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Unheiliger Kreuzzug der USA gegen China

Artikel-Nr.: DE20200809-Art.12-2020

Unheiliger Kreuzzug der USA gegen China

Die Anti-China-Rhetorik der Trump-Leute

Viele weiße evangelikale Christen in den Vereinigten Staaten glauben schon seit langem, dass Amerika eine gottgegebene Mission zur Rettung der Welt hat. Unter dem Einfluss dieser Kreuzzugsmentalität hat die amerikanische Außenpolitik häufige Richtungswechsel von der Diplomatie zum Krieg vollzogen. Nun besteht die Gefahr, dass es erneut so kommt. Im vergangenen Monat startete Außenminister Mike Pompeo einen weiteren evangelikalen Kreuzzug, diesmal gegen China, warnt Jeffrey D. Sachs.

Pompeos Rede war extremistisch, grob vereinfachend und gefährlich – und könnte durchaus in einen Konflikt zwischen den USA und China münden. Pompeo zufolge hegen der chinesische Präsident Xi Jinping und die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) den „jahrzehntealten Wunsch nach globaler Hegemonie“. Das ist paradox. Nur ein Land – die USA – beansprucht in seiner Verteidigungsstrategie, die „herausragende Militärmacht der Welt“ zu sein, mit „vorteilhaften regionalen Machtverhältnissen im Indopazifik, in Europa, im Nahen Osten und in der westlichen Hemisphäre“.

Heuchlerische Vorwürfe der USA …

In Chinas Weißbuch zur Verteidigung heißt es hingegen: „China wird niemals den ausgetretenen Pfaden der Großmächte folgen und nach Hegemonie streben.“ Und weiter: „In dem Maße, wie sich die wirtschaftliche Globalisierung, die Informationsgesellschaft und die kulturelle Vielfalt in einer zunehmend multipolaren Welt entwickeln, bleiben Frieden, Entwicklung und eine Kooperation, die für beide Seiten ein Gewinn ist, die unumkehrbaren Trends der Zeit.“ Das lässt an Jesu mahnende Worte in der Bergpredigt denken: „Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen“ (Matthäus 7,5).

Im Jahr 2019 beliefen sich die US-Militärausgaben auf insgesamt 732 Mrd. Dollar, fast dreimal so viel wie die chinesischen Ausgaben in Höhe von 261 Mrd. Dollar. Darüber hinaus verfügen die USA über rund 800 Militärstützpunkte in Übersee, während China nur einen hat (einen kleinen Marinestützpunkt in Dschibuti). Zahlreiche US-Militärstützpunkte befinden sich in der Nähe von China, das keinen in der Nähe der USA hat. Die USA haben 5.800 nukleare Sprengköpfe, China hat etwa 320. Die USA haben elf Flugzeugträger; China einen. Die USA haben in den letzten 40 Jahren viele Überseekriege geführt; China keinen (obwohl es für Grenzgefechte kritisiert wurde, zuletzt mit Indien, die gerade noch an einem Krieg vorbeischrammen).

Die USA haben in den letzten Jahren wiederholt Verträge mit den Vereinten Nationen und mit UN-Organisationen abgelehnt oder aufgekündigt, unter anderem mit der UNESCO, das Pariser Klimaabkommen und zuletzt mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), während China die Prozesse und Agenturen der UN unterstützt. US-Präsident Donald Trump drohte den Mitarbeitern des Internationalen Strafgerichtshofs unlängst mit Sanktionen. Pompeo wettert gegen Chinas rigorose Unterdrückung seiner muslimischen Volksgruppe der Uiguren, aber Trumps früherer Sicherheitsberater John Bolton behauptet, Trump habe Chinas Vorgehen gebilligt oder sogar ermutigt.

… und Chinas deklarierte Ziele

Die Welt nahm relativ wenig Notiz von Pompeos Rede, die keine Beweise enthielt, die seine Behauptungen über Chinas Hegemoniestreben untermauern. Chinas Ablehnung einer Vormachtstellung der USA bedeutet nicht, dass China selbst Hegemonie anstrebt. Tatsächlich glaubt außerhalb der USA kaum jemand, dass China auf eine globale Vorherrschaft aus ist. Chinas ausdrücklich erklärte nationale Ziele sind eine „Gesellschaft mit mäßigem Wohlstand“ bis 2021 (dem hundertsten Jubiläum der Gründung der KPCh) und eine „voll entwickelte Industrienation“ bis 2049 (dem hundertsten Jahrestag der Volksrepublik) zu werden.

Überdies belief sich Chinas Pro-Kopf-BIP 2019 mit geschätzten 10.098 US-Dollar auf weniger als ein Sechstel des BIP der USA (65.112 Dollar) – wohl kaum die Grundlage für globale Vorherrschaft. China hat immer noch großen Nachholbedarf, um auch nur seine grundlegenden wirtschaftlichen Entwicklungsziele zu erreichen.

Gesetzt den Fall, dass Trump bei den Präsidentschaftswahlen im November verliert, wird Pompeos Rede wahrscheinlich keine weitere Aufmerksamkeit zuteil. Die Demokraten werden China sicherlich kritisieren, aber ohne die dreisten Übertreibungen Pompeos. Sollte Trump jedoch gewinnen, könnte Pompeos Rede ein Vorbote des Chaos sein. Pompeos evangelikale Mission ist real, und weiße Evangelikale sind die politische Basis der heutigen Republikanischen Partei.

