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UNCTADs Vorschlag für einen globalen Schuldendeal

Artikel-Nr.: DE20200507-Art.10-2020

UNCTADs Vorschlag für einen globalen Schuldendeal

Eine Frage von Leben und Tod

Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) hat einen Dringlichkeitsvorschlag vorgelegt, um ein drohendes Schuldendesaster in Entwicklungsländern zu verhindern, das in der Konsequenz der Corona-Pandemie entstehen könnte. Der Vorschlag wird in einem Bericht entwickelt (s. Hinweis), der zu einem globalen Schuldendeal für die Entwicklungswelt aufruft. Rainer Falk stellt ihn vor.

Der Bericht, From the Great Lockdown to the Great Meltdown: Developing Country Debt in the Time of Covid-19, unterstreicht die lebenswichtige Bedeutung entschlossenen Handelns für eine substantielle Schuldenerleichterung für Entwicklungsländer, um dringend benötigte Ressourcen zur Bekämpfung der um sich greifenden Pandemie freizusetzen. Bereits am 30. März hatte UNCTAD ein Corona-Krisen-Paket von 2,5 Billionen Dollar für Entwicklungsländer gefordert (s. Hinweis). Schon vor der Covid-19-Krise sahen sich viele dieser Länder damit konfrontiert, dass hohe und wachsende Anteile ihrer Regierungseinkünfte für die Rückzahlung von Auslandsschulden verwendet werden müssen und damit bei Gesundheits- und Sozialausgaben fehlen.

● Nichttragbare Schuldenlast

„Die internationale Gemeinschaft sollte dringend weitere Schritte einleiten, um den steigenden finanziellen Druck zu lockern, den der Schuldendienst auf Entwicklungsländer ausübt, und zwar ausgerechnet in dem Moment, in dem sie durch den ökonomischen Schock von Covid-19 getroffen werden“, sagte UNCTAD-Generalsekretär Mukhisa Kituyi.

Die Corona-Pandemie trifft die Entwicklungsländer zu einem Zeitpunkt, an dem sie bereits viele Jahre mit nicht-nachhaltigen Schuldenlasten, wie auch mit steigenden Gesundheits- und Wirtschaftsproblemen, zu kämpfen hatten. Nach dem Report sind die Entwicklungsländer nun in den 2020er Jahren mit einer Welle von Schuldendienst-Rückzahlungen konfrontiert. Allein für 2020 und 2021 werden die Rückzahlungen auf ihre öffentlichen Auslandsschulden auf fast 3,4 Billionen Dollar geschätzt – zwischen 2 und 2,3 Billionen Dollar in Entwicklungsländern mit hohem Einkommen und zwischen 666 Mrd. und 1,06 Billionen in Entwicklungsländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen.



Grafik 1: Verhältnis des Schuldendiensts auf öffentliche und öffentlich garantierte Auslandschulden zu Regierungseinnahmen bei den Top-20-Entwicklungsländern, 2018 und 2012


Quelle: Berechnungen des UNCTAD-Sekretariats auf der Basis der World Development Indicators (WDI), des IMF World Economic Outlook (WEO), der Economic Intelligence Unit database (EUI) and der World Bank Quarterly External Debt Statistics (QEDS).



Grafik 2: Tilgungspläne für öffentliche Auslandsschulden, Anleihen und Kredite aller Entwicklungsländer, 2020 und 2021
Quelle: Berechnungen des UNCTAD-Sekretariats auf der Basis von World Bank QEDS, IIF Global Debt Monitor, IMF Global Debt Database und World Bank Development Indicators. Die Daten beziehen sich auf souveräne Schulden für HICs und auf öffentliche Auslandsschulden für MICs und LICs.

