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Von der Hyperglobalisierung zum Handelskrieg?

Artikel-Nr.: DE20180929-Art.16-2018

Von der Hyperglobalisierung zum Handelskrieg?

UNCTAD Trade and Development Report 2018

Vorab im Web - Zehn Jahre nach der Finanzkrise steht die Weltwirtschaft immer noch auf brüchigem Grund. Dabei sind die Handelskriege nur ein Symptom tiefer liegender Probleme. Die unmittelbaren Stressfaktoren wie eskalierende Zölle und volatile Kapitalflüsse sind Ausdruck des Versagens beim Kampf gegen die Ungleichheiten und Ungleichgewichte in unserer hyperglobalisierten Welt, warnt die UNCTAD in ihrem jüngsten Flaggschiff-Report. Von Rainer Falk.

Während die wirtschaftliche Entwicklung seit Anfang 2017 wieder angezogen hat, bleibt das Wachstum unstet, und viele Länder entwickeln sich unterhalb ihrer Möglichkeiten, analysiert der Trade and Development Report 2018 unter dem Titel „Power, Platforms and the Free Trade Delusion“ (s. Hinweis). Neben den aktuellen weltwirtschaftlichen Konjunkturtrends untersucht der Bericht, wie sich wirtschaftliche Macht immer stärker in den Händen einer kleinen Zahl großer internationaler Firmen konzentriert und welche Bedeutung dies für die Fähigkeit der Entwicklungsländer hat, Vorteile aus ihrer Beteiligung am internationalen Handelssystem und aus neuen digitalen Technologien zu ziehen.

● Alte und neue Abwärtsrisiken

Die UNCTAD-Autoren stellen fest, dass viele fortgeschrittene Länder seit etwa 2008 die internen Wachstumsquellen durch externe ersetzt haben – am deutlichsten zu sehen am Wandel der Eurozone von einer Defizit- in eine Überschussregion. Dies könne freilich nur funktionieren, wenn die heimische Nachfrage anderer Länder angezapft wird, wobei das Wachstum zu vieler Länder, die von heimischer Nachfrage abhängen, auf einer Kombination von höherer Verschuldung und Anlageblasen statt auf einer expansiven Lohnentwicklung beruht. In jedem Fall wird das Wachstum von der allseits grassierenden Bedrohung durch finanzielle Instabilität beeinträchtigt.

Überrascht sind die Autoren, wie wenig sich in den zehn Jahren seit der globalen Finanzkrise geändert hat: Die Banken sind auf dem Rücken öffentlicher Finanzen noch größer geworden; undurchsichtige Finanzinstrumente sind erneut in Mode; das Schattenbanken-System hat einen Umfang von 160 Billionen Dollar angenommen – zweimal so viel wie der Umfang der globalen Ökonomie; der Over-the-Counter-Handel mit Derivaten hat die 500-Billionen-Dollar-Schwelle überschritten; und die Bonus-Töpfe für die Banker laufen erneut über.

Der globale Schuldenstand beläuft sich heute auf 250 Billionen Dollar – 50% mehr als zur Zeit der Krise – und ist damit dreimal so groß wie die globale Ökonomie. Hinter diesem Aufschwung der Kreditaufnahme stand vor allem die private Verschuldung, insbesondere von Konzernen, doch ohne eine Stimulierung wirtschaftlicher Investitionen – eine Entkoppelung, die auf die noch bevorstehenden Probleme verweist.

Während selbst die Industrieländer nicht genug getan haben, um die Weltwirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen, wachsen jetzt die Sorgen, dass die „Normalisierung“ ihrer Geldpolitik Schockwellen auf den Kapital- und Währungsmärkten auslösen könnte, wobei in den anfälligeren Volkswirtschaften die wirtschaftliche Abwärtsspirale bereits erkennbar ist.

Nach Ansicht von Richard Kozul-Wright, dem Hauptautor des Berichts und Leiter der UNCTAD-Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien, ist die weltweit wachsende Verschuldung eng mit der steigenden Ungleichheit verknüpft: „Beide wurden durch das wachsende Gewicht und den zunehmenden Einfluss der Finanzmärkte verbunden, was wiederum ein Definitionsmerkmal der Hyperglobalisierung ist.“

● Superkonzerne und Wertschöpfungsketten

Der Report zeigt auf, wie der Welthandel weiterhin durch große Firmen dominiert wird, vor allem über die Organisation und Kontrolle globaler Wertschöpfungsketten, wobei im Schnitt auf das oberste 1% der Exportfirmen eines Landes über die Hälfte seiner Exporte entfallen. Die Ausbreitung dieser Ketten trug zu dem schnellen Wachstum des Handels zwischen der Mitte der 1990er Jahre und dem Ausbruch der Finanzkrise bei, wobei dieses Wachstum in den Entwicklungsländern, u.a. durch den Handel untereinander, am schnellsten wuchsen. Doch der Bericht zeigt, dass bestimmte Länder intensiver handeln müssen, um dasselbe Output-Wachstum wie in der Vergangenheit zu generieren, und dass ein großer Teil dieses Handels ungleich war in dem Sinne, dass die Gewinne durch die Mischung zunehmender Marktkonzentration und der Kontrolle immaterieller Anlagewerte asymmetrisch zu Gunsten der führenden Firmen anfielen.

