte Argentinien im Rahmen seiner G20-Agenda Infrastrukturvorhaben zu einer Anlageklasse entwickeln.

Parallel zu dem verstärkten Drängen auf Infrastruktur-PPPs werden Sparmaßnahmen bei öffentlichen Arbeiten umgesetzt. Konfrontiert mit schrumpfenden fiskalischen Spielräumen bietet sich die Wende zu PPPs auch deshalb an, weil mit diesem Modell Infrastrukturprojekte nicht voll in der Haushaltsbilanz auftauchen müssen und so die wahren Kosten des Projekts verborgen werden können. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie FARN haben eine breit geteilte Besorgnis über PPPs ausgedrückt, da schrumpfende öffentliche Ausgaben die einseitige Bevorzugung privater Investitionen und vor allem von PPPs durch die Regierung verstärken.

● Soziale Kosmetik

Während das IWF-Programm anerkennt, dass die Austerität mit sozialen Auswirkungen verbunden ist, liegt dem eine enge fiskalische Sicht zugrunde. Zielgruppenorientierte soziale Programme sollen angeblich die Verwundbaren vor den Effekten der Anpassung schützen. Tatsächlich haben solche Programme die Menschen in Not oft nicht erreicht.

Damit nicht genug. Argentiniens CSOs und Gewerkschaften haben das Niveau der sozialen Vorkehrungen des IWF-Programms als “Witz” für diejenigen charakterisiert, die ihre Jobs, Löhne und Rentenansprüche verlieren. Sie haben berechnet, dass das Niveau der Sozialausgaben unter dem Programm für die restlichen sechs Monate von 2018 gerade einmal 6 Dollar pro Person für die 13 Millionen Armen in Argentinien betragen würde. In einem Umfeld allgemein steigender Nahrungsmittelpreise und zunehmender ökonomischer Not dürften diese Vorkehrungen kaum die Konsequenzen der Austerität abfedern.

● Wie weiter mit Argentinien?

Über die Jahre hinweg sind die makroökonomischen Vorschriften, die der IWF an seine Kredite knüpft, weitgehend gleich geblieben: Der Zaubertrank in der Wirtschaftskrise bleibt Austerität auf der Basis des Versprechens, das „Marktvertrauen“ wieder herzustellen. Dies droht die ökonomische Aktivität weiter zu drücken und schränkt die Fähigkeit der Regierung zur Bereitstellung wesentlicher Dienstleistungen ein. Hinzu kommt, dass das laufende IWF-Programm nicht die grundlegenden Fragen angeht, vor allem die dringende Notwendigkeit, die Schulden Argentiniens auf nachhaltige und transparente Weise zu restrukturieren.

Statt Länder in einen Teufelskreis von Austeritätsprogrammen – eine Austeritätsfalle – zu treiben, sollte der Fokus auf der Etablierung eines internationalen Schuldenerleichterungsmechanismus liegen. Der IWF sollte sich – auf der anderen Seite – an sein Mandat halten und die Länder bei kurzfristigen Zahlungsbilanzproblemen unterstützen. Dies erfordert keine langfristigen Strukturreformen und sollte die fiskalischen und geldpolitischen Entscheidungen in den Händen demokratisch gewählter Politiker belassen.

Ohne diese Veränderungen werden dieselben Vorschriften weiterhin Zeit verschlingen und von Zeit zu Zeit die gleichen Probleme hervorbringen.

Bodo Ellmers, Maria Romero und Gino Brunswijck sind Mitarbeiter des Europäischen Netzwerks Schulden und Entwicklung (eurodad). Ihr Beitrag erschien zuerst auf Triple Crisis.

Posted: 19.8.2018

Empfohlene Zitierweise:
Bodo Ellmers u.a.: Ein neuer IWF in Argentinien? Nach 20 Jahren ist er wieder da, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 19. August 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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