Pompeos leidenschaftliche Überhöhungen sind tief in der amerikanischen Geschichte verwurzelt. Wie ich in meinem kürzlich erschienenen Buch A New Foreign Policy nacherzähle, glaubten protestantische Siedler aus England, sie würden mit Gottes Segen im gelobten Land Amerika ein neues Israel gründen. Im Jahr 1845 prägte John O'Sullivan den Ausdruck „Manifest Destiny“ ‒ eine Doktrin, die besagt, dass die USA einen göttlichen Auftrag zur Expansion hätten ‒ um die gewaltsame Annexion des nordamerikanischen Kontinents durch die Vereinigten Staaten zu rechtfertigen und zu feiern. „All dies wird unsere zukünftige Geschichte sein“, schrieb er 1839, „die moralische Würde und das Heil des Menschen auf Erden zu begründen ‒ die unveränderliche Wahrheit und Güte Gottes. Für diese gesegnete Mission für die Nationen der Welt, die vom lebensspendenden Licht der Wahrheit ausgeschlossen sind, ist Amerika auserwählt worden...“

Evangelikaler Kriegseifer

Basierend auf derart erhabenen Auffassungen von ihrer eigenen Wohltätigkeit betrieben die USA bis zum Bürgerkrieg Massenversklavung und danach Massenapartheid; schlachteten während des gesamten 19. Jahrhunderts die Ureinwohner Amerikas ab und unterwarfen sie danach; und nachdem die Eroberung in Richtung Westen abgeschlossen war, dehnten sie ihre Manifest Destiny nach Übersee aus.

Später, mit dem Ausbruch des Kalten Krieges, veranlasste antikommunistischer Eifer die USA in den 1960er- und 1970er-Jahren katastrophale Kriegen in Südostasien (Vietnam, Laos und Kambodscha) zu führen und in den 1980er-Jahren brutale Kriege in Mittelamerika. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 richtete sich der evangelikale Eifer gegen den „radikalen Islam“ oder „islamischen Faschismus“, und vier US-Kriege der Wahl (wars of choice) – in Afghanistan, Irak, Syrien und Libyen – sind bis heute Debakel.

Plötzlich ist die vermeintliche existenzielle Bedrohung durch den radikalen Islam in Vergessenheit geraten, und der neue Kreuzzug richtet sich gegen die Kommunistische Partei Chinas. Pompeo selbst vertritt eine wörtliche Auslegung der Bibel und glaubt, dass die Endzeit, der apokalyptische Kampf zwischen Gut und Böse, unmittelbar bevorsteht. Pompeo beschrieb seine Überzeugungen in einer Rede, die er 2015 als Abgeordneter aus Kansas hielt: Amerika ist eine jüdisch-christliche Nation, die größte in der Geschichte, deren Aufgabe es ist, Gottes Schlachten bis zur Entrückung zu führen, wenn die wiedergeborenen Anhänger Christi, wie Pompeo, beim Jüngsten Gericht in den Himmel kommen.

Weiße Evangelikale machen lediglich etwa 17% der erwachsenen US-Bevölkerung aus, stellen aber rund 26% der Wählerinnen und Wähler. Sie stimmen mit überwältigender Mehrheit republikanisch (schätzungsweise 81% im Jahr 2016), was sie zum wichtigsten Wahlblock der Partei macht. Das verleiht ihnen einen starken Einfluss auf die republikanische Politik und insbesondere auf die Außenpolitik, wenn die Republikaner das Weiße Haus und den Senat (mit seinen vertragsratifizierenden Befugnissen) kontrollieren. Ganze 99% der republikanischen Kongressabgeordneten sind Christen, von etwa 70% Protestanten, darunter ein erheblicher, wenn auch nicht bekannter Anteil an Evangelikalen.

An den Rand eines Weltkriegs

Natürlich gibt es auch unter den Demokraten einige Politiker, die den amerikanischen Exzeptionalismus proklamieren und Kreuzzüge führen (zum Beispiel die Interventionen von Präsident Barack Obama in Syrien und Libyen). Im Großen und Ganzen ist die Demokratische Partei jedoch weniger den Ansprüchen einer US-Hegemonie verhaftet als die evangelikale Basis der Republikanischen Partei.

Pompeos hetzerische Anti-China-Rhetorik könnte in den kommenden Wochen noch apokalyptischer werden, und sei es nur, um der republikanischen Basis vor der Wahl einzuheizen. Wenn Trump besiegt wird, was wahrscheinlich ist, wird die Gefahr einer Konfrontation der USA mit China sinken. Aber wenn er an der Macht bleibt, sei es durch einen echten Wahlsieg, durch Wahlbetrug oder sogar durch einen Putsch (alles ist möglich), würde Pompeos Kreuzzug wahrscheinlich weitergehen und könnte die Welt an den Rand eines Krieges bringen, dem er entgegensieht und den er vielleicht sogar anstrebt.

Jeffrey D. Sachs ist Professor für Nachhaltige Entwicklung und Gesundheitspolitik und -Management an der Columbia University, Direktor des Columbia Center for Sustainable Development und des UN Sustainable Development Solutions Network. Er diente drei UN-Generalsekretären als Sonderberater. Seine Buchtitel u.a.: The End of Poverty, Common Wealth, The Age of Sustainable Development, Building the New American Economy, and most recently, A New Foreign Policy: Beyond American Exceptionalism. Übertragung aus dem Amerikanischen und © Project Syndicate.
Gepostet: 9.8.2020

Empfohlene Zitierweise:
Jeffrey D. Sachs, Unheiliger Kreuzzug der USA gegen China, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 9. August 2020 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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