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Das Versagen der EU in der Venezuela-Krise

Artikel-Nr.: DE20190225-Art.04-2019

Das Versagen der EU in der Venezuela-Krise

In treuer Gefolgschaft

Vorab im Web - Anfang Februar haben 19 EU-Staaten Juan Guaidó als Interimspräsidenten Venezuelas anerkannt. Diese Anerkennung erfolgte, nachdem mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, Ende Januar Nicolás Maduro in einem Ultimatum aufgefordert haben, innerhalb von acht Tagen neue Präsidentschaftswahlen auszurufen, was Maduro, wie zu erwarten, ablehnte. Diese EU-Staaten folgten somit dem Beispiel Donald Trumps und seinem Hauptargument, Maduro sei ein illegitimer Präsident, ein Diktator. Sie sollten lieber Mexiko und Uruguay folgen, schreibt Jean Feyder.

Am 31. Januar nahm das Europarlament eine Resolution an, um Juan Guaidó als Interimspräsidenten anzuerkennen. 430 Parlamentarier stimmten für diese Resolution, 104 dagegen und 88 enthielten sich der Stimme. Entspricht dieses Vorgehen der europäischen Staaten und des EU-Parlaments der Rechtstaatlichkeit und den Grundsätzen des Völkerrechtes, die gemäß Artikel 24 des EU-Vertrages zu den Zielen der EU-Außen- und Sicherheitspolitik zählen?

● Interimspräsident ohne rechtliche Grundlage

Juan Guaidó hat sich am 23. Januar selbst zum Übergangspräsidenten ausgerufen. 18 Tage zuvor war er als Abgeordneter der Partei Voluntad Popular („Volkswille“) zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt worden. Guaidó stützt sich auf Artikel 233 der Verfassung, der einen solchen Schritt im Falle eines „absoluten Ausfallens“ des Präsidenten wie bei „geistiger“ oder „körperlicher“ Unfähigkeit vorsieht. Dies war offensichtlich nicht der Fall; wenige Kilometer entfernt wandte sich Maduro vom Balkon des Präsidentenpalastes Miraflores aus an die Menge, die ihn lautstark unterstützte. Die Ausrufung Guaidós als Interimspräsident entbehrt jeder rechtlicher Grundlage.

Seit Tagen stellen westliche Regierungen und Medien die sog. Humanitäre Krise in den Vordergrund. Die USA haben eine humanitäre Hilfe von 20 Mio. Dollar bereitgestellt, fünf europäische Staaten haben eine solche Hilfe von 18 Millionen Dollar angekündigt. Holland will über die Karibikinsel Curacao zu dieser Hilfslieferung beitragen. Am kolumbianischen Grenzort Cucuta warten Lastkraftwagen, um Hilfsgüter nach Venezuela zu bringen. Die Grenzübergänge aber bleiben geschlossen, da Maduro diese Hilfe als Tarnung für eine Militäroperation zurückweist. Guaidó wollte am 23. Februar eine solche Operation von Kolumbien und Brasilien aus nach Venezuela durchführen und die Hilfe von seinen Anhängern verteilen lassen. Die Operation scheiterte, zumal Armeechef Vladimir Padrino bereits seine Loyalität zu Präsident Maduro erneuert und eine Abriegelung der Grenzen angekündigt hatte.

Man kann bezweifeln, ob es den USA wirklich um Demokratie und humanitäre Hilfe geht. Venezuela verfügt über eine der weltweit größten Ölreserven, aber auch über andere bedeutende Bodenschätze. Der Zugang zu solchen Reichtümern war bereits das Hauptmotiv der völkerrechtswidrigen Irak-Invasion, die die USA, unterstützt vom Vereinigten Königreich und mehreren osteuropäischen Staaten, 2003 durchführten.

Putschversuche und US-Interessen

Es ist auch nicht das erste Mal, dass die USA politisch in Venezuela intervenieren. Beim Staatsstreich vom 11. April 2002 gegen Hugo Chavez zogen die USA ebenfalls im Hintergrund die Fäden, erkannten sofort, gefolgt von Spanien und Kolumbien, den Übergangspräsidenten Pedro Carmona an, ehe dann, einige Tage später, die Armee und die Volksmobilisierung Chavez zurück an die Macht brachten.

John Bolton, Sicherheitsberater Donald Trumps, hat das Interesse der USA an den Ölvorräten Venezuelas offen zugegeben. Für ihn gehört Venezuela, neben Kuba und Nicaragua, zu der „Troika des Terrorismus“. Was die USA genau in Venezuela vorhaben, geht aus einem Geheimdokument des amerikanischen Admirals Kurt Tidd hervor, das an die Öffentlichkeit gelangte: „Der Moment zu handeln ist gekommen. Wir müssen die Unzufriedenheit der Bevölkerung verstärken, Instabilität und Unterversorgung fördern, die Geldflucht und die Abwertung der nationalen Währung organisieren, Importe behindern, ausländische Investoren demotivieren, die Lage für die Bevölkerung kritischer gestalten. Wir brauchen interne Alliierte, damit sie Demonstrationen organisieren, sich für Unruhen und Unsicherheit, Plünderungen und Attentate einsetzen.“

● Wirtschaftskrieg mit europäischer Beteiligung

Um den gewünschten Regimewechsel herbeizuführen, haben die USA massive Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela verhängt. Dieser Wirtschaftskrieg hat Venezuela bisher etwa 24 Mrd. Dollar gekostet. Auch die Europäer beteiligen sich an diesen Sanktionen. Die englische Zentralbank weigerte sich, Venezuela 14 Tonnen Gold im Wert von 1,2 Mrd. Dollar zurückzuerstatten. Die Clearinggesellschaft Euroclear mit Sitz in Brüssel stoppte Überweisungen im Werte von 2 Mrd. Dollar an Venezuela. Die spanische Fluggesellschaft Iberia lehnte den Transport von 200 000 Dosen Medikamente nach Venezuela ab, die zur Behandlung von chronischen Krankheiten dienen sollten. Die Deutsche Bank, die Commerzbank und andere europäische Banken haben Finanztransaktionen mit Venezuela zurückgewiesen.

