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Das autoritäre Potential der Corona-Krise

Artikel-Nr.: DE20200416-Art.09-2020

Das autoritäre Potential der Corona-Krise

Osteuropa zwischen Krisenmanagement und Notstand

Bei der Berichterstattung über die Corona-Krise liegt die industrialisierte EU-Peripherie in Zentralosteuropa – die Visegrád-Länder und Slowenien – etwas im toten Winkel. Die Zahl der Erkrankten ist in der ersten Phase dort gering geblieben. Die Regierungen in der Region hatten aus den Erfahrungen Italiens, der Schweiz und Frankreichs gelernt – und bereits beim Auftreten der ersten Fälle im Wissen um das fragile und chronisch unterfinanzierte Gesundheitssystem scharfe Restriktionen ergriffen. Ein Überblick von Joachim Becker.

Aufmerksamkeit fanden außerhalb der Region fast nur die Erklärung des unbegrenzten Ausnahmezustandes in Ungarn und das Festhalten der PiS-Regierung in Polen an den Anfang Mai anstehenden Präsidentschaftswahlen. Doch sind Verhärtungen rechtsnationalistischer Tendenzen nicht auf diese beiden Länder begrenzt. In die Zeit der beginnenden Corona-Krise fiel ein Rechtsruck in Slowenien und der Slowakei.

● Rechtsruck in Slowenien und der Slowakei

In Slowenien kam es nach einer Regierungskrise der zentristischen, zeitweise von der Linkspartei Levica tolerierten Koalition, nicht wie vom Premierminister Marjan Šarec angestrebt zu Neuwahlen, sondern zu einem Wechsel einiger seiner Koalitionspartner zu Janez Janša, dem Kopf der nationalistischen Rechten in Slowenien und engen Verbündeten von Viktor Orbán.

In der Slowakei brachten Parlamentswahlen im Zeichen eines Anti-Korruptions-Wahlkampfes am 29. Februar eine deutliche Rechtsverschiebung. Der neue slowakische Premierminister Igor Matovič führt eine heterogene Liste von rechtskatholischen AktivistInnen und gemäßigteren Konservativen und Liberalen an. In der neuen Regierung hat nur eine kleine, hart neoliberale Partei Regierungserfahrung. Die politischen Umbrüche in Slowenien und der Slowakei haben auch Einfluss auf das Krisenmanagement.

● Ökonomische Konsequenzen

Die Visegrád-Länder und Slowenien sind durch die Corona-Krise auch ökonomisch stark betroffen. Betriebsschließungen in den Kernökonomien der EU haben unmittelbare Auswirkung auf die industrialisierte Peripherie. Mit den Produktionseinstellungen in der Automobilindustrie in Ländern wie Deutschland und Frankreich kam auch die Arbeit in den Montage- und Zulieferbetrieben in Zentralosteuropa zum Erliegen. Und die Automobilindustrie ist in der Region die industrielle Leitbranche, allein die polnische Industrie ist stärker diversifiziert.

Zur Epidemiebekämpfung wurden auch in den Visegrád-Ländern und Slowenien viele Handels- und Dienstleistungsbetriebe geschlossen. Diese Aktivitäten gehören zu den wenigen Bereichen, in denen einheimische Unternehmer*innen eine starke Bedeutung haben. Die Inhaber*innen von Bars, Restaurants, Friseurbetrieben etc. verfügen kaum über Kapital. Arbeitslose sind in der Region schlecht abgesichert, speziell in Ungarn, wo die Fidesz-Regierung bereits zu Beginn ihrer Amtszeit den Bezug des Arbeitslosengeldes auf 3 Monate verkürzte.

Bei Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten können Haushalte auch leicht bei ihren Hypothekar- und Konsumkreditschulden unter Druck kommen. Speziell in der Slowakei, der Tschechischen Republik und Polen sind in den letzten Jahren die Schulden der Privathaushalte rasch gestiegen. Die Slowakei war mehrere Jahre Spitzenreiter beim Wachstum der Verschuldung der Haushalte.

