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Scholzens Zombie-Projekt: Die Bonsai-FTT

Artikel-Nr.: DE20191218-Art.17-2019

Scholzens Zombie-Projekt: Die Bonsai-FTT

Finanztransaktionssteuer Walking Dead

Olaf Scholz hat mit großem PR-Aufwand einen Direktiventwurf für eine Finanztransaktionssteuer (FTT) vorgelegt, die in einer Koalition der Willigen aus zehn EU-Mitgliedsstaaten eingeführt werden soll. Die Steuer war lange eine Flaggschiffforderung der progressiven Zivilgesellschaft und schien vor drei Jahren sogar vor einem Durchbruch zu stehen. Scholz legt jetzt nur noch eine Aktiensteuer vor, die lediglich 10% der Wertpapierumsätze erfasst. Ein regelrechter Zombie von Projekt, schreibt Peter Wahl.

Eigentlich war sie schon vorher klinisch tot. Emmanuel Macron hatte in seiner gehypten Rede an der Sorbonne im September 2017 fast eine ganze Seite seines Redemanuskripts der Finanztransaktionssteuer (FTT) gewidmet. Aber selbst manche Linke waren damals so begeistert von dem französischen Strahlemann, dass die entsprechende Passage nur die wenigsten zur Kenntnis nahmen. Dort erteilt er nämlich einem entscheidungsreifen Vorschlag, der in über vierjährigen Verhandlungen ausgearbeitet und auch von der Regierung seines Vorgängers gebilligt worden war, eine Absage.

● Schon Macron hat die FTT zum Zombie gemacht

Zwar war dieser Vorschlag schon ziemlich verwässert, aber immerhin hätte er auch Derivate erfasst und damit rund 90% der Wertpapierumsätze. Außerdem enthielt er einige innovative Ideen gegen Steuerhinterziehung durch die Kombination des Herkunftsprinzips eines Wertpapiers mit dem sog. Ausgabeprinzip. D.h. ein Papier hätte auch dann besteuert werden können, wenn es z.B. zwischen der Wallstreet und Shanghai gehandelt worden - sofern es in einem der Teilnahmestaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Österreich, Belgien, Griechenland, Portugal, Slowenien, Slowakei) ausgegeben wurde. Und die Einnahmen hätten immerhin noch in der Größenordnung von 15- 20 Mrd. € gelegen. Der in Brüssel für das Projekt verantwortliche Beamte sprach vom „einzigen linken Projekt der Juncker-Kommission.“

Mit seinem Vorstoß machte Macron die FTT zum Zombie. Statt des verhandelten Konzepts brachte er die unilaterale Steuer auf Aktien französischer Unternehmen als Modell ins Spiel, die Sarkozy unter dem Eindruck des Finanzcrashs von 2008 eingeführt hatte. Und da gegen Frankreich in so einer Sache natürlich nichts läuft, witterte Scholz die Gelegenheit, eine Schrumpfsteuer ohne Regulierungswirkung, die dem Finanzkapital nicht wehtut, als „europäische Lösung“ zu verkaufen.

Und in der Tat findet sich in dem deutschen Entwurf viel Copy and Paste aus der französischen Steuer. Um die Akzeptanz bei einem uninformierten Publikum zu erhöhen, wird vorgeschlagen, die Einnahmen – etwa eine magere Milliarde Euro – zur Finanzierung der Grundrente zu verwenden. Dass die Veröffentlichung des Konzepts dann noch in die Endphase der Kandidatenkür der SPD fiel, war alles andere als Zufall. Aber selbst für diese Bonsai-FTT ist nicht sicher, ob sie wirklich noch kommt. In der CDU regt sich Widerstand, und einige Regierungen haben ebenfalls bereits Kritik angemeldet.

Es ist davon auszugehen, dass der Brexit als Vorwand genommen wird, das Projekt weiter zu demontieren. Denn wenn die Londoner City erst mal aus der EU draußen ist, steht zu erwarten, dass die Tory-Regierung mit Deregulierung und Liberalisierung ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern versucht. Das liefert dem kontinentalen Finanzkapital dann das Argument, dass selbst Scholzens mickrige Steuer nicht mehr in die Landschaft passt.

● Die Geschichte der FTT – ein politisches Lehrstück

Als sich Ende der 1990er Jahre mit der Asienkrise die Anzeichen zu häufen begannen, dass die finanzmarktgetriebene Globalisierung der Menschheit vielleicht doch nicht die beste aller Welten beschert, gewann die Idee einer Finanztransaktionssteuer an Popularität. Sie sollte dazu dienen „Sand ins Getriebe“ des sich immer schneller drehenden Rads liberalisierter Finanzmärkte zu streuen. Ein marktkonformes Instrument, das von dem liberalen Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin schon nach dem Ende von Bretton Woods vorgeschlagen worden war.

