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Die Finanzialisierung der Entwicklungspolitik

Artikel-Nr.: DE20190510-Art.06-2019

Die Finanzialisierung der Entwicklungspolitik

Finanzflüsse wie ein Wasserfall?

Die Weltbank hat erfolgreich die Idee propagiert, dass private Finanzierung die Lösung für dringende Entwicklungs- und Sozialprobleme ist, einschließlich für die Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) im Rahmen der 2030-Agenda. Schon ohne neue Verpflichtungen wie die SDGs läge die globale Finanzierungslücke (vor allem für Infrastrukturinvestitionen) bei 350 Mrd. US-Dollar jährlich. Mit den SDGs wäre sie dreimal so groß. Daher hänge der Erfolg der 2030-Agenda von der massiven Beteiligung des Privatsektors ab. Eine Kritik von Jomo Kwame Sundaram und Anis Chowdhury.

Die neue Phase wird durch die Weltbank-Strategie mit dem Titel ‘Maximizing Finance for Development’ (MFD: ‚Maximierung der Finanzmittel für Entwicklung‘) markiert. Diese geht davon aus, dass die meisten Entwicklungsländer die SDGs mit ihren eigenen begrenzten Steuereinnahmen und den zusehends knappen Mitteln der Öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) nicht erreichen können. Die Prioritätensetzung der Bank beruht auf der Prämisse, dass digitale finanzielle Inklusion per Fintech das Wachstum steigern, Arbeitsplätze schaffen und das Unternehmertum in Entwicklungsländern fördern würde.

● Finanzmaximierung

Die MFD-Strategie gibt vor, auf die Beschlüsse der G20 vom April 2017 zu reagieren (‚Principles of MDBs’ strategy for Crowding-in Private Sector Finance for growth and sustainable development‘). Auch hat die G20 eine ‘Roadmap to Infrastructure as an Asset Class‘ (‚Infrastruktur als Anlageklasse‘) entwickelt, u.a. für Energie, Transport und Wasser. In Wirklichkeit hat die Bank ihre Strategie von 2015 ‘Billions to Trillions: Transforming Development Finance‘ recycelt, wobei sie argumentiert, dass Multilaterale Entwicklungsbanken ihre Finanzmittel durch Verbriefung ‚hebeln‘ sollten, um als Katalysator für private Investitionen zu wirken und so die Kapitalmärkte durch die Transformierung bankfähiger Projekte in flüssige Wertpapiere zu fördern.

Die MFD-Strategie geht davon aus, dass öffentliche Gelder hauptsächlich zur Hebelung privater Finanzmittel, vor allem institutioneller Investitionen, genutzt werden sollten, um die SDG-Finanzierungslücke von Billionen Dollar zu schließen.

● Koalitionen im Zeichen der Finanzialisierung

Die MFD-Strategie will die Finanzialisierung und den Übergang zu Wertpapier-gestützten Finanzsystemen in Entwicklungsländern ermöglichen und ergänzt damit andere Initiativen der Bank, des IWF und der G20. Solche Initiativen sollen zugleich Investoren ermutigen, ökologische, soziale und Governance-Kriterien zu nutzen, um die notwendigen Finanzmittel anzuziehen, zu mobilisieren und zu verstetigen. Öffentliche Garantien scheinen notwendig, um Projekte weniger risikoreich zu machen, vor allem Öffentlich-Private Partnerschaften (PPPs).

Unterdessen unterstützt die International Finance Corporation (IFC), eine Weltbank-Tochter, die Einbeziehung des Kapitalmarkts in die Infrastrukturentwicklung mit Subventionen; die MFD-Strategie sieht Kapitalmarktinvestitionen in ‚Grüne Anleihen‘, ‚Soziale Impact-Bonds‘, Infrastrukturanleihen usw. vor.

Die Wertpapiermärkte sollen so institutionelle Investoren befähigen, wünschenswerte soziale und ökologische Erträge zu generieren. Die MFD-Befürworter behaupten, dass die Kapitalmärkte neue Lösungen für entwicklungspolitische Herausforderungen bereitstellen können, etwa bei inadäquater Infrastruktur oder bei schlechtem Zugang zu Schulbildung, sauberem Wasser, Sanitäreinrichtungen und Wohnraum.

Der Financial Stability Board hat auch Maßnahmen vorgeschlagen, um ‚Schattenbanken‘ in wertpapiergestützte Finanzeinrichtungen zu transformieren, während die ‚Sustainable Finance Initiative‘ der Europäischen Kommission auf ähnliche Weise bemüht ist, institutionelle Investoren und Anlagemanager umzuorientieren.