● Konturen der Anti-Krisenpakete

Zur Stabilisierung von Unternehmen haben die Länder der Region Garantie- und Kreditprogramme eingeführt bzw. in Vorbereitung. Hierbei gibt es zum Teil Programme, die eher auf Groß- bzw. Mittel- und Kleinbetriebe zugeschnitten sind. Die Abwicklung erfolgt in der Regel über staatliche Entwicklungsbanken. Im polnischen Fall hob die liberale Wochenzeitschrift Polityka hervor, dass nur etwa 4,8 Mrd. € – ca. 10% des Gesamtpaketes – in Form von Garantien an Stützungen für Großunternehmen vorgesehen seien. Sie insinuierte, dass dies damit zusammenhängen könne, dass PiS das Auslandskapital „nicht liebt“. Abgesehen davon, dass PiS auch weiterhin in weiten Bereichen auf Auslandsinvestitionen setzt, könnte der Grund für die nicht besonders starke Dotierung des Fensters für Großunternehmen sein, dass große Auslandsunternehmen in der Region sich bei Finanzierungen wenig auf die lokalen Bankensysteme gestützt haben. Größere Bedeutung haben die lokalen Bankensysteme für Klein- und Mittelbetriebe, gerade auch in einheimischem Eigentum und in den Dienstleistungsbereichen. Die Frage ist, ob den Banken die Höhe der Garantien – in Polen beispielsweise im zentralen Programm 60%-80% - ausreichen werden. Partiell sind auch Sektorprogramme angekündigt. Das gilt primär für Ungarn, wo die Regierung speziell den Tourismus und, als für die Fidesz-nahen Unternehmer besonders zentralen Sektor, die Bauwirtschaft hervorhob.

Selbständige und Kleinstbetriebe sind von der plötzlichen Schließung ihrer Betriebe besonders hart betroffen. Da sie kaum über Reserven verfügen, brauchen sie sehr rasche Erleichterungen. Diese kommen in der Region vor allem in Form von Erleichterungen bei der Zahlung von Steuern und Sozialabgaben. Auf Selbständige und Kleinstunternehmen bezogene Stützungszahlungen, in Form von Einkommenszuschüssen bzw. Kleinkrediten, lassen sich in den Maßnahmenpaketen Polens und Sloweniens finden. Die Zahlungen sind allerdings sehr knapp bemessen. Im polnischen Fall werden sie zudem teils aus einem Fonds, dem Fundusz Pracy, finanziert, der sich aus Beiträgen der Arbeitnehmer*innen speist.

● Unterschiede

Gewerkschaften wurden in die Konzipierung der Programme kaum eingebunden. Eine Ausnahme stellt hier nur die Tschechische Republik dar, wo die Sozialdemokratie der Koalitionspartner der Partei ANO des Großunternehmers Andrej Babiš ist. In Slowenien bezog die alte Regierung Šarec die Gewerkschaften in die Ausarbeitung des Maßnahmenpaketes ein, was auch noch Einfluss auf das letztliche Konzept hatte. Die Rechtsregierung Janšas grenzte sie hingegen aus, was zu gewerkschaftlichen Protesten führte.

Alle Länder haben Formen der Kurzarbeit eingeführt, wobei die Lohnersatzraten zwischen 40% und 80% variieren. Besonders eng ist die Möglichkeit der Kurzarbeit in der Slowakei definiert. Kurzarbeitergeld sichert primär die Kernbelegschaften ab. Die Beschäftigten in vielen Dienstleistungsbereichen sind ähnlich wie die Klein- und Mikro-Betriebe insgesamt schlecht abgesichert. Im sich verschärfenden Verschuldungsfall gibt es vielfach Regelungen für vorübergehende Zahlungsaufschübe.

