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Warum Einwanderung die Wirtschaft fördert

Artikel-Nr.: DE20180918-Art.15-2018

Warum Einwanderung die Wirtschaft fördert

Migration und Entwicklung

Vorab im Web - Die Einschränkung der Zuwanderung wird das wirtschaftliche Wachstum behindern. So einfach ist das. Neue Forschungsergebnisse der Oxford Martin School und der Citigroup (s. Hinweis) zeigen, dass das wirtschaftliche Wachstum von der Migration befördert wird, während stagnierende oder rückläufige Einwanderung mit wirtschaftlichen Verlusten einher geht. Ian Goldin fasst die Ergebnisse zusammen.

Zwei Drittel des US-Wachstums seit 2011 sind direkt auf die Migration zurückzuführen. In Großbritannien wäre die Wirtschaft mindestens 9% kleiner als heute, wenn die Immigration 1990 eingefroren worden wäre, d.h. die Zahl der MigrantInnen konstant geblieben wäre. Das entspricht einem realen Verlust des Bruttoinlandprodukts von über 175 Mrd. Pfund in 15 Jahren. In Deutschland betrüge der wirtschaftliche Nettoverlust 6% oder 155 Mrd. €, wenn die Einwanderung seit 1990 nicht mehr zugenommen hätte.

● Ein positiver Kreislauf

In diesen Zahlen sind die breiteren, längerfristigen Vorteile der Immigration noch nicht eingeschlossen, vor allem die unverhältnismäßig hohen Beiträge, die qualifizierte Migranten zu Innovation und Wohlstandsschaffung leisten.

Migration ist risikoreich und wirkt offensichtlich wie eine Selbstauslese von Unternehmertypen. In Großbritannien ist es doppelt so wahrscheinlich, dass Einwanderer ihr eigenes Unternehmen gründen als im Land Geborene. In den USA gründeten Migranten rund 30% aller Unternehmen, obwohl sie gerade mal 14% der Bevölkerung ausmachen. Mehr als die Hälfte der „Unicorn“-Unternehmen in der USA (d.h. Start-ups mit einem Firmenwert von über 1 Mrd. Dollar) wurden von Einwanderern gegründet – das sind 40% der ersten 500 Unternehmen der Fortune-Liste. Das gleiche Muster wiederholt sich andernorts.

In den USA ist die Wahrscheinlichkeit, dass Immigranten eine Firma gründen, eine Erfindung patentieren lassen oder einen Nobel- oder Akademiepreis bekommen, zwei- bis dreimal höher als bei gebürtigen US-Bürgern. Das kann zu einem positiven Kreislauf werden. Migranten tragen von Anfang an Lebenswichtiges zu innovativen und dynamischen Ökonomien bei. Angetrieben durch den Zugang zu globalen Talenten, wachsen diese Länder und ziehen weitere Migranten an.

Immigranten werden typischerweise andernorts ausgebildet und verlassen ein Land, bevor sie in den Ruhestand gehen. Das bedeutet, sie zahlen signifikant mehr Steuern, als sie an Zuwendungen erhalten. Ihre Präsenz ist normalerweise mit höheren Einkommen, höherer Produktivität, geringerer Arbeitslosigkeit und höherer weiblicher Beschäftigung verbunden.

● Wachsende Kluft zwischen Realität und Wahrnehmung

Doch gibt es eine sich öffnende Schere zwischen der positiven wirtschaftlichen Bedeutung und der zunehmend negativen Wahrnehmung der Immigration. Dies deshalb, weil die Vorteile nicht gleich verteilt sind. Migration hat die produktivsten Regionen voran getrieben, was die regionalen Disparitäten verstärkt hat. Es ist schwer, gegenüber einem freigesetzten Fabrikarbeiter in Wisconsin mit den Vorteilen, die im Silicon Valley entstanden sind, zu argumentieren. Oder mit den Vorteilen dynamischer Städte wie London gegenüber denjenigen, die sich das Leben dort nicht leisten können.

Die Untersuchungen der Citigroup und der Oxford Martin School haben ergeben, dass die Haltung gegenüber Migration oft mit deren aktueller Bedeutung nichts zu tun hat. Länder mit dem niedrigsten Anteil im Ausland geborener Menschen wie Polen und Ungarn (jeweils unter 2%) sind am stärksten gegen die Immigration, selbst wenn beide Länder niedrige Geburtenraten, hohe Alterungsraten und wachsende Arbeitskräfteknappheit haben.

Innerhalb von Ländern gibt es oft eine inverse Beziehung zwischen dem Ausmaß der Migration und der lokalen Stimmung. Städte wie London oder Melbourne, wo gut über ein Drittel der Bevölkerung im Ausland geboren wurde, sind viel willkommensbereiter als ländliche Regionen und Kleinstädte, wo Migranten einen kleineren Anteil an der Bevölkerung stellen.

● Politisch erzeugter Teufelskreis

Der zunehmende politische Fokus auf Migration hat jedoch eine andere Ursache: Einige Politiker nutzen das Hochschnellen der Zahlen oder isolierte Beispiele von Kriminalität, um Anhänger zu gewinnen. Ein Großteil ihrer Anziehungskraft basiert auf breiteren Ressentiments in Kombination mit stagnierendem Einkommenswachstum und Austerität. Während diese Sorgen beachtet und angegangen werden müssen, ist die Kürzung der Immigration keine Antwort. Unsere Arbeit legt die Vermutung nahe, dass weitere Immigrationskontrollen nur das Wachstum verlangsamen, die Ungleichheit steigern, den sozialen Zusammenhalt untergraben und zu einem Teufelskreisn weiterer Migrationskontrolle führen werden. Der Abwärtswettlauf der Politiker, wer am härtesten gegenüber der Einwanderung ist, wird uns alle schmerzlich treffen.

Ian Goldin ist Professor für Globalisierung und Entwicklung an der Universität Oxford und zusammen mit Ben Nabarro von der Citigroup Ko-Autor des Buches „Migration and the Economy“. Er hat den Band für die Financial Times zusammengefasst (©).

Posted: 18.9.2018

Empfohlene Zitierweise:
Ian Goldin: Warum Einwanderung die Wirtschaft fördert. Migration und Entwicklung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 18. September 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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