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Großes Gehirn, überhöhtes Ego, winziges Gewissen

Artikel-Nr.: DE20180628-Art.09-2018

Großes Gehirn, überhöhtes Ego, winziges Gewissen

Kritischer UN-Bericht zum IWF

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat ein “winziges Gewissen” und muss mehr tun, um die Menschen mit niedrigem Einkommen und hoher Verwundbarkeit davor zu schützen, die Hauptlast der Austeritätspolitik zu tragen. Das (und noch mehr) schlussfolgert ein neuer Bericht des UN-Sonderberichterstatters für extreme Armut und Menschenrechte, Philip Alston, den sich Rainer Falk näher angesehen hat.

Hilfe für die finanziell am schlechtesten Gestellten spielte bisher kaum mehr als nachgeordnete Rolle in der weltweiten Arbeit des Fonds. Doch wenn in den kommenden Jahren den Herausforderungen einer Welt, in der Globalisierung und liberale Demokratie fortgesetzt angegriffen werden, effektiver begegnet werden sollen, braucht der IWF eine andere Geisteshaltung, meint Alston. „Der IWF ist der einflussreichste Einzelakteur auf der internationalen Bühne, nicht nur in Bezug auf Fiskal- und Währungspolitik, sondern auch in Fragen des sozialen Schutzes. Doch trotz der beeindruckenden Rhetorik seiner Geschäftsführenden Direktorin, Christine Lagarde, hinkt seine Praxis weit hinter dem her, was er predigt“, heißt es in dem Bericht (s. Hinweis).

● Neues Interesse für Soziales?

Es ist kein Zufall, dass der Fonds ein neu entdecktes Interesse an der Förderung sozialer Sicherung zeigt. Letzten Monat wurde die Entwicklung eines neuen „strategischen Rahmens für Sozialausgaben“ angekündigt, der sicherstellen soll, dass seine Anpassungspolitik soziale Sicherung und Unterstützung fördert statt untergräbt, ebenso wie Grundbildung und Gesundheitsprogramme für die Armen.

Nach Einschätzung des Berichts steht als Haupttriebkraft hinter solchen Bestrebungen die Notwendigkeit, soziale und politische Instabilität zu vermeiden, die die Fondsprogramme in der Vergangenheit immer wieder unterminiert und breite Proteste in der Entwicklungswelt provoziert haben. Allein für dieses Jahr kann der Bericht auf große Massendemonstrationen in Argentinien hinweisen, desweiteren auf den Rücktritt des jordanischen Premierministers und IWF-Aufstände in verschiedenen afrikanischen Ländern.

In der Vergangenheit blieb der Fonds gegenüber solchen Straßenprotesten hart und behauptete, dass er nur die Rolle des Arztes spiele, der in die Notaufnahme gerufen werde. Er argumentierte, dass es keine Alternative zur Verschreibung einer drastischen Behandlung gebe, weil andernfalls die Krankheit weiter gehe, bis der Patient sterbe.

Bis heute sind viele IWF-Funktionäre der Meinung, dass sozialer Schutz eine zeitweise Überbrückungsmaßnahme sei und nicht eine Politik, die Wachstum stimulieren, bessere Arbeitskräfte bereitstellen und die wirtschaftliche Sicherheit verbessern kann. Sie haben den zielgenauen Einsatz (‚targeting‘) sozialer Leistungen zum Fetisch gemacht, und zwar trotz überwältigender Erkenntnisse, dass entsprechende Tests tiefe Schwächen offenbart und Schlupflöcher für die Bessergestellten gezeigt haben, während die wirklich Bedürftigen weithin ausgeschlossen wurden. Und solch unrealistisches und ehrgeiziges ‚targeting‘ hat letztlich dazu geführt, dass nur sehr wenige Menschen profitiert haben und damit jegliche breite politische Unterstützung für solche Programme zerstört wurde.

● Mangelnder Pluralismus unter Mitarbeitern

Der Fonds müsse deshalb seine Besessenheit für das ‘targeting’ sozialer Leistungen für die Ärmsten der Armen überwinden, fordert der Bericht. Die Konzentration sozialer Schutzmaßnahmen ausschließlich auf die Verwundbarsten erodiere im Übrigen auch die Unterstützung der Mittelklassen und der Reichen für das Sozialstaatssystem.

Bis heute sei der IWF eine Organisation mit großem Gehirn, einem ungesunden Ego und einem winzigen Gewissen, so spitzt der Bericht zu. Wenn es dem Fonds wirklich um Veränderung gehe, müsse er auch intern mehr Diversität herstellen, damit verschiedene Perspektiven und Annahmen zum Zuge kommen können. Heute ist der durchschnittliche IWF-Mitarbeiter ausgebildeter Ökonom, männlich, aus dem Westen und studierte an einer Eliteuniversität in den USA oder Großbritannien. Ohne dies zu verändern, sei ein Wandel im Fonds nicht denkbar.

Über die mangelnde interne Diversität hat der IWF eine mangelhafte Bilanz in Bezug auf die Konsultation mit Organisationen der Zivilgesellschaft in seinen Zielländern, aber auch mit anderen internationalen Organisationen, die eine soziale Expertise aufweisen, etwa der ILO oder UNICEF, deckt der Report auf. Würde er auf deren Ratschläge hören, wäre der IWF weniger anfällig für Ratschläge, die demokratische Entscheidungsfindungsprozesse in den Zielländern untergraben – ein Problem, mit dem der IWF in seiner gesamten Geschichte immer wieder zu kämpfen hatte.

● Entscheidend wäre der Bruch mit dem Neoliberalismus

Die entscheidende Herausforderung für den IWF liegt nach dem Bericht jedoch darin, ob er zu einem Bruch mit der neoliberalen Politik bereit ist, die er seit Jahrzehnten vertreten hat und die mit dem weltweiten Aufstieg des Populismus verknüpft ist. Als einflussreichster globaler Akteur in Sachen Fiskalpolitik trägt der Fonds eine übergroße Verantwortung für die dramatische Zunahme der Ungleichheit, das schnelle Wachstum der wirtschaftlichen Unsicherheit der Arbeitnehmer und den Mangel an substanzieller sozialer Sicherung, welche zu Kennzeichen der Globalisierung geworden sind und die Grundlage für soziale Revolten gelegt haben. –

Es hat schon viele kritische Berichte über den IWF gegeben. Doch keiner ist so klar und ernüchternd wie dieser, und dies nach einem Jahrzehnt der Rhetorik des Wandels!

Hinweis:
* Report of the Special Rapporteur on extreme poverty and human rights, 20 pp, Human Rights Council, Thirty-eighth session, 18 June-6 July 2018 (A/HRC/38/33)

Posted: 28.6.2018

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk: Großes Gehirn, überhöhtes Ego, winziges Gewissen. Kritischer UN-Bericht zum IWF, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 28. Juni 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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