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Spektakuläres Laboratorium für Entwicklungspolitik

Artikel-Nr.: DE20191118-Art.16-2019

Spektakuläres Laboratorium für Entwicklungspolitik

70 Jahre Volksrepublik China

Zur Feier des 70. Jahrestags der Volksrepublik konnte China einen der beeindruckendsten Entwicklungserfolge der Geschichte reflektieren. Chinas Anteil an der Weltwirtschaft wuchs in den Jahren der Volksrepublik um mehr als 13 %-Punkte auf 18% und holte hunderte von Millionen Menschen aus der Armut. Der Anteil des Vereinigten Königreichs an der Weltwirtschaft wuchs während der Industriellen Revolution gerade um 2,1%. Ein kurzer Überblick von David Daokui Li.

China diente zugleich als ein spektakuläres Laboratorium für ökonomische Experimente: Seine Strategien in den 30 Jahren bis 1979 unterschieden sich grundsätzlich von der Öffnungs- und Reformpolitik, die darauf folgte. Wir können vier grundlegende Lehren aus den Erfahrungen Chinas ziehen:

● Vier grundlegende Lehren

Erstens: Die Bedeutung der Verbesserung der Entwicklung des human capital und der Infrastruktur. Zwischen 1949 und 1979 verdoppelte sich die Lebenserwartung nahezu von 35 auf 66 Jahre; von 1949 bis 1982 fiel die Analphabetenrate von 80 auf 23%; in der Grundbildung wurde Gendergleichheit erreicht. Ohne diese Erfolge wäre das schnelle Wachstum im Zuge der Öffnung und Reform nach 1979 nicht möglich gewesen.

Die zweite Lehre lautet, dass der Hauptvorteil der Globalisierung in der Fähigkeit besteht, von den weltweit besten Praktiken zu lernen. Die Interaktion mit ausländischen Firmen hat die chinesische Regierung, die Unternehmer und die Arbeiter gezwungen, sich internationale Standards zu eigen zu machen. Die Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith und David Ricardo lagen falsch: Bildung statt Profitieren von absoluten oder komparativen Vorteilen verschafft reale Vorteile vom Freihandel.

Die dritte Lehre ist weniger offensichtlich und vielleicht am überraschendsten: Die Märkte sind absolut entscheidend für Wachstum, können sich aber nicht selbst entwickeln. Eine sich wohlverhaltende Regierung muß die Geburtshelferin spielen. Neoklassische Ökonomen wie Milton Friedman müssen umerzogen werden. Chinesische Beamte, vor allem in lokalen Regierungen, verfügen über enorme Anreize, die Märkte zu unterstützen. Sie konkurrieren um Kapital und Unternehmen, um Steuereinnahmen zu steigern und Förderungen zu bekommen.

Die vierte Lehre ist schmerzvoll und ergibt sich aus dem Desaster des Großen Sprungs nach vorne und der Kulturrevolution: Checks and balances der Macht innerhalb der kleine Gruppe der obersten Entscheider ist in der Demokratie absolut wichtig. (Demokratie für die gesamte Bevölkerung ist eine andere Frage.) In den letzten Jahren wurde Mao Zedong als Gott gesehen und traf katastrophale Entscheidungen gegen den Widerstand seiner hohen Kollegen. Wie Präsident Xi Jinping es gesagt hat: Die Macht muss im Käfig der Institutionen begrenzt werden. Diese Lektion ist besonders wichtig für starke Führer in Entwicklungsländern.

● Drei Herausforderungen bleiben

Nach vorne blickend ist China in einer Position, bis 2025 in die Gruppe der Hocheinkommensländer aufzusteigen, und es strebt danach, bis 2025 zu den reichsten Ländern der Welt zu gehören. Auf seinem Weg dahin wird China sich wahrscheinlich in einen modernen Markt entwickeln, in dem der Staat wahrscheinlich beträchtliche Anlagegüter zum Nutzen der öffentlichen Finanzen, der makroökonomischen Stabilität und der wirtschaftlichen Gleichheit sein Eigen nennen wird. Der Westen wird lernen müssen, diese Form der Marktwirtschaft zu akzeptieren.

Um diese Ambitionen zu erreichen, wird China drei bezeichnende Herausforderungen überwinden müssen. Es wird einen Wechsel vom schnellen Wachstum zum Hochqualitätswachstum vollziehen müssen. Dabei wird man die faulen Kredite aus der Zeit des zweistelligen Wachstums bewältigen müssen. Auch muss das Land einen Weg finden, die Größe seiner Bevölkerung mit mittlerem Einkommen vom 400 auf 800 Millionen zu verdoppeln, um heimische Nachfrage zu schaffen.

Chinas zweite Herausforderung besteht darin, seine Reformen zu vervollständigen und sein Staatsvermögen von 200% des Bruttoinlandsprodukts mit einer Marktwirtschaft vereinbar zu machen. Wenn die Einkommen aus Staatsanlagen nur um 0,5% wachsen würden, wäre das Land in der Lage, alle persönlichen Einkommenssteuern abzuschaffen.

Die dritte Herausforderung ist die drängendste. Peking muss lernen, in einer Zeit zu führen, in der die USA konfus und paranoid sind. Dazu mag gehören, Angriffe von einigen US-Politikern zu tolerieren, während man heimische Reformen durchführt, den Klimaschutz vorantreibt und die Welthandelsorganisation (WTO) reformiert. Ignoriert den Lärm und tut es einfach!

David Daokui Li ist Chefökonom der New Development Bank (“BRICS-Bank”) und Professor an der Tsinghua University. © Financial Times

Posted: 18.11.2019

Empfohlene Zitierweise:
David Daokui Li: Spektakuläres Laboratorium für Entwicklungspolitik. 70 Jahre Volksrepublik China, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 18. November 2019 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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