Der Bericht dokumentiert einen allgemeinen Rückgang des Anteils des Mehrwerts, der aus Verarbeitungsaktivitäten innerhalb dieser Ketten resultiert, (mit Ausnahme Chinas) und einen Anstieg des Anteils, der aus Aktivitäten vor und nach der Produktion stammt. Die Einkommen, die an diesen Enden der Kette anfallen, haben eine deutliche Auswirkung auf die Einkommensverteilung in allen Ländern. Sog. Superstar-Firmen (Kozul-Wright), die das meiste einstreichen, sind ein globales Phänomen, und ihre Suche nach Einkommen ist grenzübergreifend.

● Schädliche Konsequenzen

Die jüngsten Runden der Zollerhöhung, ob sie nun einem Handelskrieg gleichkommen oder nicht, werden dieses Handelssystem stören, das zunehmend um Wertschöpfungsketten herum aufgebaut ist, auch wenn der Handel in 2018 noch ähnlich stark wachsen wird wie in 2017. Gleichwohl kann die Eskalation von Zöllen – aufgrund höherer Unsicherheit und geringerer Investitionen – auf mittlere Sicht ernsthafte Folgeeffekte mit schädlichen Konsequenzen haben. Diese können besonders schwer in Ländern sein, die sich bereits finanziellen Stressfaktoren ausgesetzt sehen.

Der Bericht enthält Projektionen, die die möglichen Risiken unterstreichen und schlussfolgert, dass „es nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit den Grenzen des ‚Freihandels‘ tragisch wäre, dem anderen Extrem – einem Handelszollkrieg – zu verfallen, anstatt zu überlegen, was die Regierungen durch globale Politikkoordination tun könnten, um eine kontinuierliche Verschlechterung der Einkommensverteilung und der Beschäftigung abzuwenden, die den meisten jüngeren Wirtschaftskrisen zugrunde liegen“.

● Ideologisches Feigenblatt Freihandel

Der Report hebt hervor, dass die Hyperglobalisierung nicht zu einer Win-Win-Welt geführt hat. Dennoch wäre weder ein Rückzug in einen nostalgischen Nationalismus noch eine noch stärkere Unterstützung für den Freihandel die richtige Antwort. Hinzu kommt, dass der Freihandel sich als ideologisches Feigenblatt erwiesen hat, das den politischen Spielraum für die Entwicklungsländer eingeschränkt und Schutzmaßnahmen für arbeitende Menschen und kleine Unternehmen beschnitten hat, während er die Vorlieben der großen Firmen für maximale Einkommen geschützt hat.

In der realen Welt sind Handelskriege ein Symptom für ein angeschlagenes wirtschaftliches System und eine geschwächte multilaterale Architektur, so der Bericht, während die Krankheit in einem Teufelskreis aus politischer Vereinnahmung seitens der Konzerne und zunehmender Ungleichheit besteht, in dem Geld benutzt wird, um politische Macht zu gewinnen, und politische Macht, um Geld zu machen.

„Alter und neuer Druck belastet den Multilateralismus“, sagte der Generalsekretär der UNCTAD, Mukhisa Kituyi, bei der Vorstellung des Berichts. Doch „in unserer interdependenten Welt bieten nach innen gerichtete Lösungen keinen Weg nach vorne. Die Herausforderung besteht darin, Wege zu finden, damit der Multilateralismus funktioniert.“

● Zurück in die Zukunft

Um eine Wiederholung der Fehler der 1930er Jahre zu vermeiden, schlägt UNCTAD eine Rückkehr zur Havanna-Charta von 1948 vor, die den ursprünglichen Versuch darstellte, ein gemanagtes multilaterales Handelssystem zu errichten. Das schließt natürlich den Umgang mit vielen neuen Herausforderungen ein, die den Unterzeichnern der Havanna-Charta nicht geläufig waren, die aber heute effektive internationale Zusammenarbeit erfordern.

Mindestens drei Handlungsrichtungen müssten in diesem Sinne Priorität bekommen: die Verknüpfung der Diskussion über den Handel mit einem Engagement für Vollbeschäftigung und höhere Löhne; die Regulierung räuberischen Konzernverhaltens; sowie die Garantie ausreichenden politischen Spielraums, der den Ländern erlaubt, ihre Integration in die Weltwirtschaft selbst zu managen. Erst in dieser Perspektive wird die Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele von 2015 denkbar.

Hinweis:
* UNCTAD Secretariat: Trade and Development Report 2018: Power, Platforms and the Free Trade Delusion, 162 pp, United Nations: New York and Geneva 2018. Bezug: über unctad.org

Posted: 29.9.2018

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk: Von der Hyperglobalisierung zum Handelskrieg?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 29. September 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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