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Neue Bioökonomiestrategie der Bundesregierung

Artikel-Nr.: DE20200309-Art.05-2020

Neue Bioökonomiestrategie der Bundesregierung

Widersprüchliche Ziele

Die neue Nationale Bioökonomiestrategie der Bundesrepublik ist da. Angekündigt für Sommer 2019 ist das von den Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF) und für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gemeinsam erarbeitete Papier seit Mitte Januar 2020 in der Kabinettsversion zugänglich.1) Das Papier knüpft an die 2010 verabschiedete Nationale Forschungsstrategie des BMBF sowie an die Nationale Politikstrategie des BMEL (2014) an.2) Von Rosa Lehmann, Maria Backhouse und Janina Puder.

Angestoßen von einem Strategiepapier der OECD im Jahr 2009 haben die EU und zahlreiche Länder weltweit Strategiepapiere zur Förderung einer Bioökonomie veröffentlicht, so z.B. die USA, Malaysia, Südafrika oder Argentinien. Allerdings variieren die Papiere in ihrer Ausrichtung und Schwerpunktsetzung stark. Je nach Kontext und spezifischer Interessenslage sollen mit der Bioökonomie entweder Biotechnologien in Agrar-, Medizin- und chemischen Industriebereichen oder der Umbau der Gesellschaft auf eine Biomasse-zentrierte Kreislaufwirtschaft unterstützt werden. Eine übergreifende Definition der Bioökonomie ist deshalb schwierig. Gemeinsam ist allen Papieren, dass die Bioökonomie zum Klimaschutz beitragen soll und dafür die Förderung von Forschung und Innovationen sowie ihre Vermarktung bzw. breitenwirksame Anwendung im Vordergrund steht.

● Schwerpunkt Rohstoffbasis

Im neuen deutschen Papier geht es bei der Bioökonomie in erster Linie um den Umbau der Rohstoffbasis, weg von fossilen Stoffen für die Produktion von Materialien, chemischen Erzeugnissen und Energie, hin zu erneuerbaren Stoffen, die entweder auf Biomasse basieren oder mit Hilfe von biologischem Wissen entwickelt werden (Biotechnologie). Dem Papier ging eine langjährige Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Bioökonomie voraus.

Im Fokus der Kritik der NGOs, der Verbände und kritischer Forscher*innen stand a) der einer ökologischen Modernisierung zugrunde liegende technokratische Optimismus, der über technische Innovationen das Klima schützen soll ohne ökonomisches Wachstum infrage zu stellen. Weitere Kritikpunkte waren: b) die starke Fokussierung auf die Forschungsförderung im Bereich der konventionellen Agrarwirtschaft und die Vernachlässigung alternativer, agrar-ökologischer Ansätze; c) die fehlende demokratische gesellschaftliche Beteiligung an diesem Prozess, der explizit nichts geringeres als eine gesellschaftliche Transformation zum Ziel hat; d) die starke Fokussierung auf naturwissenschaftliche Disziplinen und die Degradierung der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Akzeptanz- und Umweltbewusstseinsforschung sowie e) die Ausblendung der globalen Asymmetrien und Ungleichheiten im Agrarhandel, die sich bei einem anzunehmenden wachsenden Bedarf an Biomasse-Importen allein aus Deutschland und der EU verschärfen dürften.3)

● Erfreuliche Einsichten, aber viele Fragen

Die neue Strategie nimmt viele dieser Kritikpunkte auf, wie sie vom BMBF und BMEL u.a. in Stakeholder-Workshops mit der Zivilgesellschaft, Unternehmen und Forschung in den letzten Jahren diskutiert worden sind. Hervorzuheben ist, dass sie eine globale Perspektive einnimmt und auf Nutzungskonkurrenzen und Zielkonflikte – etwa hinsichtlich der landwirtschaftlichen Produktion von Biomasse für Nahrungsmittel und Materialien – hinweist. Dabei wird wiederholt auf das Nachhaltigkeitskonzept rekurriert und von der Bioökonomie ein Beitrag zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) gefordert. Ebenso soll die Bioökonomie helfen, angesichts des Überschreitens planetarischer Belastungsgrenzen ein „Umsteuern“ zu erwirken. Erfreulich ist, dass die Agrarökologie stärker gefördert werden soll. Geplant ist die Steigerung der Flächen für die Ökolandwirtschaft bis 2030 auf 20% der Agrarflächen Deutschlands (2018: 9,1%).

Zudem fallen Begriffe wie „Verteilungsgerechtigkeit“ und „Suffizienz“, mit denen in den 1970er und 1980er Jahren die Vision einer Bioökonomie begründet wurde, damals jedoch ein auf Wachstum basierendes Wirtschaftssystem infrage stellte. Schließlich soll laut Papier die gesellschaftliche Debatte um Bioökonomie gestärkt werden, indem ein Gremium zu gesellschaftlicher Beteiligung sowie zu Kommunikation und Dialog rund um Bioökonomie-Themen eingerichtet wird.

