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Der Abstieg der USA unter Trump

Artikel-Nr.: DE20200826-Art.13-2020

Der Abstieg der USA unter Trump

Ein atemberaubender Niedergang

Der Rassismus Amerikas zerstört seinen fortgeschrittenen Status in Echtzeit – und mit ihm die besten Seiten des liberalen Internationalismus’. Der Niedergang hat eine längere Geschichte, der liberale Internationalismus hatte immer auch problematische Seiten. Doch er ist verdammt besser als der illiberale Nationalismus, den Trump als Alternative anbietet. John Feffer analysiert den aktuellen Zerfall eines Imperiums.

Klagen über den amerikanischen Niedergang sind mindestens seit der Vietnamkriegsära Allgemeinplatz. Ende der 1980er Jahre erfuhr die Niedergangsrhetorik mit der Publikation des Werks „Aufstieg und Fall der Großmächte“ von Paul Kennedy einen Aufschwung. Dieser warnte vor den Gefahren einer imperialen Überdehnung. Selbst Amerikas vermeintlicher Sieg über die Sowjetunion im Kalten Krieg stellte nur eine kurze Pause in dem Gerede über die Aushöhlung des US-Status im Vergleich zu anderen Ländern, vor allem zum aufsteigenden China, dar.

● Ein Land auf der Versagerstraße

In Amerika selbst kreist das Murren über den Niedergang meist um die Veröffentlichung des Vierjahres-Infrastruktur-Berichts der Amerikanischen Ingenieursgesellschaft (ASCE). Im Jahr 2017 bescheinigte die ASCE Amerika die Note D+ für den Zustand seiner Straßen, Brücken, Schulen, Parks und öffentlichen Verkehrsmittel. Diese Bewertung war für viele Amerikaner keine Überraschung. „Dies soll eine führende Industrienation sein?” fragen sie sich, während sie auf einen liegen gebliebenen Bus warten, auf dem Highway durch ein Schlagloch fahren, das ungenießbare Leitungswasser nicht trinken oder ihr Kind zur Schule bringen, die kurz davor ist, von den Behörden geschlossen zu werden.

Ein amerikanisches D entspricht dem deutschen “Ausreichend” – nicht mehr befriedigend, aber es reicht gerade noch zum Bestehen. In Sachen Infrastruktur befinden sich die USA gefährlich nahe an der Grenze zum Zusammenbruch.
In den letzten Monaten hat Amerika diese Schwelle allerdings überschritten. Das Land hat sich in kürzester Zeit auf leichtsinnige und impulsive Weise auf die Versagerstraße begeben.

Als Erstes hat die politische Führung versagt. Die USA werden seit drei Jahren von einem korrupten, inkompetenten Möchtegern-Diktator regiert, der sich angesichts der vielen Krisen als spektakulär untauglich für sein Amt erwiesen hat.

Zweitens hat Amerika dabei versagt, seine Bevölkerung zu schützen. Mehr als 100.000 Menschen sind durch das Coronavirus gestorben – eine Opferzahl, die normalerweise nur in Kriegszeiten erreicht wird.

Drittens hat der amerikanische Traum versagt. Die Wirtschaft ist durch die Coronakrise eingebrochen, und die Arbeitslosigkeit ist auf beinahe 20% gestiegen.

● Chronischer Rassismus

Schließlich hat Amerika durch seinen chronischen Rassismus versagt. In den letzten Wochen sind viele Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Tod eines weiteren schwarzen Amerikaners durch die Polizei zu protestieren. Am 25. Mai nahm ein Polizist in der Stadt Minneapolis George Floyd aufgrund des Verdachts auf Geldfälschung fest, fixierte ihn auf dem Boden, drückte ihm ein Knie auf den Hals und tötete ihn dadurch. Floyd war einer von mehr als 7.500 Menschen, die seit 2013 durch Polizeibeamte zu Tode kamen.