Der Amerikaner Alfredo de Zayas, ehemaliger Sonderberichterstatter der UNO, urteilt in einem Interview mit „The Independent“ vom 3. Februar, dass die seit mehreren Jahren verhängten Sanktionen gegen Venezuela völkerrechtswidrig sind. Diese Sanktionen könnten, dem Völkerrecht entsprechend, ein „Verbrechen gegen die Menschheit“ darstellen, „sie sind zum großen Teil für die aktuelle Wirtschaftskrise in Venezuela verantwortlich und haben unnötige Tote in der Bevölkerung verursacht“.

● Maduro – ein illegitimer Präsident?
Ist Maduro wirklich illegitim, wie Guaidó, die USA und Europa behaupten?
Maduros Vorgänger Hugo Chavez hat sich seit seiner Machtübernahme im Jahr 1999 nicht weniger als dreizehn Mal innerhalb von 14 Jahren einer Wahl gestellt. Eine einzige Wahl hat er verloren. Und das alles unter demokratischer Rechtmäßigkeit, die von der UNO, der Europäischen Union, der Organisation Amerikanischer Staaten und dem Carter Center anerkannt wurde.

Maduro selbst wurde am 20. Mai 2018 wiedergewählt – in Wahlen, die auf Antrag der Opposition vorgezogen und nicht erst im Dezember abgehalten wurden. Im Februar 2018 fanden in der Dominikanischen Republik Verhandlungen statt über die Wahlorganisation zwischen allen Parteien unter der Leitung des ehemaligen spanischen Premierministers José Luis Zapatero. Es kam zu einer Einigung, doch im letzten Moment, als Zweifel über einen Sieg der Opposition aufkamen, zogen sich drei Oppositionsparteien – darunter Voluntad Popular – unter dem Einfluss der USA zurück. Zum großen Unmut Zapateros. „Absurd“ nannte er das Verhalten der USA und der EU, Wahlen zu missbilligen, bevor sie überhaupt stattgefunden hatten. Er empfand es als „beängstigend, dass solch wichtige Positionen mit so wenigen Urteilselementen eingenommen werden“.

Die Absicht dieses Rückzugs war, die Legitimität der Wahlen in Frage zu stellen. Doch 16 Parteien beteiligten sich, sechs Kandidaten stellten sich der Wahl zum Präsidenten. Fast 9,5 Millionen nahmen an der Wahl teil, 46% der Wähler. Maduro gewann mit großer Mehrheit und 6,2 Mio. Stimmen, (67,84%), gefolgt von Henri Falcón mit 1,9 Mio. Stimmen (20,93%). Keiner der Kandidaten stellte die Resultate in Frage. Es gab 150 internationale Wahlbeobachter, für die die Wahlen „recht transparent“ waren und der „internationalen sowie der nationalen Gesetzgebung entsprachen“.

Es war dasselbe Wahlsystem, mit dem die Opposition die Parlamentswahlen im Dezember 2015 gewann – voll automatisiert, mit Überprüfungen vor, während und nach den Wahlen. Claudio Fermín, der Leiter der Wahlkampagne Falcóns erklärte: „Der Sieg des Staatschefs am 20. Mai 2018 entspricht einer politischen Tatsache. Folglich ist Maduro ein legitimer Präsident“.

● Nur Verhandlungen können den Konflikt lösen

Der Zerfall der Ölpreise hat sicherlich zur desolaten Lage Venezuelas beigetragen. Dennoch sind auch viele Mängel und Fehler der Regierung Maduros nicht zu verheimlichen: Korruption, eine schwache Währungspolitik, die eine Hyperinflation verursacht, ungenügende Bekämpfung von Fluchtkapital, Mitverantwortung für die absackende Ölproduktion, fehlende Diversifizierung der Wirtschaft, die noch immer zu über 90% von den Ölexporten abhängt, laufende Zahlung der Auslandschuld, wohingegen ein Schuldenmoratorium wichtige Einnahmen für die Bedürfnisse der Bevölkerung bereitstellen könnte.

Die Europäer sollten ihre Sanktionen gegen Venezuela aufheben. Sie wären besser beraten, die Haltung Mexikos und Uruguays zu befolgen. Lopez Obrador und Tabaré Vázquez weigern sich, sich in die inneren Angelegenheiten Venezuelas einzumischen. Nur über Verhandlungen kann der Konflikt gelöst werden. Zu hoffen bleibt, dass die Kontaktgruppe zwischen europäischen und lateinamerikanischen Staaten dazu beitragen kann. Sie ist am 7. Februar ein erstes Mal in Montevideo zusammengekommen und soll in drei Monaten ihre Arbeiten abschließen. Jean Feyder ist ehemalige Botschafter Luxemburgs, zuletzt bei den in Genf ansässigen internationalen Organisationen; u.a. leitete er die LDC-Arbeitsgruppe in der WTO und war Präsident des Trade & Development Board der UNCTAD.

Posted: 25.2.2019

Empfohlene Zitierweise:
Jean Feyder: Das Versagen der EU in der Venezuela-Krise. In treuer Gefolgschaft, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 25. Februar 2019 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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