Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Ist die Europäische Union noch zu retten?

Artikel-Nr.: DE20180209-Art.02-2018

Ist die Europäische Union noch zu retten?

EuroMemorandum 2018

Fast zehn Jahre nach Ausbruch der Krise, in der die EU für Austerität und Deregulierung optierte, suchen die Mitgliedstaaten immer noch nach einem Ausweg. In ihrem jüngsten Memorandum werfen die Europäischen Ökonomen für eine Alternative Wirtschaftspolitik in Europa („EuroMemo Group“) die Frage auf: „Ist die EU noch zu retten?“ und konzedieren: „Das ist in der Tat eine schwierige Frage.“ W&E dokumentiert Auszüge aus der Zusammenfassung des Memos, das europaweit von nahezu 250 Wirtschaftswissenschaftlern unterstützt wird.

Vergeblich hat die EuroMemo Group vor den Gefahren gewarnt, die der Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion (EMU) inhärent sind. Zu den Rückwirkungen gehört der Aufstieg ultrarechter Kräfte in ganz Europa, der die antieuropäischen Gefühle nähren und kultivieren. Die EU zu verlassen hat an Boden gewonnen und wird für Großbritannien bald zur Realität. Das stellt einen Wendepunkt in der Geschichte der EU im Vergleich zu der Idee einer „immer engeren Union“ dar.

● Hindernisse für ein progressives Europa

Das Weißbuch zur Zukunft Europas, das die Europäische Kommission produziert hat, entwickelt fünf Szenarien. Gleichwohl übersehen diese die in Europa existierenden Spannungen, d.h. die gewachsene Unsicherheit auf den Arbeitsmärkten, die Rolle des Finanzsektors in der Nachkrisenära und die Entstehung einer neuen Unterklasse in ganz Europa.

Die deutsch-französische Achse in der Europapolitik scheint wieder aufzuleben, obwohl ihre Führung keine gemeinsame Vision hat. Die Idee von Präsident Macron, einen großen Sprung hin auf eine Euro-Fiskalunion zu machen und dauerhafte fiskalische Transfers zugunsten der von der EMU benachteiligten Länder möglich zu machen, wird von der deutschen Führung abgelehnt. Aus unserer Sicht sollte eine sich abzeichnende Kompromisslösung, bei der ein Fiskalpakt in EU-Recht gegossen würde und ein Eurofinanzminister nicht mit realen fiskalischen Ressourcen ausgestattet würde, auf alle Fälle vermieden werden.

Darüber hinaus muss diese Diskussion berücksichtigen, dass die EU ein politisches Gebilde ist, das viele staatliche Züge trägt, aber auch deutliche Asymmetrien zwischen seinen Mitgliedsstaaten, offensichtlich vielfältige Kulturen und unterschiedliches Vertrauen in die europäischen Institutionen aufweist. In diesem Zusammenhang hat die derzeitige Krise den demokratisch-kapitalistischen Pakt, in den die EU historisch eingebettet war, herausgefordert. An die Stelle der Gemeinschaftsmethode, die die Rolle supranationaler Institutionen betonte, ist mehr und mehr Zwischenstaatlichkeit getreten.

Die deutschen Interessen haben sich vom südlichen Europa nach Osteuropa und zu den Schwellenmärkten bewegt. Das stellt ein ernsthaftes Hindernis für Strategien dar, die auf eine progressive europaweite produktive Entwicklung zielen. Der Aufstieg der extremen Rechten quer durch Europa und speziell in Deutschland wird einen negativen Einfluss auf die europäische Entwicklung haben, da die Regierungen unter Druck geraten, nationalistische Positionen einzunehmen, während die Beziehungen mit den südeuropäischen Ländern, die sich gerade von der Krise erholen, schwieriger sein werden.

Das ökonomische System, das im Zuge der Krise erzwungen wurde, muss durch einen geteilten europäischen Prozess ersetzt werden. Gebraucht wird ein Mehrebenen-Governancemodell, das Handeln auf der europäischen und der Ebene einzelner Regierungen kombiniert. Die Hauptherausforderung wird darin liegen, die Kernelemente einer solchen Strategie zu bestimmen und die dazu nötigen Allianzen zu schmieden. Die Zukunft der europäischen Integration wird von der Vertiefung der Demokatie im Interessen von Stabilität, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit abhängen.