Die Demonstranten haben es satt, dass die Polizei Menschen aufgrund von Täterprofilen ins Visier nimmt und tötet. Aber sie sind auch empört darüber, dass die Pandemie und die Wirtschaftskrise überwiegend Menschen nicht-weißer Hautfarbe treffen. Ihre Wut ist vollkommen verständlich. Der Satz „I can’t breathe” (Ich bekomme keine Luft) gilt für die Opfer von Polizeigewalt und jene des Coronavirus gleichermaßen.

Die Demonstrationen sind ein Zeichen der Hoffnung, auch wenn mehr als 60.000 Soldaten der Nationalgarde in 24 Bundesstaaten aufmarschiert sind.
Die Solidaritätsbekundungen während dieser Proteste geben ebenfalls Grund zur Hoffnung. In einigen Städten knieten Polizisten zusammen mit den Demonstranten nieder. Mehrere Bürgermeister, darunter Keisha Lance Bottoms aus Atlanta, haben dem Präsidenten deutlich die Meinung gesagt. Hier in Washington sagte der Besitzer eines Restaurants, das von Plünderern niedergebrannt wurde: „Das ist keine große Sache. Wir haben seit drei Monaten geschlossen; 100.000 Menschen sind gestorben. Ich finde, die Proteste sind großartig und berechtigt.”

● Zeichen eines bevorstehenden Zusammenbruchs

Trotzdem fällt es momentan schwer, Amerika als führende Industrienation anzusehen, wenn man seine Defizite im wirtschaftlichen, politischen, sozialen und medizinischen Bereich zusammenzählt. Es ist außergewöhnlich, einem derartig schnellen Verlust von Ansehen in Echtzeit beizuwohnen – verglichen mit dem langsamen Aufstieg und Niedergang früher Zivilisationen. „Ich kenne diese Art von Gewalt”, sagte ein ehemaliger CIA-Analyst, der die Entwicklungen in China und Südostasien verfolgte, gegenüber der Washington Post. „Das ist typisch für Autokratien. Das passiert, bevor ein Land zusammenbricht.”

Die Mittel- und Oberschicht der USA mögen überrascht sein. Aber die momentanen Proteste zeigen eindrucksvoll, dass große Bevölkerungsschichten noch nie den Standard eines hochentwickelten Landes genossen haben, weil sie im „anderen Amerika” leben, wie es Michael Harrington vor fast 60 Jahren nannte.

● Trumps rassistische Reaktion

Donald Trump hat sich schon immer als „Law and Order”-Politiker positioniert, obwohl seine Worte und Taten Unordnung hervorbringen und gegen Gesetze verstoßen. Er hatte noch nie viel Mitgefühl für die Opfer von Polizeigewalt. Nach einer flüchtigen Beileidsbekundung als Reaktion auf den Tod von George Floyd änderte Trump schnell wieder die Richtung und verhöhnte Demonstranten, Gouverneure der Demokraten und „Schlägertrupps” gleichermaßen. Er drohte jedem, der den Zaun zum Weißen Haus überwindet, mit „scharfen Hunden und tödlichen Waffen“. Weiterhin kündigte er an, die „Antifa”-Bewegung als Terrororganisation einzustufen. Mit seinem Tweet „When the looting starts, the shooting starts”, zu deutsch etwa: “Wer plündert, wird abgeknallt”, klang er wie ein zweitklassiger Diktator.

Später sagte er Gouverneuren in einem Telefongespräch: „Wenn Sie nicht dominant auftreten, verschwenden Sie Ihre Zeit – sie (die Demonstranten) werden Sie überrennen, und Sie werden dumm aus der Wäsche schauen.” Er schlug vor, „Leute zu verhaften, zu verurteilen und für lange Zeit ins Gefängnis zu stecken.” Anschließend, im Rosengarten des Weißen Hauses, sagte Trump: „Wenn eine Stadt oder ein Bundesstaat sich weigert, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen um Leben und Eigentum der Bürger zu schützen, werde ich die Streitkräfte einsetzen und das Problem schnell beheben.”