Die mit der Krise einhergehende finanzielle Unruhe hat einen Rekordabzug von Portfoliokapital aus den Emerging Economies ausgelöst und scharfe Währungsabwertungen in Entwicklungsländern, was ihren Schuldendienst schwerer macht. Der Direktor der Globalisierungsabteilung der UNCTAD, die den Report produzierte, Richard Kozul-Wright, bewertet die bisherige Initiativen zur Schuldenerleichterung durchaus skeptisch: „Die kürzlichen Aufrufe zur internationalen Solidarität weisen in die richtige Richtung, haben jedoch bislang wenig greifbare Unterstützung für die Entwicklungsländer gebracht, da sie nur die kurzfriste Auswirkungen der Pandemie und ihre ökonomischen Rückwirkungen behandeln.“

● Drei Schlüsselmaßnahmen

UNCTAD schlägt drei wesentliche Schritte vor, um von Aufrufen zum Handeln zu kommen:

* Schritt 1: Automatische befristete Moratorien
Solche Moratorien würden makroökonomischen Spielraum für alle krisengeplagten Entwicklungsländer bringen, indem sie durch Zahlungsaufschub Ressourcen freisetzen würden, die normalerweise für die Bedienung öffentlicher Auslandsschulden bestimmt wären.
Die Moratorien würden, wenn langfristig und umfassend genug, eine effektive Antwort auf den Covid-19-Schock durch erhöhte Gesundheits- und Sozialausgaben erleichtern und für die Zeit nach der Krise eine wirtschaftliche Erholung entlang nachhaltiger Pfade für Wachstum, Haushalts- und Handelsbilanzen gestatten.

* Schritt 2: Schuldenerleichterungs- und Restrukturierungsprogramme
Diese Programme würden sicherstellen, dass der im ersten Schritt gewonnene Spielraum genutzt werden könnte, um die langfriste Schuldennachhaltigkeit der Entwicklungsländer auf Fall-zu-Fall-Basis neu zu bewerten.
Am 13. April verzichtete der IWF für die nächsten sechs Monate auf die Schuldenzahlungen der 25 ärmsten Entwicklungsländer. Diese Schuldenstreichung beläuft sich auf schätzungsweise 215 Mio. Dollar.
Am 15 April kündigten die Führer der Gruppe der 20 führenden Ökonomien (G20) die Aussetzung der Schuldendienstzahlungen für die 73 ärmsten Länder zwischen Mai und Ende 2020 an.
Gleichwohl wären dem Bericht zufolge systematischere, transparentere und besser koordinierte Maßnahmen der umfassenden Abschreibung der Schulden der Entwicklungsländer dringend notwendig. Es wird vermutet, dass eine Billion Dollar Schuldenstreichung näher an der Summe lägen, die zur Verhinderung eines wirtschaftlichen Desasters in der Entwicklungswelt notwendig wäre.

* Schritt 3: Eine internationale Schuldenbehörde für Entwicklungsländer
Um die ersten beiden Schritte voranzutreiben, schlägt der UNCTAD-Bericht die Errichtung einer Internationalen Schuldenbehörde für Entwicklungsländer (IDCDA: International Developing Country Debt Authority) vor, die deren Umsetzung beaufsichtigen und die institutionellen und regulatorischen Grundlagen für einen dauerhaften Rahmen legen könnte, um souveräne Schuldenrestrukturierung in der Zukunft zu regeln.
Dies könnte zur Schaffung einer unabhängigen internationalen Organisation durch einen internationalen Vertrag zwischen interessierten Staaten führen. Wesentlich für jedes derartige internationale Abkommen wäre die unverzügliche Etablierung eines Beratungsgremiums von Experten, das völlig unabhängig von jeglichen Gläubiger- oder Schuldnerinteressen wäre.

Hinweise:
* UNCTAD: From the Great Lockdown to the Great Meltdown: Developing Country Debt in the Time of Covid-19, Trade & Development Report Update, 16 pp, Geneva, April 2020. Bezug: über unctad.org
* UNCTAD: The Covid-19 Shock to Developing Countries: Towards a “whatever it takes” programme for the two-thirds of the world’s population being left behind, Trade & Development Report Update, 13 pp, Geneva, March 2020. Bezug: über unctad.org

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, UNCTADs Vorschlag für einen globalen Schuldendeal. Eine Frage von Leben und Tod, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 7. Mai 2020 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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