● Kaskaden der Finanzialisierung

Die Weltbank nennt ihrem neuen Ansatz ‚Kaskaden‘-Ansatz. Damit versucht sie, die Verbriefung von Krediten zu erleichtern, indem Repomarkt-Finanzierungen und Hedging sowie die ‚Rehypothekisierung‘ ermöglicht werden, d.h. erlaubt wird, Verbriefungen für wiederholte Neuausleihungen zu verwenden.

Der Kaskaden-Ansatz soll die Finanzialisierung wasserfallartig beschleunigen, und zwar mit der Bereitstellung neuer Anlageklassen, der Unterstützung von Banken beim Engagement in Verbriefungen und minimal regulierte Derivatemärkte, der Deregulierung von Finanzinstitutionen, indem handelbare Papiere aus PPP-Projekten geschaffen und so angeblich entwicklungspolitische nützliche Kapitalflüsse erleichtert werden. Der Ansatz geht davon aus, dass Marktunvollkommenheiten und fehlende Märkte den Privatsektor davon abhalten, in nachhaltige Entwicklungsprojekte zu investieren, und schlägt vor, solche Engpässe durch die ‚Internalisierung von Externalitäten‘ und die Bereitstellung von Subventionen und Investitionsgarantieren zu beheben.

Tito Cordella von der Weltbank stellt fest, dass der neue Ansatz private Finanzmittel selbst dann bevorzugt, wenn ein Projekt wahrscheinlich auch mit öffentlicher Finanzierung profitabel wäre. Er weist auf das Spannungsverhältnis zwischen der Maximierung privater Finanzierung einerseits und der Optimierung von Entwicklungsfinanzierung andererseits hin. Öffentliche Finanzierungsoptionen sollen erst in Betracht gezogen werden, wenn alle privaten Optionen ausgeschöpft oder gescheitert sind.

Somit geht der Kaskaden-Ansatz davon aus, dass der Privatsektor trotz aktueller Erfahrungen stets effizienter ist als öffentliche Investitionen. Deutlich reflektiert dies nicht nur eine ideologische Präferenz für private Finanzierungen, sondern auch das Bestreben, Wertpapier- und Derivate-Märkte zu fördern, da die Liquidität der Märkte zu den Kernprinzipien der G20-Strategie für die Multilateralen Entwicklungsbanken und für das „Crowding-in“ der Privatsektor-Finanzierung gehört.

● Geiselnahme der Entwicklungsfinanzierung

Die Strategie der Weltbank würde somit knappe öffentliche Ressourcen einsetzen, um solche Finanzarrangements vom Risiko zu befreien und ‚bankfähige‘ Entwicklungsprojekte in handelbare Anlagewerte zu verwandeln. Dies bedeutet, dass die Regierungen mehr der voraussehbaren Kosten größerer finanzieller Fragilität und Krisen tragen würden. Damit würden unausweichlich notwendige Finanzinstitutionen wie Entwicklungsbanken unterminiert. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass die MFD-Strategie irgendwie eine Kapitalmarkt-Infrastruktur schaffen wird, die die Finanzierungsmöglichkeiten für Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) oder für die notwendigen entwicklungspolitischen Transformationen verbessert.

Wenn die künftigen Einnahmeströme eines Projekts einmal sekurisiert/verbrieft sind, haben die ökologischen und sozialen Standards der multilateralen Entwicklungsbanken keine Bedeutung mehr. Die von den Investoren gehaltenen Verträge zur Rückzahlung verbriefter Schulden wären losgelöst von dem zugrundeliegenden finanzierten Projekt und seinen Konsequenzen.

Die Eigner dieser Verbriefungen hätten keine Anreize, sozialen oder ökologischen Zielen Vorrang einzuräumen. Private Aktien- und Hedgefonds mit kurzfristigen Anreizen zur Profiterzielung, einschließlich durch die Abstoßung von Anlagewerten, sind nicht um soziale, ökologische oder öffentliche Interessen besorgt.

Es überrascht nicht, dass es beträchtliche Zweifel gibt, ob private Kapitalmärkte und institutionelle Investoren zur Finanzierung langfristiger öffentlicher Güter gebracht werden können, da diese Mechanismen das Profitmotiv bedienen und nicht das öffentliche Wohlergehen.

Jomo Kwame Sundaram war Professor für Wirtschaft und Assistenz-Generaldirektor für wirtschaftliche und soziale Entwicklung. 2007 erhielt er den Wassily-Leontief-Preis für Verdienste um wirtschaftliches Denken. Anis Chowdhury ist außerordentlicher Professor in Australien und hatte leitende Positionen der Vereinten Nationen in New York und Bangkok (© IPS).

Posted: 10.5.2019

Empfohlene Zitierweise:
Jomo Kwame Sundaram/Anis Chowdhury: Die Finanzialisierung der Entwicklungspolitik. Finanzflüsse wie ein Wasserfall, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 10. Mai 2019 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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