Auch wenn Trump zu Recht und Ordnung aufruft, begrüßen Rechtsextreme die gelegentlichen Gewaltausbrüche bei den Protesten, weil es ihrem Ziel in die Hände spielt, einen Rassenkrieg anzuzetteln. Anhänger der bewaffneten Militia-Bewegung, weiße Extremisten und die sog. „boogaloo bois” (militante, lose organisierte rechtsextreme Gruppen) wollen die Coronakrise nutzen um den Untergang des liberalen, multikulturellen Amerikas zu „beschleunigen“. Sie nahmen sogar an den Demonstrationen gegen Polizeigewalt teil und warben online für ihre gewalttätigen Aktionen.

Militante Störungen eigentlich friedlicher Proteste treiben diese rechtsextreme Agenda voran. Genauso hilft die Gewalt auch Trump, seine Ziele zu erreichen.
Der US-Präsident verfolgt seine eigene Strategie der Beschleunigung: Mit hasserfüllter Sprache und polarisierenden Entscheidungen hat er alles dafür getan, um das Land von innen heraus zu zerstören. Er scheint zufrieden auf das Chaos zu schauen, das seine Regierung angerichtet hat. Eine Art von Ausnahmezustand auszurufen, um das selbst verursachte Chaos einzudämmen – in Wirklichkeit um noch mehr Chaos zu verbreiten und sich dann als Retter zu inszenieren – scheint nunmehr seine einzige Chance auf eine Wiederwahl zu sein.

Wie Edward Luce in der Financial Times schrieb, arbeitet Trump „unverhohlen daran, Amerika in die Ära der Rassentrennung zurückzuwerfen, in der weiße Männer die alleinige Macht besaßen.” Letztlich will Trump allerdings die alleinige Macht für sich selbst, und er glaubt die sozialen Unruhen nutzen zu können, um dieses Ziel zu erreichen.

● Amerikas Rassismus ist ein außenpolitisches Problem

Die Außenpolitik Donald Trumps hatte schon immer eine rassistische Komponente. Von Anfang an bevorzugte Trump z.B. vorwiegend weiße Länder bei der Einwanderung. Er ordnete ein Reiseverbot für Muslime an und verunglimpfte Staaten als „shithole countries” (Dreckslöcher), während er für „mehr Menschen aus Ländern wie Norwegen” warb. Vier weibliche Kongressabgeordnete – drei davon gebürtige Amerikanerinnen – forderte er auf, „in ihre ruinierten und kriminellen Heimatländer zurückzukehren und sie wieder in Ordnung zu bringen”. Er genießt es, „die Chinesen” für das Coronavirus verantwortlich zu machen, im vollen Bewusstsein, dass seine Verschwörungstheorien anti-asiatische Vorurteile schüren.

Natürlich können Geld oder Atomwaffen ein „Drecksloch”-Land in einen Freund verwandeln, wie Trumps Kuschelkurs mit Nordkoreas Kim Jong-un und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman zeigt. Das war schon immer Trumps modus operandi: Bei Mächtigen spielen für ihn Rassenunterschiede keine Rolle.

Der Rassismus in der US-Außenpolitik entstand nicht plötzlich mit Donald Trump. Wie ich im Januar 2018 schrieb, „verlieh Trump nur einem zugrunde liegenden Prinzip der US-Außenpolitik Ausdruck. Seit Jahrzehnten behandeln die USA bestimmte Länder als “Dreckslöcher”, auch wenn Politiker das nicht öffentlich aussprechen.” Rassismus zeigt sich in den Prioritäten des US-Staatshaushalts, in den geringen Ausgaben für Entwicklungshilfe, in den häufigen Militärinterventionen, in der rassischen Zusammensetzung der “unverzichtbaren Arbeitskräfte” der US-Armee (die „grunts” genannten einfachen Soldaten) und sogar in der Militarisierung der Innenpolitik durch das Pentagon. Natürlich hat Trump diese Tendenzen nicht erschaffen, allerdings hat er sie oft verstärkt.

