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Das EU-Mercosur-Abkommen in der Kritik

Artikel-Nr.: DE20190728-Art.12-2019

Das EU-Mercosur-Abkommen in der Kritik

Wie Freihandelsabkommen die Umwelt schädigen

Am 28. Juni hat die Europäische Union (EU) ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abgeschlossen – ein „historisches Abkommen“, so Cecilia Malström, die zuständige Handelskommissarin der EU. Für Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war es ein „historischer Moment“. Unser Wirtschaftswachstum werde gefördert und neue Arbeitsplätze geschaffen, heißt es zur Begründung. Jean Feyder widerspricht.

Zugleich wollte die EU-Kommission, kurz vor dem G20-Gipfel in Osaka, weltweit ihre Freihandelsgesinnung unterstreichen und ihr Eintreten für den Multilateralismus gegenüber dem Protektionismus von Donald Trump.
Nach seiner endgültigen Ausarbeitung und vor dem Inkrafttreten muss das Abkommen zuerst vom EU-Ministerrat gebilligt werden, bevor es dann durch das Europa-Parlament und die nationalen Parlamente aller Mitgliedsstaaten zu ratifizieren ist.

● Riesiger Markt

Mit diesem Abkommen entsteht ein integrierter Markt von 780 Millionen südamerikanischen und europäischen Konsum-Bürgern. Es sieht eine Zollsenkung von fast 90% zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken vor. Mercosur wird seine Zölle über mehrere Jahre für die chemische oder pharmazeutische Industrie, Textilien und eine gewisse Zahl von Nahrungsmitteln, wie Alkohol, Süßwaren oder Fischereiprodukte, abschaffen. So fallen die Zölle für Kraftwagen über 15 Jahre von 35 auf 0%.

Die Europäische Union ist bereit, 99.000 Tonnen Rindfleisch, 180.000 Tonnen Zucker, 100.000 Tonnen Geflügelfleisch, 600.000 Tonnen Ethanol, 60.000 Tonnen Reis und 45.000 Tonnen Honig zu geringeren Zöllen einzuführen. Im Gegenzug wird die EU zollfrei 30.000 Tonnen Käse, 10.000 Tonnen Milchpulver und 5000 Tonnen Säuglingsmilch in die Mercosur-Länder exportieren können. Das Abkommen sieht auch die Anerkennung von geschützten geographischen Angaben für 375 Produkte durch die Mercosur-Staaten vor.

● Starke Opposition

Bei europäischen, französischen und deutschen landwirtschaftlichen Verbänden, die eine Überflutung der EU-Märkte durch Lebensmittelprodukte aus den Mercosur-Staaten befürchten, stieß das Abkommen auf lautstarke Opposition. Auch die Zivilgesellschaft nahm klar Stellung gegen dieses Abkommen. Mitte Juni hatten bereits 340 NGOs einen Brief an den Präsidenten der EU-Kommission gerichtet mit der Bitte, die Verhandlungen über das Mercosur-Abkommen einzustellen.

Ein Hauptkritikpunkt: Im Abkommen ist kaum etwas über die Einhaltung der Menschenrechte enthalten. Die NGOs haben darauf verwiesen, dass die Achtung dieser Rechte in den EU-Verträgen als eines der Hauptziele vorgesehen ist. Sie machen darauf aufmerksam, dass sie seit der Amtseinführung des neuen Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien im letzten Januar steigende Verletzungen der Menschenrechte, zunehmende Angriffe auf Minoritäten, LGBT-Gruppen, einheimische Völker und andere traditionelle Gemeinschaften festgestellt haben.

Auch wenn das Abkommen ein Kapitel über Umwelt, nachhaltige Entwicklung, Forstverwaltung und Arbeitsrechte einschließt, so ist hierzu keine genaue und nachprüfbare Verpflichtung vorgesehen. Dies gilt vor allem für das Pariser Abkommen zum Klimawandel, zu dem die NGOs konkrete Verpflichtungen eingefordert hatten. Bolsonaro konnte in Osaka ein Versprechen abgeben, dieses Abkommen zu achten. Doch wer wird ihm glauben, wenn zu gleicher Zeit in Brasilien im Bereich Umwelt die Institutionen und die Gesetzgebung entweder abgeschafft oder doch auf „dramatische Art und Weise“ geschwächt wurden? Wenige Tage später sprach Bolsonaro eine klare Sprache, als er vor der Auslandspresse, an europäische Journalisten gewandt, laut Le Monde vom 21./22.7.2019 erklärte: „Der Amazonas gehört Brasilien, nicht ihnen!“ In Brasilien wurden in sechs Monaten 239 Pestizide freigegeben; davon ist ein bedeutender Anteil als toxisch oder höchst toxisch für Gesundheit und Umwelt eingestuft. Ein Drittel dieser Pestizide sind in der EU verboten.

● Beitrag zur Verschärfung der Klimakrise

Diese Vorbehalte und Befürchtungen waren auch Thema eines Gesprächs, das Nicolas Hulot, ehemaliger französischer Umweltminister, der Zeitung Le Monde am 2.7.2019 gewährte: „Ich verstehe nicht, wie man dieses Abkommen in diesem Zustand unterzeichnen kann. Diese Art von politischer Entscheidung zeigt, dass man über keinen systemischen, globalen Ansatz gegen den Klimawandel verfügt. Es fehlt völlig an Kohärenz… man lässt einen Präsidenten, Jair Bolsonaro, den Amazonaswald verwüsten, ohne den man keine Möglichkeit hat, den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen. Es geht hier allein weltweit um zehn Jahre Treibhausgasemissionen. Darüber hinaus zeigt man sich gleichgültig gegenüber den zahlreichen und wiederholten Vergehen an den Amazonas-Indianern, da man gedungenen Handlangern in Forstwirtschaft, Bergbau und Ölwirtschaft freien Lauf lässt, ohne sich um diese Bevölkerungen und ihre Rechte zu kümmern. Somit wird eine Art Genozid im Laufe der Geschichte dieser Indianer vollbracht“.