Als im Dezember 1997 Le Monde Diplomatique einen Aufruf mit dem Titel „Entwaffnet die Märkte!“ veröffentlichte, war die Tobin-Steuer als Instrument dafür vorgesehen. Es folgte daraufhin die Gründung von Attac, das den Namen der Steuer sogar im Namen trägt („Association pour la taxation des transfers financiers à l’aide des citoyens“), und weite Teile der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und linke und sozialdemokratische Parteien übernahmen die Forderung in ihre Programme. Damals hielt die veröffentlichte Meinung die Globalisierung noch für den Anbruch des goldenen Zeitalters, und da war so eine Steuer fast schon revolutionär. Die Tobin-Steuer machte ziemlich viel Wirbel, Durchsetzungschancen bekam sie allerdings nicht.

● Zwischenzeitlich: Vergebliche Hoffnungen

Das änderte sich mit dem Crash 2008 und der Eurokrise. Im Frühjahr 2010, als der Kollaps Griechenlands drohte, war die Panik in Brüssel so groß, dass man sich zu einer FTT durchrang, obwohl man das davor jahrelang abgelehnt hatte. Das Konzept, das dann für die EU-28 vorgelegt wurde, brachte eine Überraschung. Es überholte die Forderungen, die die Zivilgesellschaft jahrelang gestellt hatte, von links. Allerdings mit einer Einschränkung: die Tobin-Steuer war als Steuer auf Devisengeschäfte gedacht. Das aber steht im Widerspruch zum Allerheiligsten der EU, der Kapitalverkehrsfreiheit.

Unter den vier Grundfreiheiten, die als Primärrecht gegenüber allen anderen Politikfeldern ohnehin schon privilegiert sind, ist der freie Fluss des Kapitals noch einmal zusätzlich nobilitiert. Er gilt nämlich nicht nur innerhalb der EU, sondern auch im Außenverkehr. Und auch das Reziprozitätsprinzip ist für ihn außer Kraft gesetzt. D.h. Kapital darf von der EU auch im Verkehr mit Ländern nicht kontrolliert werden, die selbst Kapitalverkehrskontrollen anwenden. Ein schönes Beispiel dafür, wie die supranationalen Regeln im Interesse des Finanzkapitals funktionieren und alternative Handlungsoptionen ausschließen – zumindest solange man sich an die Verträge und EuGH-Urteile hält.

Doch dann kam Macron

Dennoch erfasste der Vorschlag alle Wertpapierklassen – Aktien, Anleihen und Derivate. Er hätte den Hochfrequenzhandel ausgetrocknet, und so die Stabilität auf den Finanzmärkten verbessert. Und er hätte Einnahmen in der Größenordnung von mindestens 50 Milliarden Euro generiert. Das war dann für manche Mitgliedsländer – z.B. Großbritannien, Schweden oder die Steueroase Luxemburg - zu starker Tobak und das Projekt fand keinen Konsens.

Als schon alles verloren schien, zog die Kommission dann das Verfahren der „Enhanced Cooperation“ aus der Tasche, das damals kaum jemand kannte, aber im Lissabon-Vertrag vorgesehen ist. Es ermöglicht einer Gruppe von mindestens neun Mitgliedsländern, die 60% der EU-Bevölkerung repräsentieren und 75% der Stimmen im Rat haben, Projekte ohne Zustimmung der anderen durchzuführen. Das Berliner Finanzministerium, damals unter Schäuble, engagierte sich stark, um das Quorum zusammenzubekommen. In diesem Rahmen wurde ab Februar 2013 verhandelt. Zwar wurde auch dabei schon so manche Verwässerung und Ausnahme durchgesetzt – so z.B. wurden zuerst Staatsanleihen und später auch Unternehmensanleihen ausgeklammert. Aber unterm Strich war das Ergebnis immer noch einigermaßen respektabel.

Doch dann kam Macron – siehe oben. Walking dead, das ist die FTT seither. Insofern hat die Aufregung über Scholzens Vorschlag fast schon etwas von Leichenfledderei.

Posted: 18.12.2019

Empfohlene Zitierweise:
Peter Wahl: Scholzens Zombi-Projekt: Die Bonsai-FTT, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 18. Dezember 2019 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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