Wahnsinn mit Methode

Trotzdem leistet der US-Präsident dem Rassismus nicht nur rhetorische Schützenhilfe. Sein Wahnsinn hat Methode. Trump nutzt den Rassismus, um dem liberalen Internationalismus in den USA die Grundlage zu entziehen. Diese politische Philosophie inspirierte Amerika zur Gründung der Vereinten Nationen, des Friedenscorps, zu Programmen der Entwicklungshilfe und zum gemeinsamen Kampf mit anderen Staaten gegen die globale Erwärmung. Der liberale Internationalismus hatte schon immer Mängel – etwa Bevormundung oder Naivität. Aber er ist deutlich besser als der illiberale Nationalismus, den Trump als Alternative anbietet.

Trumps innen- und außenpolitischer Rassismus untergräbt den liberalen Internationalismus. Kein anderes Land kann die US-Phrasen über Menschenrechte ernst nehmen. Kein anderes Land kann Amerika als ehrlichen Makler von Friedens-, Klima- oder sonstigen Abkommen akzeptieren. Amerika solle doch zuerst vor der eigenen Tür kehren, lautet der Einwand.

Die eigenen Probleme des Landes zu lösen, ist seit langem die Motivation von sozialen Bewegungen in den USA. Man denke an die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die LGBT-Bewegung oder die „Black Lives Matter”-Bewegung. Diese haben Menschenrechtsbewegungen auf der ganzen Welt inspiriert. Dem Vorbild der US-Proteste gegen Polizeigewalt folgten fast 15.000 Demonstranten in Paris, 10.000 in Amsterdam, Zehntausende in Auckland und Tausende in London, Berlin und Australien.

Die USA sollten auf Grundlage dieser sozialen Bewegungen Menschenrechte im Ausland unterstützen. Auch dies verhindert Trump mit seiner rassistischen Innenpolitik und seinen Angriffen auf den liberalen Internationalismus. „Wir sollten hoffen, dass die weltweiten Demonstrationen Washington daran erinnern, dass „soft power” eine einzigartige Stärke der USA ist – gerade im Vergleich zu China, Russland oder sogar Europa”, meint Wolfgang Ischinger, ehemaliger deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten. „Es wäre tragisch, wenn die Trump-Regierung diese riesige Chance in eine moralische Bankrotterklärung verwandelt.”

Leider hat Trump andere Vorstellungen davon, wie die USA ihren Laden aufräumen sollten – und die schließen ein, den Laden niederzubrennen. Das Gegengift für Trumps rassistischen Nationalismus ist nicht weniger Internationalismus, sondern mehr: Globalen Institutionen wieder beizutreten, die Amerika unter Trump verlassen hat, internationale Abkommen wieder zu unterzeichnen, die Trump gekündigt hat, und das globale US-Engagement auf Augenhöhe mit der Welt beharrlich wiederaufzubauen. Dieser Wiederaufbau sollte Hand in Hand mit einer schmerzhaften Abrechnung mit dem amerikanischen Rassismus gehen, denn die Ungerechtigkeit im Landesinneren ist ein Spiegel der Ungerechtigkeit im globalen Maßstab. Nur auf diese Weise kann Amerika seinen Abstieg stoppen und wieder in die internationale Staatengemeinschaft zurückzukehren.

John Feffer ist Chefredakteur der Online-Plattform Foreign Policy in Focus (fpip.org), auf der der Beitrag im amerikanischen Original zuerst erschien.

Gepostet: 26.8.2020

Empfohlene Zitierweise:
John Feffer, Der Abstieg der USA unter Trump. Atemberaubender Niedergang, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 26. August 2020 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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