Insgesamt sind die Anti-Krisenpakete bei eher nationalkonservativen Regierungen (Polen) bzw. beim Fortwirken neo-korporatistischer Arrangements (Slowenien, teils Tschechische Republik) etwas ausgewogener ausgefallen als bei starker neoliberaler Orientierung. Besonders gering dotiert und wenig ausgewogen sind die Maßnahmen in der Slowakei.

● Autoritäre Tendenzen

Noch bevor sich die Fidesz-Regierung an die Ausformulierung des ökonomischen Anti-Krisenpakets machte, drückte sie ein Gesetz zur Erklärung des unbefristeten Notstands mit ihrer Zweidrittelmehrheit durch das Parlament. Der Notstand gibt der Regierung die Befugnis per Dekret zu regieren. Das Parlament kann zwar de jure den Notstand beenden, real kommt der Bestimmung wegen der Zweidrittelmehrheit von Fidesz aber keine Bedeutung zu. Der Notstand ist vor allem als Absicherung für den Fall zu verstehen, dass das Krisenmanagement nicht sehr erfolgreich ist und soziale Spannungen zunehmen. Hierauf deutet auch die Einsetzung militärischer Kontrollkommissionen für als strategisch geltende Betriebe hin.

Anders als in Ungarn hat die PiS-Regierung alles getan, um die Erklärung eines Ausnahmezustandes zu vermeiden und hat sich stattdessen Sondervollmachten über ein Sondergesetz gesichert. Ein regulärer Ausnahmezustand wäre, wie der polnische Verfassungsrechtsexperte Filip Dymitrowski in einem Interview mit Przegląd hervorhebt, mit bestimmten Absicherungen, wie der Durchführung von Wahlen oder einer Veränderung des Wahlrechts verbunden. PiS will unbedingt die für den 10. Mai vorgesehenen Präsidentschaftswahlen durchführen und hat hierfür die Einführung der Briefwahl durch den Sejm gepeitscht. Die Zustimmung des Senats steht allerdings noch aus, so dass es zeitlich eng werden kann. PiS erhofft sich, dass ihr Kandidat Andrzej Duda gleich im ersten Wahlgang die Wiederwahl schafft. Für die Zeit nach den Wahlen ist PiS da anscheinend skeptischer. Es gibt erheblich Widerstände gegen die Durchführung der Wahl.

In Slowenien zeigte Janez Janša gleich nach Amtsantritt, in welche Richtung seine Ambitionen gehen. Das Krisenmanagement wurde vom Gesundheits- auf das Verteidigungsministerium verlegt. Kaderaustausch, Angriffe auf die Presse, die Gängelung von NGOs gehörte – nach dem Muster Ungarns und Polens – zu seinen ersten Prioritäten. Auch die Möglichkeiten für Referenden, die von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen vielfach erfolgreich genutzt wurden, will er einschränken. Unter den Bedingungen der Epidemie und Ausgangsbeschränkungen sieht er besonders große Handlungsspielräume.

In der Slowakei setzt der neue Premier Matovič zwar nicht auf die strukturelle Ausweitung seiner Macht, lässt aber autoritäre und rassistische Tendenzen erkennen. Er ließ Roma-Siedlungen wegen angeblich besonderer Seuchengefahr abriegeln und setzt das Militär ein. Die slowakische Regierung schuf sich Sondervollmachten für die Auswertung von Daten von Mobilfunkanbietern, gegen welche die oppositionelle sozialdemokratische Partei Smer vor dem Verfassungsgericht klagt.

Politisch zurückhaltend geht in der Region allein die tschechische Regierung mit der Corona-Krise um. Das autoritäre Potenzial der Krise wird in der industrialisierten Peripherie nur allzu deutlich.

Empfohlene Zitierweise:
Joachim Becker, Das autoritäre Potential der Corona-Krise. Osteuropa zwischen Krisenmanagement und Notstand, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 16. April 2020 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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