Der Abschluss des Handelsabkommens der EU mit den Mercosur-Staaten folgt nur kurze Zeit auf die Freihandelsabkommen mit Kanada, Singapur, Japan und Mexiko. Weder die Kommission von Jean-Claude Juncker noch die Mitgliedstaaten sind sich der Auswirkungen dieser Abkommen auf den Klimawandel bewusst. „Der Freihandel steht am Ursprung aller ökologischer Probleme“, behauptet Nicolas Hulot. „Man kann niemand mehr Glauben schenken: man sagt etwas und im Gefolge (…) unterschreibt man Verträge, die uns in die entgegengesetzte Richtung führen.“

● Handelsabkommen und ihre Folgen

Die steigende Zahl der Handelsabkommen wird in erster Linie zu einer Erhöhung der Produktion, des Handels und des Verbrauchs von fossilen Brennstoffen führen, und das in einem Moment, wo es einen weltweiten Konsensus gibt über die Notwendigkeit, diese zu reduzieren. Darüber hinaus hat die Organisation Grain klargestellt, wie der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und mit Nahrungsmitteln die Klimakrise verschlimmert, aus mehreren Gründen (s. Grain, Hold-up sur le climat – Comment le système alimentaire est responsable du changement climatique et ce que nous pouvons faire, Cetim/Grain, 2016, pp 59-73):

* Durch die Erhöhung der Produktion, des Handels und des Konsums von Lebensmitteln, die große Treibhausgasemittenten sind. Die Lebensmittel, die am meisten zum Klimawandel beitragen, sind rotes Fleisch (Rind-, Schafs- und Schweinefleisch), Milchprodukte, Fischprodukte, Geflügel, Palmöl und hochverarbeitete Lebensmittel.

* Durch die Entwicklung der auf den Export ausgerichteten industriellen Landwirtschaft zum Nachteil der Bauernhöfe und der lokalen Lebensmittelsysteme. Die industrielle Landwirtschaft hat die Förderung der Rind-, Schweine- und Geflügelfleischproduktion zur Folge. Auf der Basis von Sojaernährung hat diese Tierzucht eine desaströse Auswirkung auf die Umwelt, angesichts der massiven Waldrodung und des Anbaus von Monokulturen mit GVO-Saatgut und Pestiziden, zu denen sie in Lateinamerika führt. Ähnlich verhält es sich bei der Produktion von Mais, Zucker und Palmöl.

* Durch den Ausbau von internationalen Supermärkten und hochverarbeiteten Lebensmitteln. Diese Supermärkte nutzen die Handelsabkommen, um neue Märkte in Asien, Lateinamerika und Afrika zu erobern. Diese Entwicklung wird begleitet von Produktion, Handel und Konsum von verarbeiteten Lebensmitteln. Diese sind bedeutende Emittenten von Treibhausgasen, nicht nur wegen der Energie, die für Verpackung, Verarbeitung und Transport der Lebensmittel gebraucht wird, sondern auch wegen der Emissionen, die durch die Bewirtschaftung produziert werden. Zusätzlich zeichnen sie sich allgemein durch einen großen Zucker- oder Fettgehalt aus. Die Verbreitung dieser Produkte hat über das NAFTA-Abkommen, das 1994 zwischen den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexico in Kraft getreten ist, in Mexico einen schnellen Anstieg erfahren und zu schweren öffentlichen Gesundheitsproblemen und zu einer beunruhigenden Ausbreitung der Fettleibigkeit geführt.

* Die Entwicklung der lokalen Lebensmittelwirtschaft wird beeinträchtigt. Programme, die dazu auffordern, „national“ oder „lokal einzukaufen“ und die Regulierung über die Landursprungsetikettierung werden gemäß der Freihandelsdoktrin allgemein als diskriminierend und handelsverzerrend angesehen.

● Reform der europäischen Handelspolitik

Schlussfolgerung: Die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen wäre gut beraten, eine Reform der europäischen Handelspolitik vorzunehmen. Diese müsste sich durch eine größere Transparenz auszeichnen, die Konsultierung der Parlamente und der Zivilgesellschaft vorsehen, genaue Verpflichtungen gegenüber den wichtigsten Verträgen im Bereich Menschenrechte und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beinhalten. Die Achtung des Pariser Abkommens zum Klimawandel wäre zu fordern, begleitet von prüfbaren Zielen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen und des Schutzes der Artenvielfalt. Für die Konzerne wären, gemäß den Empfehlungen des BEPS-Projektes (Aushöhlung der Steuerbasis und Gewinnverlagerung), Minimalsteuersätze für Unternehmensgewinne vorzusehen.

Jean Feyder war Botschafter Luxemburgs, zuletzt bei den in Genf ansässigen internationalen Institutionen; u.a. leitete er die LDC-Arbeitsgruppe in der WTO und war Präsident des Trade & Development Board der UNCTAD.

Posted: 28.7.2019

Empfohlene Zitierweise:
Jean Feyder: Das EU-Mercosur-Abkommen in der Kritik, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 28. Juli 2019 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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