Allerdings wirft die neue Bioökonomiestrategie an vielen Stellen weiterhin Fragen auf. Ein grundsätzliches Problem ist, dass gegensätzliche Ziele und Konzepte einfach nebeneinandergestellt werden. Wie aber Suffizienz mit einer Modernisierungsstrategie des grünen Wachstums, wie Biolandwirtschaft mit Agrarindustrie oder eine nationale Wettbewerbsorientierung mit dem Erreichen globaler Nachhaltigkeitsziele vereinbart werden sollen, bleibt offen. So ist auch unklar, wie diese Zielkonflikte rund um die Nutzung von Biomasse bearbeitet werden sollen.

Konkrete transnationale Bezüge, etwa über Export-Import-Beziehungen zwischen Ländern, in denen biogene Rohstoffe produziert werden (sollen) und Ländern, die diese importieren, werden nicht hergestellt. Zwar werden globale Forschungskooperationen betont, ausbuchstabiert werden diese allerdings nicht. Bemerkenswert erscheint zudem, dass die Zukunft der Arbeit in dem Strategiepapier randständig behandelt wird. Interessenskonflikte zwischen ‚braunen‘ (z.B. Braunkohle) und ‚grünen‘ (z.B. Bioenergie) Industriezweigen, eine nachhaltige Beschäftigungskonversion und die einseitige Konzentration auf Beschäftigungsmöglichkeiten für höher-qualifizierte Arbeitskräfte werden in der Strategie nicht problematisiert.

● Konkretere Ziele unabdingbar

Zwar wird auf eventuelle Positiveffekte hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Land durch den Ausbau bio-basierter Wirtschaftszweige verwiesen, welche Berufsfelder genau entstehen könnten und welche Effekte dies auf den ländlichen Raum haben könnte, bleibt jedoch offen. Demnach ist kritisch zu hinterfragen, inwiefern die deutsche Bioökonomie einen Beitrag zur Verringerung sozioökonomisch-bedingter Ungleichheit, auch entlang eines Stadt-Land-Gefälles leisten könnte.

Zudem entsteht der Eindruck, dass die Bioökonomie neben der Forschungsförderung nur das Dachkonzept für sämtliche bereits bestehende Initiativen der Ressorts sein soll und letztlich keine großen gesellschaftlichen Transformationsziele in Richtung eines „nachhaltigen Wirtschaftssystems“ verfolgt werden. Schließlich sollen alle Maßnahmen ohne zusätzliche Haushaltsbelastungen umgesetzt werden. Dies wird z.B. im Bereich Biolandwirtschaft deutlich: Die anvisierte Steigerung der Flächen hatte das BMEL bereits in der 2018 zuletzt aktualisierten deutschen Nachhaltigkeitsstrategie als zu erreichende Zielmarke vermerkt.4)

Angesichts der Dramatik der Folgen des Klimawandels und der Krise der Landwirtschaft wären konkretere Ziele, die über geplante Vorhaben hinausgehen, notwendig. Auch ist fraglich, ob Stakeholder-Workshops und Kommunikationsstrategien ausreichen, um die ausstehende breite gesellschaftliche Debatte um eine demokratische sozial-ökologische Transformation voranzubringen.

Nichtsdestotrotz bietet die neue Bioökonomiestrategie erste Ansatzpunkte für Umweltschützer*innen, entwicklungspolitisch engagierte Nichtregierungsorganisationen, Kleinbäuer*innen und Gewerkschaften, um eine nachhaltige und partizipative Bioökonomie einzufordern, die anschlussfähiger für globale Themen wie gute Arbeit, Klima- Energie- und Umweltgerechtigkeit, Ernährungssouveränität und Degrowth sind.

* Rosa Lehmann, Maria Backhouse und Janina Puder sind Forscherinnen der BMBF-Nachwuchsgruppe „Bioökonomie und soziale Ungleichheiten“ am Institut für Soziologie der Universität Jena.

Anmerkungen:
1) www.bmbf.de/de/nationale-biooekonomiestrategie-fuer-eine-nachhaltige-kreislauforientierte-und-starke-10654.html
2) www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Nationale_Forschungsstrategie_Biooekonomie_2030.pdf und www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/Biooekonomie/_texte/BioOekonomiestrategie.html
3) Siehe eine Zusammenfassung der Positionen: Backhouse, Maria; Lehmann, Rosa; Lühmann, Malte; Tittor, Anne (2018): Bioökonomie als technologische Innovation. Zur Notwendigkeit alternativer Forschung und einer gesellschaftlichen Debatte. In: Forum Umwelt & Entwicklung Rundbrief 1/2018, S. 14-15. 4)www.bundesregierung.de/resource/blob/975274/1546450/65089964ed4a2ab07ca8a4919e09e0af/2018-11-07-aktualisierung-dns-2018-
data.pdf?download=1

Posted: 9.3.2020

Empfohlene Zitierweise:
Rosa Lehmann, Maria Backhouse und Janina Puder: Neue Bioökonomie der Bundesregierung. Widersprüchliche Ziele, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 9. März 2020 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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