● Makroökonomische Politik, Schuldenüberhang, nachhaltiges Wachstum und Entwicklung

Seit dem EuroMemorandum des letzten Jahres hat sich die Erholung in der Eurozone und der EU verstärkt und substantiell verbreitert. Die Wachstums- und Beschäftigungsprognosen für die EU und viele der Eurokrisen-Länder (mit der schockierenden Ausnahme Griechenlands) haben sich beträchtlich verbessert. Obwohl noch nicht zufriedenstellend und weit von einer Beseitigung der katastrophalen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Schäden entfernt, die seit dem Ausbruch der Krise entstanden sind, verbessert sich die wirtschaftliche Situation in der Eurozone und der EU zweifellos. Während die positiven Veränderungen anerkannt werden müssen, sollten die hohen wirtschaftlichen und politischen Abwärtsrisiken nicht übersehen werden.

Die geopolitische Situation birgt ein hohes Risiko des Rückgangs des globalen Nachfragewachstums und daher der externen Nachfrage nach EU-Produkten. Das Versäumnis, das globale Finanzsystem zu regulieren, hat in Kombination mit den durch die extrem expansive Geldpolitik genährten Blasen das Risiko einer neuen Finanzkrise erhöht. Gleichzeitig kann der Versuch der Europäischen Zentralbank (EZB), den geldpolitischen Stimulus zurückzufahren, zu neuen Risiken für die öffentlichen Finanzen der Mitgliedsstaaten und/oder die Erholung führen.

Darüber hinaus wurde das Problem der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte immer noch nicht richtig angegangen. Die notorischen Überschussländer, allen voran Deutschland, haben keinerlei Abbaumaßnahmen eingeleitet, und der Abbau der früheren Defizitländer könnte sich als kurzfristig erweisen, da er hauptsächlich auf weniger Importwachstum im Gefolge der Krise beruht. Der inzwischen sehr hohe Zahlungsbilanzüberschuss der Eurozone insgesamt und die damit verbundenen globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichte können wahrscheinlich nicht dauerhaft sein.

● Elemente einer Alternative

Eine überzeugende politische Alternativstrategie erfordert mindestens fünf wichtige Veränderungen. (1) Die Forderung nach ausgeglichenen Haushalten sollte ersetzt werden durch die Forderung nach einer ausgeglichenen Ökonomie, was das Ziel eine hohen und nachhaltigen Beschäftigungsniveaus einschließt. (2) Langfristig ist ein substantieller Haushalt auf EU-Ebene erforderlich, um EU-weit Investitionen und öffentliche Güter und Dienstleistungen zu finanzieren und um auf EU-Ebene eine kontrazyklische Fiskalpolitik zu etablieren, die in der Lage ist, die nationalen Fiskalpolitiken zu unterstützen. (3) Anstatt sich auf das generelle Wachstum zu fokussieren, sollte eine erfolgreiche Strategie der Überwindung von Disparitäten zwischen verschiedenen Regionen und Sektoren Priorität einräumen. Eine langfristige europäische Investitionsstrategie, die die europäische, nationale und lokale Entwicklung im Auge hat, sollte deshalb entwickelt werden. (4) Die deflationäre Strategie der kompetitiven Abwertung sollte ersetzt werden durch eine Strategie des Lohnwachstums, die eine faire Teilhabe der Arbeitnehmer am nationalen Einkommenswachstum und eine stabile Inflationsentwicklung sicherstellt. (5) Effekte Maßnahmen sollten gegen die Steuerkonkurrenz ergriffen werden.

Hinweis:
* European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe/EuroMemo Group: Can the EU still be saved? The implications of a multi-speed Europe. EuroMemorandum 2018, 27 pp, verfügbar unter euromemo.eu. Das Memorandum gliedert sich in folgende Kapitel: 1. Macroeconomic policies: debt overhang and sustainable growth & development, 2. Monetary and financial policies: mounting problems, 3. Inequality and social crisis, 4. The EU in a fragmenting international order, 5. Alternative visions for socio-ecological transformation.

Posted: 9.2.2018

Empfohlene Zitierweise:
W&E-Dokumentation, Ist die Europäische Union noch zu retten? EuroMemorandum 2018, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 9. Februar 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.